Lara Pellini, Analystin für Einzelhandel und Luxusgüter, erklärt, wie die Millennials den Einzelhandel zurzeit und in Zukunft verändern.
04.01.2019 | 14:09 Uhr
Im Überblick:
Die Millennials haben den Einzelhandel zweifellos verändert. Sie sind die ersten Digital Natives. Bei Käufen wollen sie problemlos zwischen Mobiltelefon, PC, Tablet und Ladengeschäft wechseln. Vielleicht haben sie bei einer einzigen Kaufentscheidung Kontakt zu all diesen Vertriebskanälen. Die Einzelhändler müssen sich daran anpassen.
Die Millennials sind aber nicht allein für Veränderungen verantwortlich. In gewisser Weise reagieren sie mindestens ebenso stark auf den technischen Fortschritt wie sie ihn ermöglichen. Die Innovationen kamen zur rechten Zeit, sodass Einzelhändler und ihre Kunden jetzt verschiedene Vertriebskanäle nutzen können. Es ist noch nicht lange her, dass Einzelhändler mit E-Commerce keinen Erfolg hatten. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif.
Der mittlerweile nicht mehr existente Online-Lebensmittelhändler Webvan ist ein gutes Beispiel. Gegründet wurde das Unternehmen auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase, doch dann konnte es die Kosten nicht wieder einspielen. Der Versuch, eine eigene Endkundennachfrage zu schaffen, erwies sich als zu teuer. Ohne ein schnelles Breitbandinternet machte der Onlinekauf einfach keinen Spaß. Erst 2007 kam das erste iPhone an den Markt. Über Käufe via Smartphone dachte man damals noch nicht einmal nach.
18 Jahre später gibt es diese Probleme nicht mehr. Für die Millennials – aber auch für die Generation X und die Generation Z – ist der Onlinehandel heute etwas völlig anderes. Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass den Millennials das Einkaufserlebnis viel wichtiger ist als die Waren selbst. Wie können Einzelhändler darauf reagieren? Der Einkauf selbst ist ein Erlebnis, egal ob online oder im Laden. Der Einzelhändler muss dies ausnutzen. Die wahren Meister sind hier die Luxusgüterunternehmen. Dies überrascht nicht, denn 85% des Wachstums des Luxusgütermarktes entfallen auf die Millennials.
Natürlich kann man sich im Laden mit einem Produkt beschäftigen. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass der Einkauf online beginnt, vielleicht inspiriert durch einen Instagram-Post und gefolgt von Recherchen zum Produkt und seinem Preis. Vielleicht geht der Kunde danach ins Geschäft, um zu kaufen. Luxusgüterunternehmen achten darauf, dem Kunden dann ein angenehmes Einkaufserlebnis zu bereiten. Marken wie Gucci und Moncler machen aus dem Kauf eine Zeremonie, denn sie wissen, dass sich ihre Kunden wertgeschätzt fühlen wollen. Ebenso wichtig ist der Service nach dem Kauf. Man nimmt die Adresse auf, um den Kunden zu speziellen Events oder Promotions einladen zu können. Bei alldem hat der Kunde den Eindruck, zu einem exklusiven Kreis zu gehören.
Luxusmarken wollen einen loyalen Kundenstamm aufbauen, indem sie ihren Kunden exklusive Erlebnisse bieten, die alle Sinne ansprechen. Eine Möglichkeit hierzu ist, Prominente zu Markenbotschaftern zu machen – Sportler, Musiker, Menschen aus der Mode- und der Kulturszene. Die Kunden, insbesondere die Millennials, folgen diesen Personen vielleicht schon in den sozialen Medien und kennen sie daher bereits. Darüber hinaus können Kunden den Eindruck gewinnen, dass die Marke Teil ihres Lebens ist. Der Einzelhandel wünscht sich genau das. Mit Markenbotschaftern kann man auch die Reichweite steigern und damit den Einzelhändler einem größeren Publikum bekannt machen. Zugleich müssen Luxusmarken aber sicherstellen, dass ihr Angebot als knapp und exklusiv wahrgenommen wird. Vielleicht wird eine Sonderkollektion aufgelegt, eine sogenannte Capsule Collection, bestehend aus den wichtigsten und einflussreichsten Teilen der Hauptkollektion. Vielleicht wird auch mit Prominenten zusammengearbeitet oder ein Produkt mit begrenzter Stückzahl an den Markt gebracht – eine Limited Edition.
Bei alldem muss die Marke authentisch bleiben. Weil die digitale Welt global ist, kann schon ein einziges Foto im Internet sehr viel Schaden anrichten – wenn es etwa zeigt, dass eine angeblich in Italien hergestellte Tasche in Wahrheit aus China stammt.
Nein. Am anderen Ende der Skala erleben wir die Demokratisierung von Lebensmitteln und Mode. Millennials haben kostengünstige Modehändler für sich entdeckt, weil sie so den neuesten Trends folgen, aber auch aus dem Vollen schöpfen können, etwa mit Luxusartikeln. Im Lebensmitteleinzelhandel haben sich sogenannte Hard Discounter mit größerer physischer Präsenz tatsächlich in der Zeit durchgesetzt, in der sich auch der Onlinehandel gerade etablierte. In Deutschland haben die beiden Discounter Aldi and Lidl zusammen 40% Anteil am Lebensmitteleinzelhandel, und insgesamt entfallen 50% des deutschen Lebensmittelmarktes auf Discounter. In Großbritannien beträgt der Anteil von Discountern nur 13%, doch waren es im August 2008 erst 4,3%.
Der Erfolg der Lebensmitteldiscounter lässt sich mit dem berechenbaren Angebot erklären: niedrigste Preise in Kombination mit hochwertigen Eigenmarken. Die Margen mögen niedrig sein, aber der Absatz ist hoch. Wegen des kostengünstigen Angebots dieser Einzelhändler ist ein Onlineangebot hier nicht wirtschaftlich, und die digitale Disruption kann wenig ausrichten.
Das Ergebnis ist ein zweigeteilter Einzelhandelsmarkt. Ob online oder offline – Gewinner gibt es an beiden Enden des Spektrums. Zurzeit hat man es am schwersten, wenn man dazwischensteht. Also gibt es unterschiedliche Konsummuster für Luxus- und Discountwaren.
Der Unterschied ist kleiner, als Sie glauben. Die Internationalität des Internets bringt die Kunden näher zusammen. Bei Luxusgüterherstellern gilt, dass ein Konzept, das in China funktioniert, auch in anderen Ländern erfolgreich sein wird. Hierfür gibt es im Modebereich klare Beispiele. Als Louis Vuitton Virgil Abloh zum neuen Designer für Herrenmode ernannte und seine erste Kollektion in China auf Vorbestellung erhältlich war, war sie schon vor dem offiziellen Launch fast ausverkauft. Und Burberrys „B-Series“, die neue monatliche, limitierte Kollektion von Riccardo Tisci, war im Oktober in China in weniger als einer Stunde vergriffen.
Die Globalisierung des Einzelhandels macht es leichter, Trends zu erkennen oder den Erfolg von Produkten oder Kollektionen anhand kleinerer Testmärkte abzuschätzen. Besonders interessant ist der chinesische Einzelhandel. Die chinesischen Millennials sind außerordentlich internetaffin, und das Land hat nicht so viele ältere Einkaufszentren und Kaufhäuser wie der Westen. Chinas Einzelhandel hat hier eine Entwicklungsphase übersprungen. Im Onlinehandel liegt China daher jetzt leicht an der Spitze.
Logistik und Rückführungslogistik sind teuer. Reine Online-Einzelhändler müssen für ein gutes Kundenerlebnis sorgen und daher schnell und problemlos liefern. In gewisser Weise sind die etablierten Firmen hier im Vorteil. Die richtige Kombination mit Ladengeschäften kann helfen, Lieferkosten zu senken, sei es durch Click and Collect (also Onlinebestellungen zur Abholung in der Filiale) oder bei Umtausch.
Große Shopping-Events wie der Singles Day in China (11. November), der Black Friday und der Cyber Monday (beide Ende November) zeigen, wie wichtig dies ist. Diese Events werden von einem riesigen Hype und viel PR begleitet, doch sie sind für den Einzelhandel eine logistische Herausforderung. Auch das Verbraucherverhalten ändert sich. Weil wir Lieferungen am nächsten Tag gewohnt sind, erwarten wir das auch an diesen speziellen Einkaufstagen. Verändert hat sich auch, wie wir in der Weihnachtszeit einkaufen. Früher begannen die Menschen im November oder Anfang Dezember mit den Einkäufen, sodass die Einzelhändler schon früh abschätzen konnten, wie sich das Weihnachtsgeschäft entwickelt. Jetzt findet ein größerer Teil der Einkäufe am Wochenende vor Weihnachten statt. Den Einzelhändlern fällt es daher schwerer, den Umsatz zu prognostizieren. Außerdem steigt das Risiko, dass Waren im Januar zurückgegeben werden, weil sie nicht rechtzeitig ankamen. Für die Einzelhändler bedeutet dies nicht nur zusätzliche Liefer- und Rückgabekosten. Oft entsprechen auch die Umsätze nicht den Prognosen.
Solche speziellen Shopping-Events helfen zweifellos, den Umsatz zu steigern, aber sie sind für den Einzelhandel eine Herausforderung. Sie zeigen recht deutlich, warum Unternehmen kosteneffiziente und kundenfreundliche Logistiksysteme brauchen, um heutzutage Erfolg zu haben.
Die Millennials werden älter und gründen Familien. Die Generation greift bei Elektronik, Haushaltsgeräten und Kleidung auf den Onlinehandel zurück, was sich an der recht hohen Onlinequote dieser Produktgruppen zeigt. Als Nächstes könnten Einrichtungshäuser und Möbelhändler vom neuen Einkaufsverhalten der Millennials profitieren. Der Onlineanteil in den Bereichen Inneneinrichtung und Möbel beträgt nur rund 5%, während er für Spielzeug und Spiele bei 20% und für Haushaltselektronik bei fast 24% liegt. Es kann also noch viel Wachstumspotenzial geben. Mich interessieren eine Reihe von Inneneinrichtern, von traditionellen Einzelhändlern mit Ladengeschäften bis zu reinen E-Commerce-Plattformen. Ich möchte herausfinden, welche von ihnen von diesem Trend profitieren können.
Ein weiterer sehr spannender Bereich, der sehr gut zu diesem Trend passt, hat mit der virtuellen oder erweiterten Realität (Virtual Reality/Augmented Reality) im E-Commerce zu tun. Mit einer Augmented-Reality-App kann man sich bildlich vor Augen führen, wie ein Sofa im eigenen Wohnzimmer oder ein Teppich im Schlafzimmer aussehen könnte, wenn man Größe, Farbe und Muster berücksichtigt. Durch diese Technik könnten Menschen wesentlich schneller bereit sein, auch Möbel online zu kaufen. Ein weiterer Vorteil wäre, dass weniger Produkte zurückgegeben würden und die Rückführungslogistik insgesamt billiger würde. Natürlich lässt sich diese Technologie auch am Bekleidungsmarkt nutzen. Unterschiedliche Größenangaben und die Schwierigkeit zu erkennen, wie ein bestimmter Stil oder ein bestimmtes Muster angezogen aussieht, bringen die Kunden dazu, Kleidungsstücke in verschiedenen Größen und Farben zu kaufen. Sie probieren sie dann zu Hause an und geben jene zurück, die nicht passen. Beispielsweise können die Rückgabequoten in Deutschland bis zu 60% betragen. Dies liegt daran, dass deutsche Kunden an Kataloge gewöhnt sind. Sie bestellen die Sachen dann in verschiedenen Größen, weil sie sie nicht im Geschäft anprobieren können. Intelligente Smartphone-Apps nehmen Ihre Maße auf und simulieren, wie Sie in einem bestimmten Kleidungsstück aussehen. Dadurch lässt sich das Einkaufserlebnis deutlich verbessern. Außerdem würde die Rückführungslogistik billiger.
Natürlich gibt es noch weitere Überlegungen, etwa zur Sicherheit persönlicher Daten. Auf jeden Fall handelt es sich hier um Themen, die in den kommenden Jahren sehr interessant werden könnten. Im Einzelhandel steht die Welt niemals still. Wichtig ist immer, was die Zukunft bringt.
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