ODDO BHF CIO View: Die dysfunktionale Fiskalpolitik der USA wird zur Belastung für die Welt

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer ODDO BHF SE
Geldpolitik

Die Leitwährung der Welt zu besitzen, bringt viele Vorteile. So ist es für andere Staaten wirtschaftlich sinnvoll, einen guten Teil ihrer Devisenreserven in den Staatsanleihen des Landes anzulegen, ob sie mögen oder nicht.

17.11.2023 | 09:15 Uhr

Die USA nutzen dieses Privileg seit Jahrzehnten weidlich aus und haben die Staatsverschuldung stark steigen lassen. Ende 2022 war sie auf über 30 Billionen Dollar gestiegen. An der Bonität der USA sind zuletzt die Zweifel etwas größer geworden. Nach S&P im Jahr 2011 hat im August 2023 eine zweite große Ratingagentur, Fitch, dem Land die höchste Bonitätsnote AAA entzogen und auf AA+ gesenkt.

Das muss die Gläubiger der USA nicht beunruhigen. US-Staatsanleihen zählen weiterhin zu den sichersten Anlagemöglichkeiten der Welt. Dennoch: Die amerikanische Finanzpolitik entwickelt sich aus unserer Sicht eindeutig in die falsche Richtung. Der Vorzug, die Leitwährung für die globale Wirtschaft zu emittieren, entbindet nicht von der Pflicht, verantwortungsvoll mit den Staatsfinanzen umzugehen. Dass es an diesem Sinn für Verantwortung mangelt, zeigt ein Blick in die Begründung, als Fitch den USA den AAA-Status entzogen hatte: „Die Herabstufung des Ratings der Vereinigten Staaten spiegelt die erwartete Verschlechterung der Haushaltslage in den nächsten drei Jahren“, heißt es dort. Vor allem befürchteten die Kreditanalysten eine „fiskalische Verschlechterung“ und eine „erosion of governance“, was sich am besten wohl mit Aushöhlung der guten Regierungsführung übersetzen lässt.

Wie recht die Fitch-Analysten doch haben. Der Haushaltsprozess funktioniert in den USA seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Kongress hat Mühe, die Haushaltsgesetze („appropriation bills“) rechtzeitig vor Beginn des Fiskaljahres zu verabschieden. Einen regulären Haushalt gibt es nicht mehr, nur Haushaltsentwürfe, Einzelgesetze, befristete Ausgabenermächtigungen oder Pakete sachlich unverbundener Einzelgesetze („omnibus spending bills“). Seit 1977 sind nur in vier Jahren die Haushaltsgesetze entsprechend dem Congressional Budget Act von 1974 verabschiedet worden, zuletzt 1997.

Vor allem wenn der Kongress gespalten ist, kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Konflikten. Es droht ein Shutdown: Nicht-essenzielle Verwaltungsaktivitäten müssen eingestellt werden, weil keine Haushaltsmittel zum Bezahlen von Bundesangestellten und von Rechnungen zur Verfügung stehen. Abgeordnete drohen, die Anhebung der Schuldenobergrenze zu verweigern. Wird die Schwelle erreicht, dürfen keine weiteren Finanzierungen am Kapitalmarkt vorgenommen werden, auch nicht zur Deckung der Zinsverpflichtungen. Dadurch stehen die USA immer wieder vor einem zumindest „technischen“ Zahlungsausfall. Aktuell ist die Schuldengrenze bis Januar 2025 ausgesetzt, wenn die nächste Wahlperiode oder Amtszeit des nächsten Präsidenten beginnt.

Derzeit kann sich die politische Klasse wieder nicht einigen. Und wieder droht ein Shutdown. Zu den Leidtragenden zählen die Bediensteten der US-Regierung, deren Bezüge ausbleiben, im öffentlichen Auftrag arbeitende Unternehmen und ihre Mitarbeiter, aber auch viele Bürger, etwa die 42 Millionen Amerikaner, die auf Unterstützung aus dem staatlichen Nahrungsmittelprogramm SNAP angewiesen sind. Die aktuelle Ausgabenermächtigung läuft am 17. November aus.

Wie kontraproduktiv diese Streitkultur geworden ist, zeigt sich auch daran, dass die öffentlichen Finanzen aus dem Ruder laufen: Die Defizitquote liegt regelmäßig über 5 Prozent. Ende September ist das Fiskaljahr 2023 zu Ende gegangen. Im Oktober hat das Congressional Budget Office (CBO) erste Zahlen für den Bundeshaushalt für das Fiskaljahr 2023 vorgelegt. Um 300 Milliarden auf 1,7 Billionen Dollar ist demnach das Defizit in den Finanzen der Bundesregierung gestiegen. Unter dem Strich stehen im Fiskaljahr 2023 den Ausgaben von 6,1 Billionen Dollar nur Einnahmen von 4,4 Billionen Dollar gegenüber. Die Defizitquote hat sich laut dem CBO von 5,2 Prozent auf 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeweitet (Abbildung 1), wobei diese Zahl nicht ohne Weiteres mit europäischen Defizitquoten verglichen werden kann.

Den vollständigen CIO View von Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer ODDO BHF SE, finden Sie hier.

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