Europäische Zentralbank in der Zwickmühle

Die Notenbank darf nicht zu lange auf dem Gaspedal einer lockeren Geldpolitik stehen. Weltwirtschaft: Die Gefahr niedriger Zinsen.

31.08.2012 | 16:55 Uhr

Die umfangreichen Liquiditätsschritte der Zentralbanken nach dem Lehman-Schock waren grundsätzlich notwendig und konnten eine deflationsinduzierte Abwärts-spirale der Weltwirtschaft verhindern. Schon im 19. Jahrhundert erkannte der britische Ökonom Walter Ba-gehot die Notwendigkeit, dass Zentralbanken in Krisenzeiten unbegrenzt Liquidität bereitstellen – jedoch zu einem Strafzins und zeitlich begrenzt. In diesem Zusammenhang mehren sich die Stimmen, die davor warnen, die Niedrigzinspolitik auf globaler Ebene zu lange beizubehalten. So könnten Vermögenspreisblasen ent-stehen und notwendige realwirtschaftliche Anpassun-gen verzögert werden. Die anhaltende Nullzinspolitik der japanischen Zentralbank könnte demnach zum Entste-hen von sogenannten „Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen“ beigetragen haben, die die erfolgreichen Unternehmen am Wachstum hindern und einen not-wendigen Strukturwandel in der Gesamtwirtschaft bremsen. Doch selbst die japanische Zentralbank schaffte es trotz zahlreicher Versuche nicht, die Nullzinspolitik in den vergangenen 20 Jahren nachhaltig zu beenden. Im aktuellen Umfeld sind Leitzinserhöhungen illusorisch und wahrscheinlich sogar gefährlich. Die große Depression in den 1930er-Jahren wurde unter anderem da-durch verursacht, dass die Geldpolitik viel zu wenig Unterstützung bot und selbst gesunde Unternehmen in die Liquidation gezwungen wurden. Vor diesem Hintergrund ist es für die Zentralbanken eine Gratwanderung, ihre Geldpolitik in diesem Umfeld adäquat auszurichten. Die Entstehung von „Zombie-Firmen“ muss daher dadurch verhindert werden, dass der Rechtsrahmen durch ein effizientes Konkursrecht ein schnelles Ausscheiden von insolventen Firmen und Banken gewährleistet – sicherlich eine Schwäche im japanischen Wirtschaftssystem.

Der schwedische Ökonom Knut Wicksell entwickelte schon im 19. Jahrhundert die Idee eines natürlichen Zinssatzes. Der natürliche Zins entspricht in etwa dem Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft und kann sich vom Marktzins unterscheiden. Von 2000 bis 2010 beschleunigte sich beispielweise das Weltwirtschafts-wachstum von durchschnittlich 3,0 % in der vorangegangenen Dekade 1990–1999 auf durchschnittlich 3,6 %, was einen Anstieg des natürlichen Zinses impliziert. Im Gegensatz dazu gingen die Marktzinsen jedoch weltweit zurück. Die immer größere Divergenz zwischen natürlichem Zins und Marktzins kann nach der Theorie von Wicksell zu einem Kreditboom und zu Vermögenspreis-blasen führen und damit als eine Erklärung für die Fi-nanzmarktkrise dienen. Auch am aktuellen Rand erscheinen die Zinsen zu niedrig. So schätzt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, dass das fundamental angemessene globale Leitzinsniveau um etwa 350 Bp höher liegt als der derzeit vorherrschende globale Leitzins.

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