Oddo CIO View: China - ein System in der Krise

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer ODDO BHF SE
Emerging Markets

China hat im Juni 2023 die Veröffentlichung der Daten zur Jugendarbeitslosigkeit eingestellt Der kommunistischen Regierung missfiel, dass die Arbeitslosenquote der 16 bis 24 Jährigen auf das politisch unerwünschte Niveau von 21 3 Prozent gestiegen war Während

29.01.2024 | 11:16 Uhr

Während Politiker in westlichen Demokratien mit missliebigen Daten leben müssen, entschloss sich die Regierung in China um Xi Jinping, die Zeitreihe einfach nicht mehr zu publizieren Nun hat die Nationale Statistikbehörde ( für diese Altersklasse mit Stand Dezember eine neu berechnete Arbeitslosenquote für 16 bis 24 Jährige bekanntgegeben Wenig erstaunlich Die neu berechnete Jugendarbeitslosigkeit wird dem Wunsch der Regierenden entsprechend mit 14 9 Prozent nun niedriger ausgewiesen Der Trick Die chinesische Regierung schließt nun einfach 62 Millionen Vollzeit Studenten bei der Berechnung der Jugendarbeitslosigkeit prinzipiell aus Die neue Berechnung widerspricht den Konventionen der International Labour Organization ( Ökonomen können die chinesischen Daten nun weder mit Zeitreihen anderer Länder noch im Zeitablauf vergleichen Das Beispiel zeigt Statistische Daten in China sind nicht vertrauenswürdig für Ökonomen, die Rückschlüsse auf die volkswirtschaftliche Entwicklung ziehen möchten, und für Investoren, die in China ihr Vermögen anlegen wollen (siehe Abbildung 1)

Abb. 1: Arbeitslosenquote der 16 bis 24 Jährigen in China

Abb. 1: Arbeitslosenquote der 16 bis 24 Jährigen in China

Quelle: Volksrepublik China, National Bureau of Statistics , via Datastream; Zeitraum: 01.01.2018 31.12.2023

Der Druck auf chinesische Wirtschaftsführer nimmt zu. Im Herbst 2020 zog sich der populäre Mitgründer und langjährige Chef des Internet-Unternehmens Alibaba auf Druck der chinesischen Regierung aus dem Wirtschaftsleben zurück. Anderen Wirtschaftsführern erging es noch schlechter: Eine Vielzahl von Unternehmern und Managern wanderte infolge einer Anti-Korruptionskampagne in chinesische Gefängnisse.

Der dramatische Fall des Hang Seng China Enterprise Index (HSCEI) von über 12000 Punkten im Februar 2021 auf 5002 Punkte am 22. Januar 2024 zeigt, dass der chinesische Aktienmarkt eine Vertrauenskrise erlebt (siehe Abbildung 2). Marktteilnehmer zweifeln verstärkt an den Wachstumszahlen, die die chinesische Regierung ausweist. Im Jahr 2023 wuchs die Volkswirtschaft nach offiziellen Zahlen um 5,2 Prozent. Die Skepsis gegenüber diesen Zahlen ist jedoch groß: Eine Studie der Rhodium Group, einem renommierten US-amerikanischen Research-Unternehmen, schätzt, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr möglicherweise nur um etwa 1,5 Prozent gestiegen sein könnte.

Abb. 2: International gehandelte Aktien chinesischer Unternehmen: Hang Seng China Enterprises Index

Abb. 2: International gehandelte Aktien chinesischer Unternehmen: Hang Seng China Enterprises Index

Quelle: Datastream; Zeitraum: 01.01.2019-24.01.2024

Die strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft sind offenkundig. Der Motor der chinesischen Expansion war über viele Jahre die Investitionstätigkeit, die mit Hilfe freizügig verteilter Kredite mit staatlicher Unterstützung finanziert wurde. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung, in den Jahren 2010/11, flossen nach offiziellen Angaben 47 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts in die Investitionstätigkeit. Seit 2015 schwankt dieser Anteil um 43 Prozent. Anfang 2021 wies der prominente US-Ökonom Kenneth Rogoff mit einem Co-Autoren auf Anzeichen einer Blasenbildung am chinesischen Immobilienmarkt hin. Chinesische Immobilienentwickler wie Evergrande und Country Garden sind hochverschuldet. Die Verschuldung von Evergrande übersteigt 300 Milliarden USD. Infolge der Krise am Immobilienmarkt ist die Bautätigkeit in China gegenüber dem Höchststand im Jahr 2020 jüngst massiv eingebrochen (siehe Abbildung 3).

Abb. 3: Wohnungsbau in China: Neue Flächen in qm

Abb. 3: Wohnungsbau in China: Neue Flächen in qm

Quelle: Volksrepublik China, National Bureau of Statistics, via Bloomberg; Zeitraum: 01.01.2015-31.12.2023

Nach Schätzungen von Rogoff/Yang lag das wirtschaftliche Gewicht des Immobiliensektors in China bei rund 30 Prozent. Immobilien sind für die Chinesen der mit Abstand wichtigste Teil ihres Vermögens. Für das Jahr 2017 kamen Rogoff/Yang für China auf einen Anteil des Immobilienvermögens am Gesamtvermögen von 78 Prozent (zum Vergleich: in den USA lag der Anteil bei 35 Prozent). Investoren sorgen sich, dass sich die Schieflage im Immobiliensektor auf andere Sektoren – insbesondere den Bankensektor, der großzügig Kredite verteilt hat – auswirken könnte.

Neben der Immobilienkrise tragen staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben zur Verunsicherung von Verbrauchern und Investoren bei. Unter der Regierung Xi Jinping hat sich das Wirtschaftsleben zunehmend politischen Zielen unterzuordnen. Die harte Hand der Politik war gerade in den letzten Jahren verstärkt zu spüren. Dies spüren insbesondere IT-Unternehmen, die zu den bevorzugten Investments internationaler Anleger in China zählten. Der Mitgründer von Alibaba, Jack Ma, hat mit einer regierungskritischen Rede im Oktober 2020 den Zorn der staatlichen Stellen auf sich gezogen. Der Gegenschlag kam in Form des Verbots des Börsengangs der Ant Group, einer Tochtergesellschaft von Alibaba. Dies weitete sich zu einer breiten Disziplinierungsmaßnahme gegen Technologieunternehmen, insbesondere Alibaba und Tencent aus. Jenseits von Strafzahlungen wurden die Unternehmen gezwungen, staatlich ernannte Direktoren in die Geschäftsleitung aufzunehmen und „Goldene Aktien“ von Tochtergesellschaften im Rahmen von Joint Ventures an Staatsunternehmen auszugeben.

Die chinesischen Unternehmen sind traditionell von Effizienzproblemen geplagt, gerade auch die Staatsunternehmen. Die Kapitalrentabilität ist schwach. Die forcierte Unterordnung der privaten Wirtschaft unter staatliche Ziele ist Gift für den Unternehmenssektor und untergräbt das Vertrauen der Anleger. Unter den aktuellen Voraussetzungen ist der chinesische Markt für Qualitätsinvestoren keine gute Option. Unternehmen schaffen Werte für Ihre Aktionäre, wenn die Eigenkapitalrenditen höher sind als die Eigenkapitalkosten und die Umsätze stetig wachsen. In China liegen die Eigenkapitalrenditen des HSCEI bei rund 10 Prozent und damit ungefähr auf der Höhe der Eigenkapitalkosten (siehe Abbildung 4). Die Folge: Trotz des kräftigen volkswirtschaftlichen Wachstums der Vergangenheit haben chinesische Unternehmen wenig Wert für Anleger geschaffen, da ihre Kapitaleffizienz zu niedrig war.

Chinesische Aktien handeln derzeit – gemessen am HSCEI – ungefähr zum 7-fachen der Gewinne. Sie sind damit auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses niedrig bewertet. Die Regierung bereitet in diesen Tagen ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des chinesischen Aktienmarktes vor. Neben dem Verbot von Leerverkäufen sollen über staatliche Pensionsfonds und Staatsunternehmen erhebliche Mittel – die Rede ist von 278 Mrd. US-Dollar - mobilisiert werden, um chinesische Aktien zu kaufen. Zusätzlich sollen wohl 43 Mrd. US-Dollar über staatseigene Investmentfirmen in den Markt geschleust werden. Als ODDO BHF TRUST bleiben wir unserem Qualitätsansatz folgend skeptisch. Aber ganz werden wir uns vom chinesischen Aktienmarkt sicherlich nicht abwenden. Wenn die chinesische Regierung irgendwann beschließt, die Wirtschaft wieder stärker zu öffnen und Unternehmen weniger mit politischen Zielvorgaben zu gängeln, ergeben sich Chancen. Davon ist derzeit leider (noch) nichts zu spüren.

Abb. 4: Hang Seng China Enterprises Index: Kurs-Gewinn-Verhältnis und Eigenkapitalrendite

Abb. 4: Hang Seng China Enterprises Index: Kurs-Gewinn-Verhältnis und Eigenkapitalrendite

Quelle: Datastream; Zeitraum: 01.01.2019-24.01.2024

Jan Viebig

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