Capital Group: Drei Negativ-Faktoren für die Emerging Markets

Emerging Markets

In diesem Jahr waren die Emerging Markets sehr volatil. Kirstie Spence, Anleihenportfoliomanagerin, hält die Bewertungen noch immer für attraktiv. Sie erläutert die Risiken und erklärt, wo es an den EM zurzeit günstig bewertete Titel gibt.

18.09.2018 | 10:04 Uhr

In diesem Jahr waren die Emerging Markets bislang sehr volatil. Zwar halten wir die Bewertungen noch immer für attraktiv, doch behalten wir drei Dinge und ihre möglichen Folgen für andere Schwellenländer genau im Blick und gehen darauf im Folgenden näher ein. Außerdem befassen wir uns mit den möglichen Chancen von Dominoeffekten für aktive Portfoliomanager und überlegen, wo sich an den Emerging Markets zurzeit günstig bewertete Titel finden lassen.

1. Handelskonflikte 

Weltweit nehmen die Handelskonflikte zu. Immer mehr Länder regieren mit Revanchezöllen auf die US-Handelspolitik. Dazu zählen neben der EU und Kanada wichtige Emerging- Market-Länder wie Russland, Mexiko, die Türkei und China.

Besondere Sorgen macht China, wegen der Größe seiner Volkswirtschaft und der Abhängigkeit vieler anderer Schwellenländer von der chinesischen Nachfrage. Die direkten Folgen dürften sich in Grenzen halten, außer in Sektoren wie Elektronik und IT-Technik, die die USA ins Visier genommen haben. Allerdings hängen die Schwellenländer stark vom Welthandel ab. Weniger Exporte und eine Verschlechterung der Marktstimmung würden den Emerging Markets insgesamt schaden.

Noch scheinen die direkten Folgen der Zölle für den chinesischen Außenhandel begrenzt

1. US-Dollar-Aufwertung und steigende US-Zinsen

Sowohl  Emerging-Market-Aktien als auch Emerging-Market-Anleihen sind wachstumsabhängig, und die Kombination aus höheren US-Zinsen und einem stärkeren Dollar hat dem Weltwirtschaftswachstum meist geschadet. Und doch gibt es Grund zu der Annahme, dass die Folgen diesmal weniger gravierend sind als früher. 

Bislang hat eine US-Dollar-Aufwertung den Emerging Markets vor allem aus drei Gründen geschadet: 

  • Die Emerging-Market-Währungen waren meist an den US-Dollar gebunden, sodass sie bei einer Dollaraufwertung ebenfalls aufwerten mussten. Dies schwächte oft die Exportwettbewerbsfähigkeit.
  • Die meisten Emerging-Market-Länder haben den Großteil ihrer Staatsschulden in US-Dollar begeben. Wenn ihre Währungen nicht parallel zum US-Dollar aufwerteten, stiegen – in lokaler Währung gerechnet – Verschuldung und Schuldendienst. Wenn dann noch die Dollarzinsen stiegen, wurde es noch problematischer. Das synchrone Weltwirtschaftswachstum, auch wenn es niedriger ist als letztes Jahr, dürfte daher insgesamt nützen.
  • Ein stärkerer US-Dollar und höhere US-Zinsen führen zumeist zu Kapitalabflüssen aus den Emerging Markets und einer Repatriierung in die USA.

 Heute sind die Wechselkurse der meisten   Emerging-Market-Währungen flexibel, sodass viele Schwellenländer ihre Leistungsbilanzdefizite verringert haben und mittlerweile mehr Anleihen in lokaler Währung begeben. Unternehmensanleihen sind aber nach wie vor überwiegend in US-Dollar denominiert.

Aber noch immer gibt es Länder, die vergleichsweise stark unter einem stärkeren US-Dollar und höheren US-Zinsen leiden – nämlich, weil sie einen großen Bedarf an Dollarfinanzierungen haben, etwa die Türkei.

Hinzu kommen eine Reihe länderspezifischer Problemen, etwa in der Türkei, Brasilien und Argentinien.

3. Lokale Probleme

Türkei: Seit Jahresbeginn hat die türkische Lira etwa 40% abgewertet gegenüber dem US-Dollar.1 Ein Großteil davon entfiel auf den August, nach der Bekanntgabe amerikanischer Sanktionen gegen die Türkei. Türkische Aktien und Anleihen waren ebenfalls betroffen. Auch wenn die Sanktionen den Ausverkauf ausgelöst haben dürften, waren die Fundamentaldaten schon vorher schwach. Die scharfe Rhetorik in einer ohnehin krisenbelasteten Region tat ihr Übriges, ebenso wie die Verschlechterung der Staatsfinanzen und der Leistungsbilanz bei einer wenig vertrauenserweckenden Politik seit den Wahlen im Juni. Wir hoffen, dass am Ende die Vernunft siegt. Aber wie lange wird das dauern? 

Brasilien: Auch wenn Brasilien heute weniger krisenanfällig ist als vor einigen Jahren (nach einer zweijährigen Rezession), bleiben die Staatsfinanzen schwach. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 2018 dürften für wirtschaftliche Unsicherheit und Marktrisiken sorgen. 

Argentinien: Die Investoren verloren im April ihr Vertrauen in Argentinien, was zu einer massiven Währungsabwertung und abnehmenden   Fremdwährungsreserven führte. Zwar reagierten die Behörden schnell mit starken Leitzinserhöhungen, und sie verhandelten rasch eine 50 Milliarden US-Dollar umfassendeKreditlinie beim Internationalen Währungsfonds mit drei Jahren Laufzeit. Dennoch steht das Land vor großen Herausforderungen. Das Haushaltsdefizit muss fallen, und die Geldpolitik muss straff bleiben, um die Folgen der Währungsabwertung zu begrenzen.

Für aktive Manager können Dominoeffekte Chancen sein

Trotz der recht attraktiven Bewertungen hat sich die Marktstimmung verschlechtert, und die Risikoaversion hat auf andere, liquidere Aktien- und Anleihenmärkte übergegriffen. Die Frage ist jetzt, ob die Ansteckung weitergeht, so wie während des Taper Tantrum.2 Wir meinen allerdings, dass sich die Situation heute wesentlich von den Jahren 2013 bis 2016 unterscheidet. Viel spricht dafür, dass die Krise diesmal begrenzter sein wird. 

  • Alles in allem spiegeln die Bewertungen heute die Risiken der einzelnen Länder genauer wider, insbesondere über die Wechselkurse.
  • Die Leistungsbilanzdefizite der Schwellenländer sind meist zurückgegangen, und die Fremdwährungsreserven sind überwiegend gestiegen.
  • Das Weltwirtschaftswachstum ist höher.
  • Die Rohstoffpreise sind stabil oder steigen, was Emerging-Market-Titeln meist nützt.

Allerdings stehen die Schwellenländer heute vor anderen Problemen, und der höhere politische Druck macht den Schuldenabbau schwieriger. Die Schwellenländer haben zunehmend mit hohen Haushaltsdefiziten und Unternehmensschulden zu kämpfen. 

In vielerlei Hinsicht scheinen Emerging-Market-Titel heute stabiler als 2013 bis 2016, und doch könnten lokale Probleme zu neuer Volatilität führen. Handelskonflikte und steigende US-Zinsen wiederum könnten alle Schwellenländer betreffen. 

Da es nur sehr wenige dezidierte Emerging-Market-Investoren gibt, aber viele Gelegenheitsanleger – wir nennen sie Touristen3  – und es noch dazu mehr passive Fonds gibt als früher, kann ein Ausverkauf insbesondere an den liquideren Märkten oft zu einem Überschießen führen. Für aktive Manager können das Kaufgelegenheiten sein, vor allem, wenn sie researchstark sind und einschätzen können, ob die aktuellen Kurs-Gewinn-Verhältnisse, Spreads und Wechselkurse an den einzelnen Märkten die Risiken hinreichend ausgleichen.

Die Bewertungen der Emerging Markets liegen heute stärker unter denen der Industrieländer

Bewertungschancen an einem volatilen Markt 

Aktien

Seit Jahresbeginn sind Emerging- Market-Aktien um etwa 10% gefallen.4 Das macht sie gegenüber Industrieländeraktien in vielerlei Hinsicht attraktiver, auch gemessen am erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Sicht von zwölf Monaten (vgl. Abbildung oben). Trotz der attraktiven Wachstumsper-spektiven sind Emerging-Market-Aktien günstiger bewertet als Industrieländeraktien. Insbesondere glauben wir, dass die derzeitigen Bewertungen und das hohe Gewinnwachstum für Chancen mit ausgewählten Grundstoff- und Gesundheitswerten sprechen. 

Anleihen 

Emerging-Market-Anleihen sind nach den jüngsten Marktbewegungen jetzt attraktiver bewertet. Dennoch bleiben wir vorsichtig und achten weiter genau auf die Fundamentaldaten. Wir halten den Kursrückgang eher für eine Bewertungsanpassung, ausgelöst durch Entwicklungen in einzelnen Ländern, und nicht für eine allgemeine Krise. Lokalwährungsanleihen sind besonders attraktiv bewertet. Angesichts des höheren Inflationsdrucks dürfte die Geldpolitik aber nicht mehr allzu stark gelockert werden, sodass vor allem der Zinsvorsprung (und nicht so sehr Kursgewinne) für Erträge sorgen dürften. Auch inflationsindexierte Anleihen scheinen angesichts der höheren erwarteten Inflation attraktiv. 

Währungen

Die nominalen Wechselkurse der Emerging-Market-Währungen passen zu den Inflationsdifferenzen, und die Finanzierungslücken der Leistungsbilanzen sind zuletzt zurückgegangen. Die Emerging-Market-Währungen könnten langfristig daher weiter aufwerten, sobald die derzeitige Volatilität zu Ende geht. Der brasilianische Real und der mexikanische Peso scheinen fundamental gesehen besonders unterbewertet.

Viele Emerging-Market-Währungen erscheinen gegenüber dem US-Dollar unterbewertet

1 Stand 14. August 2018. Quelle: Bloomberg
2 Als “Taper Tantrum“ bezeichnet man die fallenden Anleihenkurse nach der Mitteilung der Fed, dass sie die Geldmenge nicht mehr so stark erhöhen wolle.
3 Als “Touristen“ bezeichnen wir Investoren, die üblicherweise nicht an den Emerging Markets investieren, sich aber jetzt von den höheren Renditen angezogen fühlen.
4 Der MSCI EM IMI ist vom 31. Dezember 2017 bis zum 15. August 2018 um 10,1% gefallen (Total Return Index). Quelle: MSCI

Hier können Sie den Beitrag "Emerging Markets: Bewertungs­ chancen an einem volatilen Markt." als PDF downloaden.


Diesen Beitrag teilen: