Capital Group: Mit Emerging-Market-Anleihen verdienen

Anleihen

Portfoliomanager Rob Neithart erklärt, warum er mit blick auf EM-Anleihen optimistisch bleibt und welche Marktsegmente er besonders interessant findet. Neithart untersucht auch die Entwicklung der Assetklasse und den Ausblick für den US-Dollar.

07.01.2019 | 12:00 Uhr

An vielen Emerging Markets kam es zu einem Ausverkauf. Wie groß ist das Risiko, dass daraus eine systemische Krise entsteht?

Ich halte das Risiko einer systemischen Krise bislang für recht gering. Emerging-Market-Anleihen sind konjunktursensitiv und vom Weltwirtschaftswachstum abhängig – und ich glaube nicht, dass der Weltwirtschaft eine neue Rezession droht. China hat seine Geldpolitik deutlich gelockert, die USA betreiben eine expansive Fiskalpolitik, und Japan sowie der Euroraum haben aufgrund der weiter niedrigen Inflation keine Eile mit der Straffung ihrer Geldpolitik.

Allerdings gerieten viele Länder gleichzeitig in Schwierigkeiten, was die Investoren beunruhigt hat. Seit einiger Zeit macht China Sorgen. Die Zweifel sind zwar noch nicht passé, haben aber deutlich nachgelassen. Außerdem fürchtet man eine zu starke Straffung der US-Geldpolitik. Andere Länder wiederum haben hausgemachte Probleme, beispielsweise die Türkei und Argentinien.

Dagegen haben sich die Spreads anderer Marktsegmente, etwa die von US-dollardenominierten Emerging-Market-Anleihen mit höherer Kreditqualität und Investmentgrade-Status, in den letzten Monaten nur wenig ausgeweitet. Offensichtlich differenziert man stark, was für aktive Manager nur gut sein kann.

Viele Emerging Markets haben ein Investmentgrade-Rating, doch in volatilen Zeiten kommt es oft zu einem undifferenzierten Ausverkauf der gesamten Assetklasse. Was bedeutet das für Ihre Anlageentscheidungen?

Ich unterscheide zwischen dem Vorzeichen und dem Ausmaß der Korrelation. Ein positives Vorzeichen bedeutet, dass sich die einzelnen Marktsegmente im Wesentlichen in die gleiche Richtung bewegen. Ein schwieriges Marktumfeld, in dem internationale Aktien unter Druck stehen und sich die Credit-Spreads ausweiten, ist für die Emerging Markets meist ungünstig. Die meisten Emerging-Market-Titel bewegen sich dann in die gleiche Richtung. Aber man muss genau darauf achten, wie hoch die Kursverluste tatsächlich sind.

Das Ausmaß der Kursverluste war sehr unterschiedlich und hatte viel mit der Kreditqualität zu tun. Beispielsweise haben sich die argentinischen Spreads Anfang des Jahres um mehrere Hundert Basispunkte ausgeweitet, während sich die Spreads höherwertiger Anleihen – etwa aus Peru, Kolumbien, Polen, Rumänien und Südafrika – kaum veränderten. Diese Länder sind nachhaltiger finanziert, was Kreditprobleme sehr viel unwahrscheinlicher macht.

Als researchorientierte Investoren wollen wir die Einzelheiten verstehen und herausfinden, welche Titel fehlbewertet sein können – etwa, weil höherwertige Anleihen ohne wirklichen Grund in großem Umfang abgestoßen wurden oder ein echter Problemkredit plötzlich überraschend stabil ist. Mich interessiert dabei eher die 2. Ableitung: Es geht weniger darum, ob sich etwas Schlechtes verbessert, als darum, ob es sich besser hält als erwartet.

Macht Ihnen die Inflation in den Emerging Markets heute sorgen, insbesonde- re aufgrund des Ölpreises?

Ja, aber nur vorübergehend. Alles in allem sorgen höhere Ölpreise nicht für eine nachhaltig höhere Teuerung; meist ist der Inflationsanstieg nur von kurzer Dauer. Höhere Energiepreise wirken eher wie eine zusätzliche Steuer und nicht wie ein Schock, der für einen anhaltend hohen Preisanstieg sorgt. Aus meiner Sicht sind die Wirkungen sogar eher deflationär. Teures Öl bremst Konjunktur und Investitionen, und es belastet die Budgets. Ein mögliches Problem ist, dass die Notenbanken mit Zinserhöhungen auf höhere Energiepreise reagieren. Das berücksichtige ich bei meinen Portfolioentscheidungen.

Halten Sie zurzeit Lokalwährungsanleihen oder Fremdwährungsanleihen für interessanter?

Auf den ersten Blick scheinen Lokalwährungsanleihen interessanter als US-Dollar-Titel. In den letzten sieben oder acht Jahren sind die Erträge von Lokalwährungsanleihen hinter denen von Dollaranleihen zurückgeblieben. Dollardenominierte Titel aus Mexiko, Südafrika, der Türkei und Russland verzeichneten trotz gleicher Kreditqualität deutlich höhere Erträge als die Lokalwährungsanleihen dieser Länder. Man hätte eine gewisse Korrelation erwarten können, aber das war nicht der Fall.

Hauptgrund dafür ist, dass viele Länder auf äußeren Druck mit Währungsabwertungen reagiert haben. Wer seine Währung zu stark abwerten lässt, holt sich aber andere Probleme ins Haus – man denke an die Nachhaltigkeit der Finanzierung, die Zahlungsbilanz und die Inflation. Hinzu kommt, dass die Refinanzierungsmöglichkeiten von Unternehmen, Haushalten und dem Staat selbst Schaden nehmen, wenn die dann höheren Risikoprämien Auswirkungen auf die inländischen Zinsen haben. In einigen Ländern ist dies zurzeit der Fall, etwa in Argentinien und der Türkei.

Alles in allem scheinen mir Lokalwährungsanleihen zwar chancenreicher und atraktiver bewertet. Dennoch passe ich genau auf, um nicht in einen Titel zu investieren, der zwar billig scheint, aber dessen Währung aufgrund ungelöster Probleme immer weiter abwertet. Deshalb halte ich mich in Problemländern zurück.

Welche Länder halten Sie denn für attraktiv bewertet?

Interessant finde ich heute Mexiko und, glauben Sie es oder nicht, die Türkei und Argentinien. Diese Länder müssen Kurs halten, doch die Risikoprämien sind so hoch, dass ich sie nach wie vor attraktiv finde. Spannend sind auch einige Länder Asiens. Auch wenn die Renditen in Asien allgemein niedriger sind, scheinen mir Lokalwährungsanleihen aus Indien und aus Thailand bedenkenswert.

Sprechen wir über China. Den Investoren macht das Land Sorgen, insbesondere aufgrund seiner Bedeutung für die Weltwirtschaft. Wie sehen Sie die chinesische Konjunktur?

Zweifellos hat die chinesische Konjunktur im letzten Jahr nachgelassen, doch gibt es unterschiedliche Auffassungen über das Ausmaß des Abschwungs. Wie auch immer: Ich glaube, dass China seine Wirtschaft stabilisieren kann. Ich erwarte aber nicht, dass das Land insgesamt Schulden abbaut. In einigen Sektoren mag es so sein, aber es gibt immer auch andere, deren Verschuldung steigt, sodass es zu einem Ausgleich kommt. Insgesamt dürfte die Verschuldung in China zunehmen. Das ist nicht sehr schön und schadet der langfristigen Stabilität. Kurzfristig dürfte die steigende Verschuldung aber einen massiven Wachstumseinbruch verhindern.

Worauf sollten Investoren in China achten?

Entscheidend ist für mich die Außenposition, vor allem der Handels- und Leistungsbilanzüberschuss. Beide sind in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Mich interessieren aber auch die diversen Indikatoren für die inländische Kreditvergabe und die Liquidität der Banken. China hat eine Unzahl von Konjunkturindikatoren, doch kaum eine Zahl vermittelt ein umfassendes Bild. Unsere Analysten wissen, wie man die Daten so kombiniert, dass sie aussagekräftig sind und man genau abschätzen kann, was passiert.

Der Renminbi hat stark abgewertet. Wiederholt sich die Schwächephase des Jahres 2015?

Die derzeitige Währungsschwäche ist ganz anders. 2015 hat die Notenbank einen Großteil ihrer Währungsreserven verloren, da man ernsthaft eine Rezession mit einer harten Landung befürchtete. Viele Investoren brachten ihr Kapital außer Landes, sodass die Reserven sehr schnell massiv zurückgingen. Diesmal gibt es keine so deutlichen Anzeichen für eine Kapitalflucht; China hat nicht viele Währungsreserven verloren. Es scheint, als wollten lokale Investoren ihre Anlagen diversifizieren und auch international investieren. Sie scheinen aber keinen massiven Wirtschaftseinbruch zu befürchten. Hinzu kommt, dass die politische Führung und die Notenbank die derzeitige Renminbi-Schwäche durchaus schätzen. Auch das war 2015 ganz anders.

Wasglauben Sie, wie lange der US-Dollar noch so stark sein wird? 

Wahrscheinlich gibt es keine andere Frage, über die ich mich mit meinen Kollegen weltweit intensiver austausche. Es ist aber auch ein wichtiges Thema für meine Kollegen im Team für Emerging-Market-Anleihen, da Schwankungen des US- Dollar die Marktbedingungen entscheidend beeinflussen. Dabei geht es um die Liquidität, ihren Preis, die Credit-Spreads, die Kreditrisiken und vieles mehr

Ich glaube, dass die Dollaraufwertung in den letzten Monaten vor allem den deutlich höheren Renditen in den USA zu verdanken ist. Eine Rolle könnte aber auch die US-Steuerreform spielen, die Unternehmen rentabler gemacht hat. Dadurch wurden US-Titel für internationale Investoren attraktiver. Die Inflation hält sich in den USA weiter in Grenzen, und die Fed hat signalisiert, dass sie die Zinsen recht niedrig lassen will. Die steigenden Renditeerwartungen spiegeln also höhere Realrenditen und nicht höhere Inflationsprämien wider.

Die Frage ist aber, was als Nächstes kommt. In den frühen 1980er-Jahren war die Lage ähnlich. Auch damals war die Geldpolitik straff und die Fiskalpolitik locker. Diese Kombination führte zu einer extremen Überbewertung des US-Dollar. Wenn es dazu jetzt käme, wäre dies eine große Herausforderung für US-Unternehmen. Aber ich halte es nicht für besonders wahrscheinlich. Die Vergangenheit lehrt uns, dass die aktuelle Kombination aus Geld- und Fiskalpolitik in Verbindung mit dem erkennbar steigenden Haushaltsdefizit und dem hohen Wirtschaftswachstum am Ende zu einem höheren Leistungsbilanzdefizit führt. Wenn das geschieht, wertet normalerweise der US-Dollar ab, allerdings erst in ein bis drei Jahren.

Ich glaube deshalb, dass der US-Dollar noch einige Zeit stark bleiben kann. Aber ich denke auch, dass selbst wenn er noch ein bisschen aufwertet, viele Lokalwährungsanleihen aufgrund ihres höheren Carry und der höheren Zinsen in vielen Ländern hinreichend attraktiv bleiben. Selbst wenn wir durch die Währungsentwicklung Geld verlieren, bleiben sie eine attraktive Anlage. Zuletzt habe ich meine ungesicherten Positionen in Emerging-Market-Währungen etwas erhöht.

Sie finden Emerging-Market-Währungen also weiter attraktiv?

Unsere Währungsanalysten halten fast alle Emerging-Market-Währungen für unterbewertet. Sie haben stark abgewertet, und Schwächephasen sind oft eine gute Chance, Positionen aufzustocken. Die Investoren müssen aber langfristig denken. Sie müssen Geduld haben – zumal es noch immer politische Risiken gibt und viele Länder heute Währungsabwertungen akzeptieren.

Ich will mich in meinem Portfolio aber nicht auf Währungsrisiken beschränken. Interessant sind auch die Form der Zinsstrukturkurve und die Veränderung der Kreditqualität der Emittenten. Außerdem interessieren mich günstige und ungünstige technische Faktoren. Wichtig ist auch die Entscheidung zwischen inflationsindexierten und nominal verzinslichen Anleihen.

Halten Sie es für denkbar, dass die Emerging Markets erneut auf feste Wechselkurse setzen?

Zuletzt haben die Wechselkurse für Volatilität und Instabilität gesorgt, weil viele Schwellenländer Währungsabwertungen zuließen und von ihnen die nötigen Anpassungen erhofften. Es hat aber auch Zeiten gegeben, in denen die Währungen für Stabilität sorgten. Damals stabilisierten sie das geldpolitische Umfeld, begrenzten die Inflation und ließen die Risikoprämien zurückgehen.

Damit dies langfristig gelingt, müssen die Regierungen ihre Finanzen in Ordnung halten und auf Rettungsaktionen für das inländische Finanzsystem verzichten. Politisch ist das aber nur schwer durchsetzbar, und ich sehe daher zurzeit nur wenige Länder, die dazu bereit sind

Sie managen auch internationale Anleihenfonds. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Märkte ein, wenn Länder wie China und Indien einen immer größeren Teil des Anleihenuniversums stellen?

Dies ist eine der interessantesten Entwicklungen in meiner ganzen Berufslaufbahn. Als ich mit dem Management internationaler Anleihenportfolios begann, unterschieden sich die Industrieländer aufgrund ihrer höheren Kreditqualität deutlich von den Emerging Markets.

Heute sind die Märkte stärker integriert. In den letzten 20 Jahren sind sie durchweg enger zusammengewachsen, und dieser Prozess ist noch nicht vorbei. Ich halte das auch für naheliegend. Viele Lokalwährungsanleihenmärkte haben alle Attribute von Industrieländeranleihenmärkten: hohe Liquidität, lückenlose Zinsstrukturkurven, regelmäßige Emissionen sowie Nominalzinsanleihen und Linker. In vielen Ländern gibt es viele inländische Investoren mit ganz eigenen Anforderun- gen. Es geht also keineswegs nur um Zu- und Abflüsse ausländischen Kapitals.

Ich glaube, dass die Märkte noch vielfältiger werden. Ich denke, dass die großen, klassischen G3- und G7-Märkte im Laufe der Zeit an Bedeutung verlieren werden. Zwei der größten Emerging Markets sind noch nicht offiziell Teil des internationalen Anleihenmarkts. Zusammen wären Indien und China deutlich größer als einige der größten Märkte von heute, etwa Großbritannien. Und ich glaube, dass sich beide Länder irgendwann in den nächsten Jahren öffnen werden.

Eine Frage zum Schluss: Warum sollten Investoren, die um die Emerging Markets bislang einen Bogen gemacht haben, jetzt in Emerging-Market-Anleihen investieren?

Eine der Folgen der Finanzkrise 2008 und eines der erklärten Ziele der Geldpolitik waren sehr viel niedrigere Zinsen in den Industrieländern. Die Alternative wären umfangreiche Restrukturierungen von Anleihen gewesen. Aber dann hätte eine Depression in den USA gedroht, mit zahlreichen Zahlungsausfällen.

In vielen anderen Ländern ist das nicht so. Hier sind die Auswirkungen der Geldpolitik geringer. Beispielsweise haben die polnischen Zinsen auf die EZB-Zinsen reagiert, so wie die mexikanischen Zinsen in gewisser Weise den US-Zinsen folg- ten. Aber die Entwicklung ist nicht ganz synchron. Viele Emerging Markets bieten heute erhebliche Zinsvorteile. Auch persönlich investiere ich sehr viel in Emerging- Market-Anleihen. Ich glaube, dass sich die zusätzliche Risikoprämie von Titeln, die nicht in US-Dollar denominiert sind, am Ende auszahlt.

Außerdem möchte ich in Länder mit einer günstigeren Demografie investieren. Die demografischen Herausforderungen in den westlichen Industrieländern machen mir Sorgen, die fallenden Geburtenraten ebenso wie die schrumpfende Erwerbspersonenzahl. Technischer Fortschritt und Produktivität könnten das zwar ausgleichen, aber wenn das nicht ganz gelingt, dürften in Zukunft weniger Güter und Dienstleistungen produziert werden. Aus meiner Sicht könnte dann die Inflation kräftig steigen. Aber in den Emerging Markets ist das anders. Ich glaube, dass die Demografie hier wesentlich günstiger und längst nicht so inflationstreibend ist.

Neithart

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