Capital Group: Das Zeitalter der „Reglobalisierung“

Digital Business

Die Globalisierung war ein zentraler Treiber des weltweiten Wohlstandswachstums, das viele Menschen aus der Armut befreit hat. Seit der globalen Finanzkrise hat diese Entwicklung jedoch an Tempo verloren und könnte durch die Corona-Pandemie nun sogar noch weiter gebremst werden.

08.10.2020 | 12:15 Uhr

Nach Schätzungen der Welthandelsorganisation (WTO) könnte der globale Handel im Jahr 2020 um 13 bis 32 Prozent nachlassen – abhängig von der Dauer der Pandemie und der Wirksamkeit von geld- und fiskalpolitischen Programmen. Steven Smith, Investment Director bei Capital Group, zeigt ein alternatives Szenario auf. Er erläutert, warum die aktuellen Entwicklungen auch zu einer „Reglobalisierung“ führen könnten – also keinem Ende der Globalisierung, sondern lediglich einer Veränderung dieser. Zwei Thesen sind für ihn dabei zentral: Zum einen gewinnt der digitale Wandel an Fahrt, zum anderen werden Lieferketten neu geordnet.

Corona hat gezeigt, wie unabdingbar Digitalisierung ist

Viele entschlossene Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, zu denen auch Abstandsregeln und mobiles Arbeiten gehört haben, seien ohne vernetzende digitale Technologien nicht möglich gewesen. „Die vergangenen Monate haben nicht nur gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung ist, sondern auch, dass noch viel Luft nach oben ist“, sagt Smith. „Technologien wie 5G-Kommunikation, künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge werden die weltweiten Beziehungen zwischen Verbrauchern und Unternehmen stärken und die globale, digitale Vernetzung noch relevanter machen.“ Die dafür notwendigen Halbleiter befördern das Wachstum eines internationalen Marktes, der bis 2022 ein Volumen von 542 Milliarden US-Dollar haben sollte. Ein Unternehmen, das davon profitiere, sei etwa der internationale Marktführer ASML. Das Unternehmen bietet als einziges Extreme Ultraviolet Lithography (EUV) an, das bei der Herstellung modernster Halbleiter für neue leistungsfähige Anwendungen benötigt werde.

Multinationals können von neuen Lieferketten profitieren

Nicht nur Covid-19, sondern auch die bereits zuvor bestehenden Handelsspannungen hätten gezeigt, wie anfällig die zwar effizienten, aber instabilen gegenseitigen globalen Abhängigkeiten von Staaten und Unternehmen seien. „Vielleicht sehen wir nun das Ende der Auslagerung, auf dem die Globalisierung bisher in weiten Teilen beruhte“, sagt Smith. „Zahlreiche multinationale Unternehmen könnten aber genau von dieser Umstrukturierung profitieren.“ Unternehmen, die flexibel, innovativ und kapitalstark genug sind, um Produktionen in andere Länder zu verlegen, könnten in dieser neuen Normalität wachsen. Darüber hinaus beschleunige diese Multilokalisierung der Lieferketten Geschäftsprozesse und biete die Chance, sich zielgerichteter an regionale Verbraucher anzupassen. Ein Beispiel dafür sei der Elektrofahrzeughersteller Tesla. „Mit der Shanghai Gigafactory hat Tesla kürzlich die erste ausländische Automobilproduktion auf chinesischem Boden gestartet“, sagt Smith. „Derzeit stammen rund 30 Prozent der für das in China hergestellte Modell 3 benötigten Teile aus dem Land selbst. Durch die vertikale Integration wird jedoch davon ausgegangen, dass es am Ende 100 Prozent sein werden.“ Viele chinesische Hersteller von Komponenten für Elektrofahrzeuge könnten von dieser Herangehensweise profitieren.

Zwar müssten Unternehmen, die ihre Fertigungszentren diversifizieren oder Länder, die bestimmte strategische Produkte wieder im eigenen Land herstellen wollen, mit zusätzlichen Kosten rechnen – etwa durch Investitionen, höhere Arbeitskosten und andere Regulierungsstandards. Um Kosten zu senken, könnten einige Unternehmen jedoch vermehrt auf Automation setzen. Von diesem Beschleunigten Automatisierungstrend könnten wiederum führende Anbieter wie Keyence, der weltweit führende Hersteller von Sensoren, Messinstrumenten, visuellen Systemen und anderen Komponenten profitieren. „Während viele Investoren angesichts der zunehmenden Handelsspannungen und der Covid-19-Pandemie die Zukunft der Globalisierung in Frage stellen, sollte sich der Blick auf die Veränderung der Globalisierung, die Reglobalisierung, richten. Multinationale Unternehmen mit internationaler Reichweite und lokaler Ausrichtung können von Veränderungen des Welthandels profitieren, nicht nur dann, wenn er insgesamt anzieht“, schließt Smith.

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