Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. TiAM FundResearch fasst regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
24.02.2023 | 12:30 Uhr von «Peter Gewalt»
Neben den Folgen des Ukraine-Kriegs, der vor einem Jahr begonnen hat, stand bei den Kapitalmarktexperten diese Woche die Gewinndynamik der Unternehmen im Vordergrund.
So vertritt Dr. Martin Lück, Leiter
Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei
BlackRock, folgende Ansichten:
„Der Konsensus für die Gewinndynamik in den kommenden 12
Monaten liegt nahe null, womit weitere Kurssteigerungen durch eine
Ausweitung der Bewertungen bewirkt werden müssten. Diese allerdings erscheinen
angesichts eines Umfeldes beträchtlicher Wachstumsunsicherheit und
wahrscheinlicher weiterer Zinssteigerungen weitgehend ausgereizt.
- Die Fed Funds Futures signalisieren jetzt einen US-Leitzins von
5,25 Prozent in der Spitze, nach nur 4,85 Prozent noch vor zwei Wochen. Die bis
dato eingepreisten 50 Basispunkte Zinssenkung für die zweite Jahreshälfte sind
bis auf einen kleinen Rest aus der Preisbildung verschwunden. Die implizite
Wahrscheinlichkeit für eine Senkung liegt jetzt bei 75 Prozent – um gerade mal
0,25 Prozentpunkte.
Angesichts der zuletzt auf knapp über 2,4 Prozent gestiegenen
Inflationserwartungen auf Fünfjahresperspektive für den Euroraum bemüht sich
auch die EZB darum, möglichst glaubhaft weitere Zinsanhebungen ins Fenster zu
stellen. Zurzeit ist für die Spitze der Zinsanhebungen ein Einlagensatz
von 3,6 Prozent eingepreist, gegenüber dem aktuellen Stand von 2,5 Prozent also
weitere Schritte um mehr als 100 Basispunkte.“
Nach
Ansicht von Frank Thormann, Fondsmanager
bei Schroders, könnte eine US-Gewinnrezession unmittelbar bevorstehen:
„Es ist keine Frage mehr, ob eine
Gewinnrezession eintritt, sondern eher eine Frage, wie lange diese anhalten und
wie schwerwiegend diese sein wird“, meint der Experte. „Blickt man auf den
vergangenen Sommer zurück, so lag die Konsenserwartung für das Gewinnwachstum
bei etwa 10 Prozent für das Jahr 2023. Nun wurde diese um 11 Prozentpunkte
ziemlich stark nach unten korrigiert.“ Dies sei doppelt so hoch wie die übliche
negative Revisionsrate. Zu Beginn dieses Jahres werde derzeit erwartet,
dass die Gewinne um 1 bis 2 Prozent sinken werden. Der Gewinn je Aktie für den
S&P 500 ist in Q4 im Jahresvergleich um rund 2 Prozent zurückgegangen
(Stand: 21.02.2023). Für die nächsten Quartale wurden die Erwartungen ebenfalls
revidiert, und man rechne mit einem Gewinnrückgang von etwa 4 bis 5
Prozentpunkten.
Und obwohl viele Sektoren positive Gewinnüberraschungen lieferten, so seien
diese laut Thormann mit Vorsicht zu genießen. Hierfür gebe es zwei Gründe: „Zum
einen haben viele Unternehmen im Vorfeld ihre Gewinnerwartungen
zurückgeschraubt, um am Berichtstag positiv überraschen zu können. Zum anderen
waren die durchschnittlichen Beat Rates in früheren Quartalen deutlich höher.“
Als Stockpicker betrachte Thormann aktuell das US-Technologieunternehmen
Micron Technology langfristig als attraktiv. Er erläutert: „Bei Micron
handelt es sich um einen der weltweit führenden Halbleiterhersteller. Das
Halbleitergeschäft befindet sich zwar aktuell in einem Abwärtszyklus, unserer
Ansicht nach ist das aber einer der wenigen Bereiche der Technologie, in denen
sich die Lage im Jahr 2023 verbessern wird, und es dürfte sich hier eine
positive Wachstumslücke auftun.“
Eher vorsichtig ist der Fondsmanager bei Apple. Thormann rechne nämlich
mit einem durchwachsenen Verkauf von iPhones in diesem Jahr, wofür es drei
Gründe gebe. Einer davon sei der „Covid Hangover“. „Während der Covid-19-Pandemie
haben viele in technische Geräte investiert, was auch der iPhone-Nachfrage
Rückenwind gegeben hat.“ Dies kehre sich nun um. Ein weiterer Grund liege in
der Historie: Auf einen starken Veröffentlichungszyklus folgt in der Regel ein
schwächerer. „Da wir im vergangenen Jahr einen sehr erfolgreichen
Veröffentlichungszyklus beobachten konnten, ist nun mit einem eher
enttäuschenden zu rechnen“, erläutert Thormann. Der dritte Grund sei auf das
Verbraucherverhalten zurückzuführen. „In wirtschaftlich schwierigeren Zeiten
neigen Menschen dazu, eine so kostenintensive Neuanschaffung um mehrere Monate
hinauszuzögern, was sich eben auf die Verkäufe auswirken kann.“
Um die 55 Milliarden Euro werden allein die 40 Konzerne im Deutschen
Aktienindex (Dax) nach den Berechnungen von Analysten in diesem Jahr Euro an
ihre Aktionäre ausschütten – ein neuer Rekord. James Dow, Manager des „Global
Income Growth Fund“ des schottischen Investmenthauses Baillie Gifford, warnt
jedoch vor der Fokussierung auf eine hohe Dividendenrendite:
„Aktien,
die heute eine hohe Dividendenrendite bringen, aber nicht wachsen oder ihr
Geschäft weiterentwickeln, sind oft verschwendete Investments, die das Vermögen
des Anlegers auf lange Sicht schmelzen lassen.“
In
traditionellen Dividendenfonds würden in der Regel Unternehmen
dominieren, deren Gewinne sehr zyklisch seien und von Faktoren bestimmt würden,
die sich der Kontrolle des Managements entziehen, wie dies etwa bei den derzeit
rekordhohen Gewinnen der großen Ölkonzerne der Fall sei. Eine andere
Gefahr sei, Unternehmen im Portfolio zu haben, die eigentlich zu viel
ausschütten und eine hohe Dividendenausschüttung als Hauptwerkzeug nutzen, um
Anleger anzuziehen. Aber allzu oft würde dies bedeuten, dass ein Unternehmen
keine Wachstumsmöglichkeiten mehr sieht.
Dow: „Wir hingegen suchen nach den neuen Dividendenhelden: Unternehmen
mit nachhaltigen Geschäftsmodellen UND widerstandsfähigen Dividenden. Wir
glauben nicht an Dividenden um jeden Preis und sehen auch Wachstums- und
Dividendenaktien nicht als Gegensätze. Unternehmen, die wachsen und gleichzeitig
einen Großteil ihrer Gewinne an die Aktionäre zurückgibt, können wertvoller
sein als solche, die ihre gesamten Gewinne wieder in das Geschäft stecken
müssen, um die gleiche Wachstumsrate zu erzielen.“
Während als „Dividenden-Aristokraten“ meist sogenannte „Value“-Titel gelten,
hat Dow in seinem Portfolio zum Beispiel die Technologiekonzerne Microsoft
und Apple sowie den dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk. Zwar
bietet jede dieser drei Aktien zum aktuellen Kurs eine Dividendenrendite von
weniger als 1,5 Prozent. Aber alle drei Aktien haben in den letzten fünf Jahren
eine Gesamtrendite von mehr als 150 Prozent erzielt.
Wie gefährlich die Fokussierung auf
eine hohe Dividendenrendite und -historie sein kann, verdeutlicht Dow an einem Vergleich
zwischen Microsoft und RWE:
„Im Jahr 2011 hatte RWE eine Dividendenrendite von über 7 Prozent. Auch waren
seine Dividenden über mehrere Jahre hinweg stetig gestiegen. Also eine
scheinbar perfekte Aktie für „Income“-orientierte Anleger. Im Gegensatz dazu
lag die Anfangsrendite von Microsoft bei nur 2,3 Prozent, stieg jedoch jedes
Jahr um 10 Prozent. Eine Investition von 100 Euro hätte in diesem Zeitraum zu
Ausschüttungen von 57 Euro geführt, verglichen mit 26 Euro bei RWE (siehe Chart
anbei).
Wie falsch eine einseitige Fokussierung auf die Dividendenrendite gewesen wäre,
wird noch deutlicher, wenn man das langfristige Wachstum von Microsoft mit dem
von RWE vergleicht: Während zwischen 2011 und 2022 der Kurs von RWE um 12,2
Prozent gesunken ist, ist der von Microsoft um 760 Prozent gestiegen.“
Dow appelliert daher an Dividendenanleger, längerfristig zu denken: „Als
Dividendeninvestoren haben wir einen langen Zeithorizont. Wir wollen unseren
Kunden dabei helfen, ihren Ruhestand über 30 Jahre zu finanzieren, eine Stiftung
für wohltätige Zwecke zu gründen oder ein anderes finanzielles Ziel zu
erreichen, das sich über Jahrzehnte erstreckt - nicht nur über ein einziges
Jahr. Wir müssen unsere Denkweise auf diesen Zeithorizont ausrichten und
langfristige Erträge, nicht kurzfristige Renditen, finden.“
Mahmood Pradhan, Head
of Global Macro Economics, Anna Rosenberg, Head of Geopolitics, und Francesco
Sandrini, Head of Multi-Asset Strategies analysiert die Folgen des
Ukraine-Krieges:
„Der
Westen schickt Kampfpanzer in die Ukraine, um einer erneuten russischen
Offensive entgegenzuwirken. Unserer Meinung nach erhöht dieser Schritt das
Risiko einer direkten Eskalation zwischen Russland und dem Westen, die
Wahrscheinlichkeit eines langwierigen Krieges bleibt hoch. Wie geht es weiter?
Die meisten modernen Konflikte münden in Verhandlungen, wenn beide Seiten
hinreichend erschöpft sind. Wir denken, die Möglichkeit eines Waffenstillstands
Ende 2023 oder Anfang 2024 wird aktuell gemeinhin unterschätzt.
Die
drei wahrscheinlichsten Szenarien
- Lange andauernder Krieg (30 Prozent Wahrscheinlichkeit): Der
Westen und Russland driften weiter auseinander, der wirtschaftliche Anreiz für
einen Frieden schwindet.
- Waffenstillstand (30 Prozent Wahrscheinlichkeit): Ende 2023/
Anfang 2024 könnten Erschöpfung auf beiden Seiten, hohe Zinsen und Preise den
Druck auf westliche Politiker verstärken, Verhandlungen aufzunehmen.
- Direkte Eskalation mit dem Westen (25 Prozent Wahrscheinlichkeit):
Ein asymmetrischer Angriff auf ein Nachbarland der Ukraine könnte den Westen
zwingen, in den Krieg einzugreifen.
Was
bedeutet das für Anleger?
Corona
und Krieg waren wichtige Katalysatoren für einen groß angelegten De-Globalisierungstrend.
Das bedeutet kürzere Wertschöpfungsketten, weniger verflochtene
Volkswirtschaften, steigender Protektionismus und höhere Inflation.
Das
negativste Kriegsszenario dürfte äußerst schwerwiegende wirtschaftliche und
finanzielle Auswirkungen mit sich bringen. Es würde einen stärkeren
Aufwärtsdruck auf Produktionskosten und Inflation bedeuten. Das wiederum
würde der EZB erschweren, eine akkommodierende Geldpolitik zu verfolgen.
Militärausgaben in Höhe von etwa zwei Prozent des BIP, mehr staatliche
Hilfspakete für Haushalte und Unternehmen sowie eine stärkere Förderung der
Energiewende sind zu erwarten.
Im
Energiebereich hat Europa einen langen Weg eingeschlagen, um seine
Abhängigkeit von Russland zu verringern, neue Lieferanten zu finden und
verstärkt erneuerbare Energien zu nutzen. Dieser Prozess wird weitergehen,
unabhängig von einem möglichen Waffenstillstand oder einer Änderung des
russischen Regimes. Die EZB muss ihre Bilanz möglicherweise weiter aufstocken,
um die Prioritäten der Eurozone zu finanzieren, und die Renditekurven könnten
steiler werden.
Eine
plötzliche Beendigung des Krieges würde eine weniger steile Baisse an den Anleihemärkten
und einen geringeren Inflationsdruck bedeuten, was den Weg für einen weniger
restriktiven geldpolitischen Kurs ebnen würde. Nichtsdestotrotz wird die
Rentabilität der Unternehmen durch die Energiewende beeinträchtigt
werden, die auf verstärkte Anstrengungen der Zentralbanken, der politischen
Entscheidungsträger sowie auf öffentliche und private Unterstützung zur
Finanzierung der erforderlichen Investitionen angewiesen ist. Im Vergleich zu
einigen anderen internationalen Unternehmen haben die europäischen Unternehmen
angesichts ihrer immer noch bestehenden strukturellen Abhängigkeit von fossilen
Brennstoffen eine große Aufgabe zu bewältigen.“
Der anhaltende Ukraine-Krieg wirkt sich weiterhin auf die Wirtschaft und die Energiemärkte aus, meint
Razan Nasser, Credit Analyst bei T. Rowe Price:
„Der
Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich zum
bedeutendsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Die
daraus resultierende humanitäre Krise ist nach wie vor sehr besorgniserregend,
da das Leben der Menschen in der Ukraine massiv gestört ist. Die Invasion
selbst war der Katalysator für erhebliche wirtschaftliche und finanzielle
Marktverwerfungen in Europa und darüber hinaus. Da der Konflikt nun in sein
zweites Jahr geht, untersuchen wir seine Auswirkungen auf die Volkswirtschaften
der Ukraine, Russlands und Europas sowie die Folgen für Energie und andere
Rohstoffe.
Die tiefgreifenden und weitreichenden Sanktionen haben die russische
Wirtschaft erheblich geschwächt und für 2022 wird ein Rückgang von etwa 3 Prozent
erwartet. In diesem Jahr erwarten wir eine weitere Abschwächung, und wir gehen
davon aus, dass sich die russische Wirtschaft auf lange Sicht auf einem
deutlich niedrigeren Wachstumsniveau einpendeln wird. Der Iran bietet sich hier
als Vergleich an, da er mit ähnlich schweren Sanktionen der USA
konfrontiert war, die dazu führten, dass das nominale BIP von rund 644 Mrd. USD
im Jahr 2012 auf schätzungsweise 240 Mrd. USD im Jahr 2020 schrumpfte. Dies
verdeutlicht, wie schmerzhaft Sanktionen sein können, wenn sie über einen
längeren Zeitraum verhängt werden. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass es
für Russland als großen Exporteur von Öl und Gas schwieriger sein wird, seine
Wirtschaft vom Rest der Welt abzuschotten.
Die Wirtschaft der Eurozone ist geschwächt, aber nicht so stark wie
unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine befürchtet. Eine
Energiekrise konnte bisher vermieden werden, da es den europäischen Ländern
weitestgehend gelungen ist, ihre Gasspeicher vor dem Winter zu füllen. In
Verbindung mit dem milden Winter hat dies dazu beigetragen, dass die
Großhandelspreise für Gas gegenüber ihren Höchstständen von 2022 deutlich
gesunken sind. Auch wenn dies ermutigend ist, bleibt die Abkehr Europas vom
russischen Gas bis 2023 und darüber hinaus eine große Herausforderung, so dass
es ein Fehler wäre anzunehmen, die Energiekrise sei vorbei. In vielerlei
Hinsicht fängt sie gerade erst an.
Die europäische Gasinfrastruktur ist darauf ausgelegt, Importe aus Russland
über Pipelines aufzunehmen, und es erfordert Zeit und Geld, dies umzustellen.
Die Einfuhr von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA und Katar bietet eine
potenzielle Alternative, aber es ist unwahrscheinlich, dass das Angebot
ausreicht, um den europäischen Bedarf über einen kurzen Zeitraum hinaus zu
decken. Zudem gibt es in Europa nur begrenzte Kapazitäten für die Verarbeitung
von LNG-Importen und obwohl der Bau neuer Verarbeitungsinfrastrukturen
geplant ist, wird es wahrscheinlich mehrere Jahre dauern, bis diese
fertiggestellt sind. Langfristig werden erneuerbare Energieträger die
russischen Importe als Hauptlieferanten für den europäischen Energiebedarf
ablösen, aber es wird viele Jahre dauern, bis die dafür erforderliche Infrastruktur
aufgebaut ist. Vor diesem Hintergrund sind wir der Ansicht, dass die
europäischen Länder wahrscheinlich weiterhin vor der Herausforderung stehen
werden, genügend fossile Brennstoffe zu erhalten, um die Nachfrage im Winter
2023 bis 2024 und darüber hinaus zu decken. Dies könnte zu höheren Preisen
führen, was die Regierungen wahrscheinlich dazu zwingen wird, die
Energierechnungen weiterhin zu subventionieren. Wir sind der Meinung, dass dies
das Wachstum belasten und den Euroraum möglicherweise noch in diesem
Jahr in eine Rezession stürzen könnte, zumal die Europäische Zentralbank
voraussichtlich bald mit der quantitativen Straffung beginnen wird.
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