Capital Group: Japanische Aktien und der Olympia-Effekt

Aktien

Werden die Olympischen Spiele in Tokio 2020 Japan die Wende bringen? Investmentexperte Akira Fuse beurteilt das Potenzial der Spiele und ihre Bedeutung für die japanische Aktienstrategie der Capital Group.

21.06.2018 | 09:42 Uhr

Bis zu den Olympischen Spielen in Tokio dauert es noch zwei Jahre, aber schon jetzt finden sie viel Aufmerksamkeit. Das überrascht nicht. Als Japan 1964 letztmals die Sommerspiele veranstaltete, waren dies nicht nur die ersten in Asien. Tokio 1964 markierte auch das Ende der Nachkriegszeit und die Rückkehr Japans als Wirtschaftsmacht. Wird Tokio 2020 Japans Schicksal erneut wenden?

Premierminister Shinzō Abe hofft darauf. „Ich möchte, dass mit den Olympischen Spielen 15 Jahre Deflation und wirtschaftlicher Niedergang passé sind“, kommentierte er den Zuschlag für Tokio. Manche Beobachter gehen sogar so weit, dass sie die Spiele als „vierten Pfeil“ der Abenomics bezeichnen, neben geldpolitischer Lockerung, expansiver Fiskalpolitik und Strukturreformen.

Tatsächlich könnten die Olympischen Spiele 2020 der japanischen Wirtschaft vorübergehend Auftrieb geben. Nach Einschätzung der Bank of Japan ist dies auf zweierlei Weise möglich: durch höhere Infrastrukturausgaben vor den Spielen und durch mehr Tourismus.

Man erwartet, dass die Spiele Bauinvestitionen in Höhe von etwa 8 bis 10 Billionen Yen auslösen, durch den Neubau und die Renovierung von Stadien, Athletendörfern, Hotels und Verkehrsinfrastruktur. Die Projekte laufen schon lange; die Ausgaben dürften 2018 ihren Höhepunkt erreichen. Die Notenbank schätzt, dass das BIP bis 2018/19 dadurch um jährlich 0,4% bis 0,6% steigen kann. Allerdings könnte der olympische Bauboom nach den Spielen schnell zu Ende sein.

Bauinvestitionen durch Tokio 2020 - wichtige Projekte

Bauinvestitionen durch Tokio 2020 - wichtige Projekte

Quellen: Bank of Japan (Economic Impact of the Tokyo 2020 Olympic Games, Januar 2016), Capital Group

Geschätzte Bauinvestitionen

Geschätzte Bauinvestitionen

Nur zur Illustration.
S
tand 31. Dezember 2017. Quellen: Cabinet Office, Bank of Japan, Capital Group

Zum Vergleich: Der Tourismus, der schon jetzt das Wachstum entscheidend voranbringt, kann langfristiger wirken. Durch die Spiele könnte er weiteren Auftrieb bekommen. Die Regierung Abe und der Bürgermeister von Tokio haben viel getan, damit sich ausländische Touristen wohler fühlen: bessere Netzabdeckung und öffentliche Verkehrsmittel, mehr englischsprachige Schilder und regionale Projekte, damit mehr Touristen neue Ziele entdecken.

Durch diese Maßnahmen soll die Zahl ausländischer Besucher von 28,7 Millionen im Jahr 2017 auf 40 Millionen im Jahr 2020 und 60 Millionen im Jahr 2030 steigen.

Kontinuierlich steigende Ausgaben ausländischer Touristen könnten das japanische Wirtschaftswachstum nachhaltiger machen. Dennoch ist es oft schwierig, die direkten und indirekten Profiteure zu ermitteln, da der Tourismus zahlreiche Branchen in unterschiedlicher Weise betrifft

Tourismusboom in Japan

Tourismusboom in Japan

Quelle: Japan National Tourism Organization Jahresdaten, Stand 31. Dezember 2017

London 2012 und Tokio 2020

Um mehr über die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen von Tokio 2020 zu erfahren, kann es helfen, sich mit den Londoner Erfahrungen aus dem Jahr 2012 zu befassen. Wie London ist Tokio eine hoch entwickelte Stadt, die kompakte Spiele plant. Viele Sportstätten sollen dicht am Olympischen Dorf liegen. 

In einem nacholympischen Bericht für das britische Kultur­, Medien­ und Sportministerium wurde der wirtschaftliche Nutzen der Spiele auf 58 bis 83 Milliarden Pfund geschätzt (zusätzliche Wertschöpfung von 2004 bis 2020, aggregiert). Das sind etwa 3,4% bis 4,9% des BIP des Jahres 2012 – oder etwa 0,2% bis 0,3% jährlich.

Auch der Arbeitsmarkt dürfte profitieren. Man rechnet mit etwa 620.000 bis 890.000 zusätzlichen Mannjahren bis 2020. Bei den jährlich 36.000 bis 52.000 neuen Stellen ist aber zu beachten, dass Großbritannien Ende 2017 34 Millionen Erwerbspersonen hatte, gegenüber etwa 67 Millionen in Japan.

Wirtschaftlicher Nutzen der Olympischen Spiele in London

Wirtschaftlicher Nutzen der Olympischen Spiele in London

Schätzungen, nur zur Illustration.
Bei der Basisschätzung profitierte die Wirtschaft vor allen Dingen in den Jahren 2004 bis 2012, bei der Maximalschätzung vor allem in den Jahren 2013 bis 2020. Quellen: britisches Ministerium für Kultur, Medien und Sport (Meta­Evaluation of the Impacts and Legacy of the London 2012 Olympic Games and Paralympic Games, Juli 2013), CapitaI Group

Interessant ist, dass der britische Bericht nicht nur auf die direkten und indirekten Auswirkungen der Olympischen Spiele eingeht, sondern auch auf den Multiplikatoreffekt, also die zusätzliche Wertschöpfung und Beschäftigung durch die Ausgaben jener Menschen, die direkt oder indirekt von den Spielen profitieren.  Der  Multiplikatoreffekt schafft Stellen in Branchen, die die von diesen Menschen gekauften Produkte und Dienstleistungen herstellen – u.a. im Einzelhandel und der Freizeitbranche, bei diversen Konsumgüterherstellern und Dienstleistern.

Der Beschäftigungszuwachs dürfte alle Sektoren betreffen. Der Löwenanteil wird dank des Multiplikatoreffekts aber wohl auf den Groß­ und Einzelhandel entfallen. In Japan, wo die Reflation allmählich zu Ende gehen dürfte, könnte er helfen, den Binnenkonsum zu stärken und die Verbraucherpreise steigen zu lassen. Längerfristig werden Abes Arbeitsmarktreformen aber ebenso wichtig sein. Zu ihnen zählen höhere Löhne und Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung.

Dieses Mal ist alles anders: Tokio 1964 und Tokio 2020

Als Abes Großvater, der frühere Premierminister Nobusuke Kishi, die Olympischen Spiele 1964 nach Tokio brachte, befand sich das Land noch am Anfang der wirtschaftlichen Entwicklung. Damals wuchs das japanische BIP schnell. Die Investitionen durch die Spiele, schätzungsweise 1 Billion Yen, sorgten für weiteren Auftrieb.

Zu den vielen Infrastrukturprojekten zählten der Bau der ersten Eisenbahn­Direktverbindung zwischen Osaka und Tokio, neue Autobahnen und U­Bahnen sowie ein großes Stadtentwicklungsprogramm. 1964 betrug das japanische BIP nominal 29,5 Billionen Yen. Investitionen von 1 Billion Yen machten etwa 3,4% der Wirtschaftsleistung aus.

Dieses Mal werden die Spiele nicht so große Auswirkungen haben – weil Japans Volkswirtschaft mit einem Volumen von etwa 546,5 Billionen Yen (2017) wesentlich größer ist und weniger Bauinvestitionen nötig sind. Die geschätzten Investitionen infolge der Spiele, etwa 8 bis 10 Billionen Yen, entsprechen etwa 1,5% bis 1,8% des BIP. 

Arbeitsmarkteffekte der Olympischen Spiele in London
Basisschätzung (Mannjahre, netto) nach Sektoren (2004–2020)

Arbeitsmarkteffekte der Olympischen Spiele in London

Schätzungen, nur zur Illustration.
Quellen: britisches Ministerium für Kultur, Medien und Sport (Meta­Evaluation of the Impacts and Legacy of the London 2012 Olympic Games and Paralympic Games, Juli 2013), CapitaI Group

Wirtschaftliche Auswirkungen der Olympischen Spiele in Tokio
Japanisches BIP und BIP-Deflator

Wirtschaftliche Auswirkungen der Olympischen Spiele in Tokio

BIP = Bruttoinlandsprodukt.
Daten für 1956 bis 2022: Daten ab 2018 sind IWF­Schätzungen, die nur der Illustration dienen.
Quellen: Cabinet Office, IWF, Capital Group

Der Blick nach vorn: 2020 und danach 

Alles in allem spricht die Analyse der Olympischen Spiele in Tokio zwar für positive, aber doch keineswegs große oder nachhaltige wirtschaftliche Auswirkungen. Die Investitionen dürften 2018 oder 2019 ihren Höchststand erreichen. Statt auf kurzfristige Erfolge zu setzen, verfolgen wir lieber einen längerfristigen Ansatz. Hier bietet Japan beeindruckende Anlagechancen dank einer Reihe langfristiger Entwicklungen.

1.   Lohnanstieg

Die japanische Arbeitslosenquote ist im Januar auf 2,4% und damit auf ein 24­Jahres­Tief gefallen. Das Verhältnis von offenen Stellen zu Bewerbern ist mit 1,59 so hoch wie seit den 1970er­Jahren nicht mehr. Früher wurden offene Stellen oft mit Teilzeitarbeitern gefüllt, die meist weniger als Vollzeitkräfte verdienten. Diese jahrzehntealte Praxis geht jetzt zu Ende. Immer mehr Unternehmen bieten unbefristete Vollzeitstellen an, da es ihnen schwerfällt, Mitarbeiter zu finden. Dies dürfte zu höheren Löhnen führen und letztlich den Konsum fördern.

2.    Erholung des Einzelhandels 

Der anhaltend schwache private Verbrauch, der etwa die Hälfte des japanischen BIPs ausmacht, war eine der größten Herausforderungen für das Land. Aus unserer Sicht liegt dies zum Teil an Mängeln des Gesundheits­ und Sozialsystems. Verunsicherte Verbraucher sparen mehr: Die japanischen Haushalte haben daher Unmengen an Geld auf ihren Bankkonten angehäuft. Steigende Löhne und ein besseres Verbrauchervertrauen im Vorfeld der Olympischen Spiele 2020 könnten zu höheren Ausgaben führen. 

3.    Nachfrage von Touristen 

Um bis zu den Spielen im Jahr 2020 das Ziel von 40 Millionen ausländischen Besuchern zu erreichen, hat die Politik die Visa­Vorschriften weiter gelockert und Billigfluglinien ermutigt, wichtige Flughäfen zu bedienen. Dies hatte einen gewissen Erfolg: Der Tourismus wurde ein wichtiger Wirtschaftsfaktor; 2017 besuchte eine Rekordzahl von 28,7 Millionen ausländischen Touristen Japan. Die Tourismusausgaben stiegen auf ein Allzeithoch von 4,4 Billionen Yen, davon knapp zwei Drittel für Einkäufe und Übernachtungen. Bis zu den Spielen dürfte der Tourismus weiter stark wachsen, und auch darüber hinaus. Es gibt Erstbesucher ebenso wie Menschen, die schon einmal in Japan waren.

4.    Neubewertung von Aktien

So wie die Olympischen Spiele 1964 das Bild von Japan veränderten – von einem kriegszerstörten Land zu einer modernen, fortschrittlichen Nation – bieten die Spiele 2020 die Chance, das Bild vom Land der verlorenen Jahrzehnte zu revidieren. Die Spiele könnten Japan in einem besseren Licht erscheinen lassen und das Interesse ausländischer Investoren steigern. Dies könnte zu einer Neubewertung japanischer Aktien führen.

Vorsichtig bleiben und rechtzeitig handeln 

Unser Investmentansatz möchte Anlegern helfen, langfristig erfolgreich zu sein. Wir investieren in japanische Unternehmen aufgrund ihrer mittel­ bis langfristigen Fundamentaldaten und achten dabei genau auf die Bewertungen. Unser Japan Equity Portfolio enthält zurzeit nur wenige Titel, die direkt von den Olympischen Spielen 2020 profitieren können. 

An unseren langfristigen Investmentthemen hat sich insgesamt nicht viel geändert. Uns interessieren nach wie vor Unternehmen, die vom Internet der Dinge* und der Fabrikautomatisierung profitieren können. Attraktiv sind auch Banken und Finanzdienstleister, denen die Reflation zugutekommt, sowie Unternehmen aus Wachstumsnischen mit internationalen Wettbewerbsvorteilen. Unternehmen, die sich rechtzeitig neu aufstellen und ihre Corporate Governance verbessern, sind ein weiterer Schwerpunkt.

Wichtige Investmentthemen

Zunehmende Fabrikautomatisierung und das Internet der Dinge 
Wir setzen auf Unternehmen mit fortschrittlichen Sensor- und Datensicherheitstechnologien. Diese Firmen dürften von intelligenten Fabriken, fortschrittlichen Sicherheitssystemen für Autos und dem Internet der Dinge profitieren.

Deflation in einem Niedrigzinsumfeld überwinden
Megabanken dürften davon profitieren, wenn Japan die Deflation überwindet. Da die Zinsen aber wohl langfristig niedrig bleiben, diversifizieren wir im Finanzsektor in Wertpapierhäuser und Leasingdienstleister. Die Attraktivität ausgewählter Bankaktien beurteilen wir neu. 

Aufstrebende Nischenanbieter mit attraktivem Wachstumspotenzial
Viele kleine und mittlere Unternehmen haben hohe Weltmarktanteile in Nischen. Ausgewählte Unternehmen mit mehrwertstarken Produkten, etwa aus dem Bereich saubere Energie, bieten ebenfalls die Aussicht auf nachhaltiges Wachstum, wenn die Nachfrage steigt. 

Höhere Rentabilität und Wachstumspotenzial durch Restrukturierungen Ein weiterer Schwerpunkt sind Unternehmen, die durch Restrukturierungen für mehr Rentabilität und Wachstum sorgen – etwa durch den Verkauf unrentabler Geschäftsteile, die Entwicklung neuer Produktsegmente und die Umschichtung von Ressourcen in Wachstumsbereiche.

* Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) ist ein Netzwerk aus physischen Objekten oder Dingen“ mit einer Technologie, die Informationen erfassen und übertragen kann.


Diesen Beitrag teilen: