Anleger weisen in der Regel tief verwurzelte Überzeugungen darüber auf, welche Vermögenswerte sich unter verschiedenen Marktgegebenheiten am besten entwickeln – und das oft aus gutem Grund.
31.03.2023 | 08:05 Uhr
Doch manchmal ist die allgemeingültige Meinung auch überholt. Technologie und Gesundheit sind gute Beispiele für Sektoren, die bei der Aktienallokation ganz andere Rollen einnehmen können als womöglich erwartet.
Der Informationstechnologiesektor ist für gewöhnlich ein Barometer
für eine positive Marktstimmung. In Zeiten, in denen Wachstumstitel
favorisiert werden, haben Blue-Chip-Unternehmen aus dem
Technologiesektor in der Vergangenheit überdurchschnittliche Renditen
erzielt, gleichzeitig aber auch entsprechend hohe Volatilität und
Abwärtsrisiken verzeichnet.
Der Ruf der Technologiebranche als offensiver Bolide mit nur unsicherem
Schutz geht zum Teil auf die FAANG-Titel (Facebook, Apple, Amazon,
Netflix und Google) zurück, welche den Sektor in den vergangenen Jahren
angeführt haben. Der Marktabschwung im letzten Jahr hat jedoch das Abwärtsrisiko großer Technologiewerte
verdeutlicht, die stark hinter dem breiteren Markt zurückblieben,
obschon Aktien ihre schlechteste Wertentwicklung seit der globalen
Finanzkrise 2008/2009 verzeichneten.
Das FAANG-Phänomen hat zusammen mit dem Aufstieg und Fall unrentabler
Technologiefirmen den Eindruck erweckt, dass Technologieaktien keinen
sehr guten Schutz bieten. Was genau meinen wir damit? Defensive Papiere
bieten traditionell möglicherweise nicht dasselbe Wachstumspotenzial,
weisen jedoch ein deutlich geringeres Abwärtspotenzial auf – dies
bedeutet, dass sie in Abschwungphasen weniger stark nachgeben als der
Markt. Neben den Bereichen Versorger und Basiskonsumgüter gilt das
Gesundheitswesen seit Langem als einer der zuverlässigsten defensiven
Sektoren, der einen wertvollen Schutz bei sich eintrübender
Marktstimmung bietet. Grund hierfür ist die relativ unelastische
Nachfrage nach medizinischer Versorgung. Krankenhäuser,
Pharmaunternehmen, Hersteller medizinischer Geräte und
Krankenversicherer sind in der Lage, unabhängig von
Konjunkturschwankungen solide Umsätze zu erzielen.
Die gängige Meinung in Bezug auf Risiko und Schutz beginnt allmählich, sich zu wandeln.
Im Technologiesektor mögen die FAANG-Titel zwar als Divas – glamourös,
aber launisch – gelten und haben unrentable Technologiefirmen dem
Ansehen der Branche keinen Gefallen getan. Dennoch beherbergt der Sektor
zahlreiche rentable Qualitätsunternehmen, die im Hintergrund und ohne
den für die großen Stars der Branche üblichen Lärm und das Getöse
agieren. Dazu zählen die Computer-Hardwarehersteller,
Zahlungsdienstleister, Cloud-Computing-Anbieter und Chiphersteller, die
das Rückgrat der informationsbasierten Wirtschaft darstellen und unseren
gesamten Alltag durchdringen. Diese unscheinbaren, aber zuverlässigen
Akteure verfügen über nachhaltige Geschäftsmodelle und erzielen hohe,
wiederkehrende Umsätze.
Dank ihrer Fähigkeit, sich vor starken Preisschwüngen zu schützen, konnten diese Technologie-Wegbereiter höherer Qualität den Informationstechnologiesektor
als Ganzes 2022 hinter sich lassen. Dies ist zum Teil auf ihre im
Vergleich zu den Big-Tech-Titeln geringere Sensibilität – d.h. ihr
niedrigeres Beta – gegenüber dem Markt zurückzuführen. Rund ein Viertel
der im MSCI World Index enthaltenen Technologiewerte weist ein Beta von
weniger als 1,0 auf, womit sie in dieselbe Kategorie fallen wie
traditionelle defensive Titel (vgl. Abbildung).
Doch das sind noch nicht alle Vorteile. Anders als ertragsorientierte defensive Sektoren, die anfällig auf Zinsveränderungen reagieren, können einige der hochwertigsten Technologietitel mit niedrigem Beta aufgrund ihrer relativ geringen Verschuldung Schutz vor steigenden Zinsen bieten.
Doch nicht nur der Technologiesektor legt sein altes Gewand ab. Auch
der Gesundheitssektor wächst mittlerweile über seine traditionelle Rolle
als defensives Engagement hinaus.
Zugegeben, er ist nach wie vor gut darin, die Schäden infolge von Marktrückgängen zu begrenzen.
In einem ansonsten verheerenden Jahr für Aktienanleger boten Gesundheitswerte 2022 eben jene Stabilität,
die wir von einem defensiven Sektor erwarten würden. Globale
Gesundheitswerte verzeichneten auf Jahressicht ein Minus von 5,4% auf
USD-Basis und ließen damit den MSCI World um über 12 Prozentpunkte
hinter sich. Damit setzt sich ein Trend fort, der in den vergangenen
zwei Jahrzehnten zu beobachten war, in dessen Rahmen der
Gesundheitssektor in Abschwungphasen am Markt konsistent
überdurchschnittlich abgeschnitten hat.
Für Überraschung sorgt indes womöglich die Tatsache, dass
Gesundheitswerte den globalen Index auch im Zuge der Erholung am
Aktienmarkt im 4. Quartal 2022 übertrafen. Damit zeichneten sie sich
durch ein Maß an Offensivität aus, mit dem in der Regel nicht bei einem
defensiven Sektor gerechnet wird. Tatsächlich haben Gesundheitstitel in
den vergangenen zehn Jahren zu rund 90% an der Aufwärtsbewegung der
breiten globalen Märkte partizipiert (vgl. Abbildung).
Der technologische Wandel im Gesundheitswesen
Der Gesundheitssektor befindet sich in der Frühphase eines Wandels, der wohl am ehesten als technologische Revolution
zu bezeichnen ist. Aufstrebende Technologien bewirken Veränderungen in
der Medikamentenherstellung, die es Pharmaunternehmen ermöglichen,
Behandlungen selbst bei seltenen Erkrankungen zu personalisieren und
dabei Gewinne zu erzielen. Abgesehen vom Pharmasegment revolutionieren
die Telemedizin und Robotik die Verfahrensweisen bei operativen
Eingriffen, während innovative Diagnostik- und neue
Life-Science-Instrumente eine frühzeitige Erkennung von
Krankheitsbildern ermöglichen.
Diese technologische Revolution stärkt die Wachstumsmerkmale der
Gesundheitsunternehmen, die sich im Vergleich zu den breiten globalen
Indizes durch starke Wachstums- und Rentabilitätskennzahlen auszeichnen
(vgl. Abbildung).
Im Einklang mit diesem Trend weisen Biotech-Werte bei den meisten
Allokationen im Gesundheitswesen mittlerweile eine höhere Gewichtung
auf. Diese können aber schwankungsanfällig sein, weshalb die
Titelauswahl hier entscheidend ist. Letzten Endes täten die Anleger
unseres Erachtens am besten daran, den Fokus auf solide Geschäftsmodelle
zu legen und nicht zu versuchen, die wissenschaftliche Entwicklung
vorherzusagen. Anstatt ein umfangreiches Exposure mit Bezug zur
Medikamentenpipeline eines Unternehmens aufzubauen, die bekanntermaßen
schwer zu prognostizieren ist, wäre es unserer Ansicht nach besser,
Ausschau nach Unternehmen mit hohen oder steigenden Kapitelrenditen und
starken Reinvestitionsfähigkeiten zu halten.
In einer Welt, in der Online-Suchanbieter in das Gesundheitswesen
vordringen und Gesundheitssoftware zu den führenden Segmenten im
Technologiebereich zählt, dürfte es nicht überraschen, dass die alten
Vorstellungen von Risiko und Schutz auf den Kopf gestellt werden.
Technologiewerte mit geringerer Volatilität können ein ungeahntes Maß an
Stabilität für ein defensives Aktienportfolio bieten, während eine
Allokation im Gesundheitswesen oftmals für solides Wachstumspotenzial
sowie einen Puffer gegen Schwankungen an den Märkten sorgen kann. In
beiden Sektoren liegt der Schlüssel zur Erzielung konsistenter Renditen
darin, über die prominenten Headliner hinwegzuschauen und den Fokus auf
Unternehmen zu legen, die ihrer Tätigkeit rentabel und ohne viel
Aufsehens nachgehen.
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