Capital Group: Nachhaltiges Investieren beruht auf tiefgehenden Analysen

Capital Group: Nachhaltiges Investieren beruht auf tiefgehenden Analysen
ESG

Frank Beaudry, Investmentanalyst bei Capital Group, geht einen Schritt weiter, um den Ansatz eines Unternehmens zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu untersuchen.

17.05.2021 | 08:31 Uhr

Vor Kurzem unternahm Frank Beaudry gemeinsam mit dem CEO des Energieunternehmens Enel eine Fahrradtour durch die Dolomiten in Italien. Francesco Starace, vormals Leiter des Bereichs für erneuerbare Energien des Unternehmens, ist dabei, die Geschäftspraktiken von Enel zu verändern. Es war keine typische Research-Tour, aber seine Anwesenheit vor Ort bot Frank Beaudry die Möglichkeit, ein tieferes Verständnis dafür zu erlangen, wie das Unternehmen geführt wird.

„Wenn man vor einigen Jahren die externen ESG-Kennzahlen anschaute, hätte man Enel als Beispiel für einen staatlichen, kohlenstoffemittierenden, verschlafenen Riesen sehen können“, so Frank Beaudry. „Aber es hat sich zu einem völlig anderen Unternehmen gewandelt.“ Während sie mit dem Fahrrad kurvenreiche Steigungen hinauffuhren, sprachen sie über die Lernkurve, den Risikomanagementansatz und den langen Prozess der Entwicklung erneuerbarer Energien.

„Davon hätte ich vor fünf Jahren anhand eines farbkodierten externen Ratings nichts erfahren“, bemerkt Frank Beaudry. „Ich musste mit dem CEO und dem CFO über ihre Vision des Zyklus von Investitionsausgaben zu Erträgen aus erneuerbaren Energien sprechen.“

Einen langfristigen, anhaltenden Dialog mit der Unternehmensleitung zu führen, anstatt nur die Finanzunterlagen zu prüfen, kann Aufschluss über die Denkweise – und die Handlungen – des Managements in Bezug auf ESG-Themen geben. Ein nachhaltiger Geschäftsplan muss ESG-Erwägungen beinhalten, wenn er darauf ausgelegt ist, über die vierteljährlichen Renditen hinauszuschauen und das nächste Vierteljahrhundert positiv zu beeinflussen. Die Herausforderung besteht darin, festzustellen, welche ESG-Themen wesentlich sind, und abzuschätzen, wie sich dies im Laufe der Zeit in den Aktienkursen niederschlagen wird.

Nachhaltige Anlagen zu finden, ist keine leichte Aufgabe

Viele Anleger, die sich von ESG-Fonds angezogen fühlen, halten dies möglicherweise für eine einfache Lösung – den schnellsten Weg, ihr Geld dort einzusetzen, wofür ihr Herz schlägt. Es gibt jedoch kein „Universalkonzept“, das für alle passt.

„Wir haben einige offensichtliche Prioritäten, wie den Klimawandel, die Menschenrechte oder Diversität des Vorstands“, so Matt Lanstone, ESG Head of Research and Investing bei Capital Group. „Es gibt jedoch auch andere ESG-Aspekte, die nicht so oft in den Schlagzeilen sind – Dinge wie Lieferkettenprobleme oder die Versorgung von unterversorgten Communities.“

Da das Bewusstsein für ESG weiter wächst, ist es wichtig zu bewerten, wie diese Aspekte in die Portfolios passen. „Wenn ich an die Zeit vor zehn Jahren zurückdenke, gab es damals einige Spezialfirmen, die Impact Investing oder gewisse Ausschluss-Screenings anwandten, die Mehrheit der Vermögensverwalter sprach jedoch nicht viel über ESG“, sagt Matt Lanstone. „Heute hat so gut wie jeder große Vermögensverwalter ESG-Aspekte in seinen Anlageprozess integriert.“

Es gibt viele unterschiedliche Arten von ESG-Fonds. Manche schließen Branchen wie Erzeuger von fossilen Brennstoffen oder Waffenproduzenten aus, andere suchen nach Emittenten, die als Best-in-Class-Performer in Bezug auf ESG-Aspekte angesehen werden. Ein thematischer Ansatz kann sich auf bestimmte Trends konzentrieren, beispielsweise den Klimawandel oder die Energiewende.

Wie also können Anleger wirklich nachhaltige Anlagen finden? Ratings von externen Research-Firmen, darunter Sustainalytics und MSCI, sind Teil einer Lösung – jedoch keine vollständige Lösung.

Externe Ratings sind hilfreich, aber unvollständig

Mit dem zunehmenden Interesse an ESG wächst auch das Interesse daran, wie das Engagement eines Unternehmens in Bezug auf ESG-Aspekte beurteilt und sein Einfluss gemessen werden sollten. Aber selbst unter den Ratingagenturen besteht keine Einigkeit darüber, was eine gute nachhaltige Anlage ausmacht.

Die Ratings von MSCI beispielsweise bewerten ein Unternehmen im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern in der gleichen Branche. Sustainalytics von Morningstar bewertet ein Unternehmen auf der Grundlage seiner Exposition gegenüber den ESG-Risiken einer Branche oder Region und berücksichtigt die Maßnahmen eines Unternehmens zum Management dieser Risiken.

Eine aktuelle Studie von der MIT Sloan School of Management stellte eine geringe Korrelation von lediglich 0,61 zwischen den Ratings der großen Anbieter fest. Im Vergleich dazu weisen die Kreditratingagenturen eine zuverlässigere Korrelation von 0,92 auf.

Externe Daten allein bieten keine Antworten für Anleger, die in Unternehmen investieren möchten, die ihre eigenen ESG-Prioritäten widerspiegeln. Ein einzelnes Unternehmen kann sehr unterschiedliche Ratings erhalten. Daher müssen die Anleger auch die Aspekte verstehen, die nicht in den herkömmlichen Kennzahlen erfasst werden.

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„Daten sind ein guter Ausgangspunkt, sie sind aber allein nicht ausreichend“, sagt David Polak, Equity Investment Director. „Wir möchten verstehen, wo es Chancen geben könnte, die der Markt noch nicht erkannt hat. Oder wir haben einen Aspekt entdeckt, der noch nicht als Risiko verstanden wird. Vor allem beziehen sich externe Ratings auf die Vergangenheit, während sich die Anleger auf die Zukunft konzentrieren. Es gibt keine zukünftigen Fakten.“

Matt Lanstone erinnert sich an ein Beispiel aus jüngster Zeit. „Ein bekanntes Einzelhandelsunternehmen erhielt hohe Bewertungen von den externen Agenturen, und das Interesse der Anleger war groß. Das Research unseres Analysten vor Ort warf jedoch Fragen hinsichtlich der Lieferketten und der Nachhaltigkeit der Margen auf. Wir waren nicht verwundert, als spätere Nachrichten und Anschuldigungen bezüglich der Lieferkette den Ansatz unseres Analysten im Nachhinein bestätigten.“

Die Anleger müssen versuchen, stets einen Schritt voraus zu sein, wenn sie die Zukunft mitgestalten wollen. Tiefgehende Analysen und die persönliche Interaktion mit der Unternehmensleitung können Chancen und Risiken aufdecken, die in den Bewertungen nicht berücksichtigt sind, und ein aktiver Fondsmanager kann auf der Grundlage neuer Informationen beschließen, Mittel zu investieren oder abzuziehen. Passive ESG-Vehikel können jedoch keine menschlichen Urteile oder Anlageentscheidungen treffen, da sie im Allgemeinen den Index nachbilden, auf dem sie basieren.

Aktive Herangehensweise an ESG-Themen

Auf der Suche nach ESG-freundlichen Anlagen meiden manche Manager oder Produkte ganze Branchen oder Unternehmen, die in eine Kontroverse verstrickt waren. Aber kann ein Investmentmanager damit etwas bewirken?

„Der Vorteil von Ausschlüssen ist, dass man eine sofortige Wirkung sieht“, sagt Matt Lanstone. „Wenn Sie sich von einer Branche abwenden, stimmen Sie jedoch mit den Füßen ab. Sie haben kein Mitspracherecht mehr in Bezug darauf, wie das Unternehmen oder die Branche das Thema Nachhaltigkeit angehen wird. Und letztlich schließen Sie möglicherweise nachhaltige Anlagen aus, die Renditen erzielen könnten.“

Im Gegensatz dazu kann die weitere Anlage und das Engagement in diesen Unternehmen aktiven Fondsmanagern einen gewissen Einfluss in Bezug auf Veränderungen verschaffen.

„Es kann einige Zeit dauern, bis das Engagement Wirkung zeigt“, so Matt Lanstone weiter. „Worauf es ankommt, ist, eine langfristige Perspektive einzunehmen und zu verstehen, dass sich die Verbesserungen der ESG-Performance letztlich in überdurchschnittlichen Renditen niederschlagen können.“

Das Engagement funktioniert jedoch möglicherweise nicht immer. „Natürlich müssen wir akzeptieren, dass einige Unternehmen sich nicht zu Verbesserungen verpflichten wollen“, sagt David Polak. „Und ein aktiver Anleger kann beschließen, aus der Investition auszusteigen. Wir werden sicherlich einzelne Unternehmen ausschließen, wenn wir der Meinung sind, dass sie aufgrund von ESG-Problemen keine gute langfristige Anlage darstellen.“

Die Eigentümerschaft ist mit Verantwortung verbunden, da die Fondsmanager im Namen der Aktionäre mit der Unternehmensführung kommunizieren.


Beteiligung an der Energiewende

Ein aktives Engagement kann einem Vermögensverwalter die Möglichkeit bieten, Unternehmen zu Fortschritten in Richtung einer saubereren, grüneren Zukunft zu ermutigen.

„Eine der besten verfügbaren Anlagen könnte als schmutziger Umweltsünder wahrgenommen werden, der entsprechend gebrandmarkt ist und dessen Aktienbewertung dies widerspiegelt“, sagt David Polak. „Eine vorausschauende Analyse könnte jedoch zeigen, dass das Unternehmen nach Lösungen für seine Probleme sucht. In drei bis fünf Jahren würde der Markt dies erkennen, während die Anleger der ersten Stunde möglicherweise davon profitiert haben.“

Die Sektoren, für die Frank Beaudry zuständig ist, können problematisch sein. Versorgungs- und Bergbaugesellschaften haben zahlreiche Berührungspunkte mit Regierungen und der Öffentlichkeit, sowie ein Risiko für Kontroversen, von Kohlenstoffemissionen über Sicherheitsbedenken bis hin zur Interaktion mit den lokalen Communitys.

„Ich beziehe ESG-Erwägungen in hohem Maße in meinen Denkprozess als Analyst ein“, sagt Frank Beaudry. „Sie können den Unterschied ausmachen zwischen einer Mine, die weiter in Betrieb ist, und einer, die nur kurzfristige Einnahmen für die nächsten fünf Jahre hat. Es geht nicht darum, Sonnenkollektoren auf ein Dach zu setzen; es geht um die Frage, ob ein Unternehmen in 10 oder 20 Jahren noch existieren wird.“

Aspekte in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung mögen nicht greifbar erscheinen, aber sie können einen sehr realen Einfluss auf die langfristige Rendite haben.

„ESG-Themen werden sich im Laufe der Zeit auf die Jahresabschlüsse auswirken“, so Frank Beaudry weiter. „Ich muss die ESG-Aspekte verstehen, wenn meine Annahmen zu Wachstum, Kosten und Langlebigkeit sowie Nachhaltigkeit der Erträge etwas bedeuten sollen. Ich muss die strukturellen Trends in der Branche verstehen und feststellen, ob die Ertragsströme wachsen werden. Unternehmen waren vor ein paar Jahren gut darin, Kohlekraftwerke zu bauen, aber jetzt brauchen sie Fähigkeiten, um Wachstum zu erzielen, und das ist der Bereich erneuerbare Energien.“

Ein Beispiel für ein Unternehmen, das bei der Umstellung auf erneuerbare Energien eine führende Stellung einnimmt, ist Ørsted, ehemals Danish Oil and Natural Gas, das heute kein Öl oder Erdgas mehr fördert. Stattdessen ist es zum größten Entwickler von Offshore-Windparks geworden.

„In den späten 2000er Jahren erkannte die Geschäftsleitung, dass das Unternehmen als Versorgungsgesellschaft auf Basis fossiler Brennstoffe keine Zukunft hatte, und begann eine Mission, um Offshore-Windanlagen wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen“, erklärt Frank Beaudry. „Dies ist nun der Fall. An der Ostküste der USA wird es zahlreiche Offshore-Windkraftanlagen geben. Auch in Japan, Korea und Taiwan werden solche Anlagen gebaut. Dies ist eine sehr reale Technologie.“

Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie sich ökologische und ökonomische Belange überschneiden können.

Der ESG-Ansatz der Capital Group

Sie werden derzeit keinen Fonds von uns finden, der speziell als ESG- oder Nachhaltigkeitsfonds gekennzeichnet ist. „Wir integrieren ESG-Aspekte in alle unsere Strategien“, sagt David Polak. „Im Laufe der Zeit werden wir möglicherweise darüber nachdenken, wie andere Ansätze zu uns passen. Unser Fokus liegt jedoch darauf, sicherzustellen, dass wir eine einheitliche Integration über unseren gesamten Prozess hinweg erzielen und dass das Ergebnis von Dauer ist.“

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Über die Autoren

Frank Beaudry - Aktienanalyst

Frank Beaudry ist Aktienanalyst mit 11 Jahren Branchenerfahrung. Er besitzt einen MBA von der London Business School sowie einen Bachelor-Abschluss in Zivilrecht und Common Law von der McGill University.

Matt Lanstone - ESG Head of Research and Investing

Matt Lanstone ist Global Head of Research and Investing in ESG mit 28 Jahren Branchenerfahrung (Stand 31.12.2020). Er hat einen Bachelor-Abschluss mit Prädikat in Volkswirtschaft und Rechnungswesen von der Universität Bristol.

David Polak - Investment Director

David Polak leitet das Anlagespezialisten-Team im Bereich Global Equity Services der Capital Group. Er verfügt über 35 Jahre Erfahrung in der Branche und besitzt einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vom University College London.

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