AB: Das Anlagepotenzial von „S“ in ESG erschließen

Der Schlüssel? Mehr Forschung und Daten zu sozialen Fragen
ESG

Die Risiken und Chancen, die sich aus sozialen Fragen ergeben, nehmen zu, und die Anleger benötigen eine Methode, um sich der Herausforderung zu stellen.

28.04.2023 | 12:33 Uhr

Von moderner Sklaverei bis hin zur Frauenquote werden Unternehmen von einer wachsenden Liste sozialer Probleme bedrängt. Diese Themen machen einen größeren Anteil der Unternehmenskontroversen aus als Umwelt- und Unternehmensführungsfragen (Abbildung). Doch ESG-fokussierte Anleger, die Umwelt- und Unternehmensführungsfaktoren immer systematischer in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen, verfügen nicht über ähnlich robuste Verfahren zur Berücksichtigung sozialer Faktoren.

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Der Grund dafür? Daten über soziale Faktoren sind relativ spärlich, vage und lassen sich nur schwer in einen Research- und Anlageprozess integrieren. Angesichts gesellschaftlicher Trends und neuer Vorschriften können Anleger es sich nicht leisten, die Risiken für Unternehmen und die Wertentwicklung ihrer Anlagen zu ignorieren.

Unserer Meinung nach können Anleger diese Herausforderung – und die damit verbundenen Chancen – meistern, indem sie verstehen, wie sie die verfügbaren Daten innerhalb eines Research-Rahmens anwenden und erweitern können, der drei entscheidende Dimensionen des globalen sozialen Wandels erfasst.

Warum soziale Daten hinterherhinken

Eine strengere Regulierung und eine de facto staatliche Kontrolle der „E“- und „G“-Themen haben zu einer dramatischen Verbesserung der Datenlage in diesen Bereichen geführt. Jetzt nimmt das offizielle Interesse an sozialen Fragen zu. Das könnte dazu beitragen, das Informationsungleichgewicht auszugleichen, das darin besteht, dass die Verfügbarkeit von Daten zu sozialen Faktoren im Vergleich zu den Bereichen „E“ und „G“ nach wie vor relativ gering ist (Abbildung).

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Die am häufigsten verfügbaren sozialen Daten betreffen die Geschlechtervielfalt in der Belegschaft, Gesundheit und Sicherheit, Produktrückrufaktionen und Menschenrechtspolitik. Doch die Datenqualität ist nach wie vor lückenhaft. Die Tatsache, dass ein Unternehmen über eine Menschenrechtspolitik verfügt, bedeutet beispielsweise nicht, dass diese Politik gut ist oder gut umgesetzt wird.

Es ist auch schwierig, soziale Kennzahlen zwischen Unternehmen und Branchen zu vergleichen. Im Gegensatz zu CO2-Fußabdrücken und Unternehmensführungsstandards, die leicht zwischen Unternehmen oder Sektoren verglichen werden können, unterscheiden sich soziale Fragen von Branche zu Branche.

In der Bekleidungsindustrie beispielsweise sind Zwangs- oder Kinderarbeit, der Anteil der Beschäftigten, die von Gewerkschaften oder Tarifverträgen erfasst werden, Mechanismen zur Meldung von Beschwerden und Verhaltenskodizes für Lieferanten wichtige Themen.

Im Bankgeschäft für Privatkunden ist die wucherische Kreditvergabe ein großes soziales Anliegen, ebenso wie der Zugang zu Dienstleistungen für Kunden aus einkommensschwachen Schichten, der Schutz der Privatsphäre und die Datensicherheit sowie Geldbußen bei Verstößen gegen die Vorschriften. Lebensmittel- und Getränkehersteller sollten nach Produktqualität und Rückrufaktionen, Investitionen in Sicherheits- und Qualitätssysteme und Produktionsausfällen aufgrund von Verletzungen oder Sicherheitsvorfällen am Arbeitsplatz beurteilt werden.

Diese Themen werden an Bedeutung gewinnen, da die staatliche Kontrolle der „S“-Faktoren stetig zunimmt.

Anleger sehen sich einem Tsunami von „S“- relevanten Gesetzen gegenüber

Unsere Analysen zeigen, dass wichtige westliche Regierungen und regierungsnahe Stellen im Zeitraum von 2011 bis 2022 23 wichtige Maßnahmen ergriffen haben, wie etwa die Einführung von Gesetzen oder Leitprinzipien und die Durchführung parlamentarischer Untersuchungen, um Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Die meisten Maßnahmen (17) fanden in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums statt.

Diese sich langsam entwickelnde Flut von Gesetzen wird die Unternehmen dazu zwingen, in ihren Betrieben und Lieferketten eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen und darüber zu berichten. In den USA hat die Regierung bereits Maßnahmen ergriffen, um Produkte aus Zwangsarbeit zu verbieten, und die Europäische Union wird bald nachziehen.

Das Bewusstsein an der Basis für soziale Fragen wird immer stärker ausgeprägt. COVID-19 hat die ungleiche Verteilung von Impfstoffen und die Belastung des Gesundheitswesens aufgezeigt, während die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine verursachten Unterbrechungen der Lieferketten ein Schlaglicht auf die schwierigen Bedingungen in einigen exportierenden Ländern geworfen haben. Die steigende Inflation und die Lebenshaltungskostenkrise schärfen das öffentliche Bewusstsein für soziale Fragen.

Unserer Ansicht nach sollten Anleger zwei Schritte unternehmen, um der wachsenden Bedeutung von „S“-Faktoren in ihren Portfolios Rechnung zu tragen.

Datenwissenschaft und qualitative Analysen können zu neuen Erkenntnissen führen

Der erste Schritt ist die Behandlung von Fragen der Datenqualität und -verfügbarkeit. Wo Daten verfügbar sind, sollte ihre Wesentlichkeit für verschiedene Branchen angemessen abgebildet werden. Dann können Datenwissenschaft und qualitative Analysen dazu beitragen, bessere Erkenntnisse zu gewinnen.

So verfügen spezialisierte Drittanbieter möglicherweise über tiefere Kenntnisse der „S“-Faktoren als hauseigene Wertpapieranalysten, decken aber in der Regel weniger Unternehmen ab. Mithilfe von Datenwissenschaft können Anleger unter Einsatz von künstlicher Intelligenz auf neue Datenquellen zugreifen.

Das Verständnis der Daten ist wichtig, um falsche Schlussfolgerungen zu vermeiden. „S“-Kontroversen sind in einigen Branchen, wie etwa der Automobilbranche, häufiger anzutreffen. Gehen Sie aber nicht davon aus, dass Branchen mit weniger Daten entsprechend weniger Kontroversen aufweisen. In ähnlicher Weise kann durch gründliche Recherche überprüft werden, ob die Menschenrechtspolitik eines Unternehmens wirksam ist und angemessen umgesetzt wird.

Drei Dimensionen zum Verständnis von „S“-Themen

Der zweite Schritt ist die Entwicklung eines Forschungsrahmens, mit dem die wichtigsten „S“-bezogenen Risiken und Chancen ermittelt werden können.

Wir haben drei große Themen identifiziert, die den Anlegern helfen sollen, das sich entwickelnde „S“-Anlageumfeld zu verstehen: Welt im Wandel, gerechte Welt und gesunde Welt (Abbildung).

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Diese Themen decken vielfältige und weitreichende Veränderungen ab. Aus der Perspektive einer sich wandelnden Welt gehören dazu beispielsweise das Verständnis dafür, wie das Management des Humankapitals den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann, die Auswirkungen einer alternden Belegschaft und das Risiko, dass bis 2030 30 % der Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen könnten.

Eine Betrachtung der Welt unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit kann Anleger auf die zunehmenden Belege für eine positive Korrelation zwischen weiblichen Führungskräften und der Wertschöpfung eines Unternehmens aufmerksam machen. Es kann sie auch auf die branchenweiten Kosten von Importverboten für Produkte aufmerksam machen, die in Zwangsarbeit hergestellt werden.

Der weltweite Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft setzt die Regierungen unter Druck, Maßnahmen zu entwickeln, die den Menschen helfen, sich anzupassen, wenn alte Arbeitsplätze verloren gehen und neue geschaffen werden; die Leistung der Regierungen in dieser Hinsicht wird Auswirkungen auf die Anleger von Staatsanleihen haben.

Auch die Gesundheit ist für Unternehmen und Anleger wichtig. Tatsächlich kostet mangelnde Gesundheit die Welt schätzungsweise 12 Billionen US-Dollar pro Jahr – das entspricht etwa 15 % des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Zunehmender Druck

Unternehmen und Anleger stehen unter dem zunehmenden Druck von Regierungen und der Öffentlichkeit, soziale Probleme, die sich aus ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Anlageportfolios ergeben, zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen.

In Anbetracht der Datenproblematik haben einige Anleger das Gefühl, dass sie in einer Zwickmühle stecken. Dieser Druck kann unserer Meinung nach durch die Erfassung und Zusammenstellung der verfügbaren Daten, die Gewinnung besserer Erkenntnisse durch Datenwissenschaft und qualitative Analysen und die Anwendung dieser Erkenntnisse durch einen umfassenden Forschungsrahmen gemildert werden.


Roxanne Low, ESG Associate im Responsible-Investing-Team von AB, hat zu dieser Analyse beigetragen.

1 Jaana Remes et al., „Prioritizing Health: A Prescription for Prosperity“, 8. Juli 2020, Report, McKinsey.com.

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.

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