ODDO BHF AM: Emerging Markets - Licht am Horizont

Seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gehen die Analysen und Einschätzungen im Hinblick auf die Schwellenländer extrem auseinander. Alles in allem überwiegen jedoch die negativen Beurteilungen.

27.03.2017 | 14:12 Uhr

"Die Ende 2016 und Anfang 2017 durchweg geschmähten Schwellenländeraktien und -anleihen weisen per 15. März ein Plus auf und belegen Spitzenplätze in ihren jeweiligen Anlageklassen"

Einerseits waren sich viele Experten einig, dass sich Makroökonomie und die mikroökonomischen Fundamentaldaten allmählich verbessern und dass 2017 sicherlich  positive  Überraschungen  bereithält.  Andererseits war angesichts der Androhung handelspolitischer Repressalien gegen einige Schwellenländer erhöhte Vorsicht geboten.
Die Ende 2016 und Anfang 2017 durchweg geschmähte Schwellenländeraktien und -anleihen weisen per 15. März ein Plus von 8,8% bzw. 1,75% (auf Euro-Basis) auf und belegen damit Spitzenplätze in ihren jeweiligen Anlageklassen. Wie ist der aktuelle Stand der Kontroverse?

AUFHELLUNG DES MAKROÖKONOMISCHEN HORIZONTS – TROTZ GROSSER DISKREPANZEN

Erstmals seit mehreren Jahren wurden die Wachstumsprognosen der BRICS- Staaten (1)  für 2017 angehoben (auf 5,4%) und liegen damit deutlich über den 4,75% für 2016. Angetrieben wird diese Dynamik in erster Linie von Brasilien und Russland, die derzeit gerade eine Rezession hinter sich lassen. Bemerkenswert ist ferner, dass die Demonetisierung der indischen Wirtschaft mitnichten die desaströsen Verwerfungen ausgelöst hat, die ursprünglich erwartet worden waren, und dass die makroökonomische Entwicklung in Indien positiv überrascht hat.

An der Inflationsfront bietet sich kein homogenes, sondern eher ein gemischtes Bild: Die Inflation ist in Lateinamerika weiter rückläufig, beschleunigt sich hingegen in Asien, wobei der markanteste Anstieg in Mittel- und Osteuropa verzeichnet  wird. Mexiko, Indien und Russland bilden in  ihren  jeweiligen Regionen dabei die Ausnahmen.
Obwohl die Maßnahmen der jeweiligen Zentralbanken die Konjunktur ihrer lokalen Volkswirtschaften flankieren, bleiben sie vorsichtig. Einzige Ausnahme ist wohl die brasilianische Notenbank mit ihrer ausgeprägt lockeren Geldpolitik. Seit sie die Verlangsamung der Inflation im vergangenen Herbst als faktischen Dauerzustand zu Protokoll genommen hat, sank der Selic (2) um ganze 200 Basispunkte. Diese Entwicklung geht mit einem deutlichen Rückgang des Leistungsbilanzdefizits in den letzten 18 Monaten und einer Reihe von Reformen einher, die der Stabilisierung und – letztendlich langfristigen – Reduzierung der Staatsverschuldung dienen sollen. Das makroökonomische Umfeld hat somit günstige  Bedingungen für die Staatsanleihen dieser Länder geschaffen, die kräftig zulegen konnten. Zu wünschen bleibt nunmehr, dass das Risiko oder zumindest die Wahrscheinlichkeit von Handelskriegen zurückgeht  oder bestenfalls sogar ganz entfällt.

KLARE PRIORITÄTEN BEI REFORMEN IN DEN USA, ABER HOHE UNGEWISSHEIT HINSICHTLICH DER DETAILS UND UMSETZUNG

"In einigen Ländern ist zudem eine Ver- besserung der politischen Rahmen- bedingungen zu verzeichnen."

Bei genauerer Betrachtung sämtlicher Wahlkampfthemen Donald Trumps wurde deutlich, dass es schwierig werden dürfte, alle Maßnahmen – inländische Reformen (Besteuerung der US-Unternehmen) und aggressive Handelspolitik gegenüber Ländern wie China oder Mexiko – zeitgleich in Angriff zu nehmen. Auch lagen hinsichtlich der Agenda der künftigen Regierungsmannschaft noch keinerlei konkrete Erkenntnisse vor. Inzwischen herrscht dagegen etwas mehr Klarheit und die Prioritäten liegen offenbar auf den Reformen im Inland. Die Steuerexperten der Republikaner bereiten eine grundlegende Reform vor, die neben der bereits angekündigten Senkung der Unternehmenssteuern möglicherweise auch Steuererleichterungen für Exporteure, Importsteuern, die Nichtabzugsfähigkeit von Schuldzinsen und die Sofortabschreibung von Investitionen über ein Jahr vorsehen dürfte, wobei sich alle diese Maßnahmen steuerlich mehr oder weniger neutral auswirken dürften. Mit anderen Worten: eine gewaltige Baustelle mit vielen Hindernissen.Gleichzeitig hat sich die Lage zwischen den USA und den in erster Linie betroffenen Handelspartnern offenbar etwas entspannt. So ist mittlerweile bereits die Aufnahme von Verhandlungen mit Mexiko und Kanada im Gespräch, während der unilaterale Austritt aus dem NAFTA (3) nicht mehr zur Debatte steht. Bezüglich der Beziehungen zu China ist offenbar ein regelmäßiger Dialog und sogar ein Treffen zwischen Xi Jinping und Donald Trump vereinbart worden.

Bestimmte Streitpunkte zwischen den beiden Supermächten sind allerdings noch nicht aus der Welt geschafft – etwa die chinesischen Aktivitäten im Gelben Meer oder die Beschwerden bei der WTO. Dennoch geht unser Basisszenario mittlerweile von einem Nichtangriffspakt und der Vermeidung eines Handelskriegs aus. Auch kann nach den Kriterien des US-Finanzministeriums schwerlich behauptet werden, dass China seinen Wechselkurs manipuliere. Gleichzeitig bemüht sich China überdies um die Stabilisierung seines Wechselkurses, um die Kapitalab- flüsse aus dem Land zu begrenzen.

In einigen Ländern ist zudem eine Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen zu verzeichnen. So ging der indische Premierminister Narendra Modi gestärkt aus den Wahlen im wichtigsten Bundesstaat Uttar Pradesh hervor und gilt somit als Favorit für die kommenden Parlamentswahlen. Sorge bereitet hingegen die extreme Zuspitzung der Lage in Pakistan. In Brasilien hat Präsident Michel Temer massive Reformen angeschoben und hierfür größtenteils Rückendeckung vom Kongress erhalten. Im April wird über die geplante Rentenreform abgestimmt, mit der die Staatsfinanzen gestärkt werden sollen. Allerdings ist Michel Temer kein gewählter Präsident – er führt lediglich die Legislatur von Dilma Roussef zu Ende. Daher ist seine politische Legitimität mitnichten gefestigt. In Südkorea begrüßten viele Investoren die Amtsenthebung von Präsidentin Park und die Verhaftung des CEO von Samsung als Schritte in Richtung transparenterer Führungsstrukturen und als Schlag gegen die Chaebols (4). Was China anbetrifft, sehen wir keinen wirklichen Grund zur Sorge. Im Vorfeld des im Herbst stattfindenden 19. Parteitags der Kommunistischen Partei dürfte die Regierung alles daran setzen, die Wirtschaft und die Finanzmärkte zu stabilisieren, gleichzeitig aber den Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, die eine Neuordnung möglich macht, in einigen Branchen fortsetzen. 

MÖGLICHE TRENDWENDE DER MIKROÖKONOMISCHEN INDIKATOREN

 "Kann man wirklich ganz auf Märkte verzichten, die 58% des globalen BIP repräsentieren?" 

Die positive Entwicklung an der Risikofront dank besserer politischer Rahmenbedingungen hat den Aktienmärkten der Schwellenländer Schub verliehen und – in den einzelnen Ländern in unterschiedlichem Maße – dazu geführt, dass Niveaus wie vor der US-Wahl erreicht werden konnten. Die meisten lokalen Aktienindizes liegen inzwischen wieder in etwa auf ihren Höchstständen der letzten 5 Jahre. Soll man Anlagen in den Schwellenländern angesichts dieser Entwicklung meiden?
Nicht unbedingt, vor allem, wenn man folgende Aspekte bedenkt:

• Die Schwellenländer haben in den letzten 3 bis 4 Jahren eine inzwischen abgeschlossene Abwertung durchlaufen – im Übrigen durchaus gerechtfertigt angesichts hoher Verschuldung, Margenerosion sowie schwacher Entwicklung der Unternehmensgewinne und -umsätze. Hinzu kamen wenig echte Verbesserungen der politischen Strukturen, abgesehen von der Aufdeckung diverser Korruptionsskandale in Brasilien, Südkorea, Indien usw.

• Die Bewertungen liegen deutlich unterhalb der Niveaus der Industrieländer. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis (1,6 vs. 2,3).

Der anhaltende Aufwärtstrend von Schwellenländeraktien erklärt sich folglich mit einer Erholung der Unternehmensergebnisse, der Stärkung der Bilanzen und der Corporate Governance. In den letzten drei Monaten sind aber schon Signale für eine Verbesserung der Margen, der Verschuldung (gemessen am EBITDA) und der Umsatzentwicklung erkennbar. Des Weiteren ist die Gleichbehandlung bzw. Berücksichtigung der Interessen der Minderheitsaktionäre ebenfalls ein Thema, das die Führungsriegen der Unternehmen dieser Länder zunehmend berücksichtigen.

Davon abgesehen sind die Währungen der meisten Länder noch immer unterbewertet, wodurch sie für Euro- und USD-Investoren zusätzlich attraktiv sind.
Und die Risiken? Ein radikaler Kurswechsel in der US-Handelspolitik stellt zweifellos das Hauptrisiko dar. Ein erneuter deutlicher Rückgang der Ölpreise und Industriemetalle – ein weiteres. Ferner wäre die Aussicht auf eine Rezession in den USA ein direkter und massiver Belastungsfaktor für Anlagewerte aus diesen Ländern, seien es Unternehmensanleihen, Staatspapiere oder Aktien. Wir messen diesen drei Szenarien derzeit jedoch keinerlei Eintrittswahrscheinlichkeit bei. Das größte Risiko könnte jedoch eine Kombination aller drei Faktoren in abgeschwächter  Form  sein. Indes:  Kann  man  wirklich  ganz  auf  Märkte verzichten, die 58% des globalen BIP (kaufkraftbereinigt, 38% in internationalen Dollar) und ein Drittel der weltweiten Börsenkapitalisierung repräsentieren?

 

(1) Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika

(2) Brasilianischer Leitzinssatz

(3) Nordamerikanisches Freihandelsabkommen

(4) Südkoreanische Unternehmensnetzwerke, die Unternehmen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Branchen umfassen und durch enge familiäre Bindungen zusammen gehalten werden 

 

Den vollständigen Bericht finden Sie hier als PDF. 

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