AB: Fiskalpolitische Anreize in China – Zeit für Wachstum

Wirtschaft

Die chinesische Wirtschaft hat sich in der ersten Hälfte des Jahres 2022 abgeschwächt. Sie wurde durch pandemiebedingte Lockdowns belastet.

11.07.2022 | 07:22 Uhr

Die Fiskalpolitik ist die wichtigste Triebkraft, doch auch die politische Koordinierung ist wichtig

Im Gegensatz zu den westlichen Volkswirtschaften, wo die Geldpolitik in der Regel die entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Wachstums spielt, kommt es in China in diesem Jahr aus unserer Sicht vor allem auf die Fiskalpolitik an. Sie ist aufgrund mehrerer institutioneller Faktoren effizienter als die Geldpolitik, wenn es darum geht, das Wachstum kurzfristig zu stabilisieren.

Trotz der marktorientierten Reformen, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden, hat der öffentliche Sektor noch immer ein großes Gewicht. Er umfasst den Bankensektor, Finanzierungsgesellschaften der Lokalregierungen (Local Government Financing Vehicles, LGFV), über die Infrastrukturinvestitionen finanziert werden, sowie lokale und zentrale staatliche Unternehmen.

Während staatliche Unternehmen in der Regel weniger empfindlich auf Zinsänderungen und somit auf die Geldpolitik reagieren, kann die chinesische Regierung über den staatlichen Sektor effizient und in bedeutendem Umfang auf die Realwirtschaft einwirken. Dadurch könnte sie die Infrastrukturinvestitionen sowohl direkt als auch mittels Anreizen für die Beteiligung von Lokalregierungen und des Bankensektors erhöhen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Geldpolitik keine Rolle spielen wird. An der chinesischen Konjunkturpolitik sind – insbesondere im Bereich der Infrastrukturinvestitionen – viele Ministerien und Regierungsebenen von der Planung bis zur Umsetzung beteiligt. Auch die Geldpolitik ist ein Teil davon, doch mehrere Faktoren könnten ihre Wirksamkeit aktuell begrenzen. So sind die Anreize für den Privatsektor aktuell nicht hoch, weshalb die Geldpolitik ins Leere laufen könnte. Und wenngleich der flexiblere Wechselkurs in den letzten Jahren mehr Spielraum bei der Gestaltung der Geldpolitik geschaffen hat, sind die Außenhandelsbilanzen nach wie vor von Bedeutung.

Fazit: In China kommt es im Moment vor allem auf die Fiskalpolitik an (Abbildung), doch auch die politische Koordinierung ist für eine effiziente Konjunkturpolitik in China entscheidend.

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Stimuli zur Erreichung des Wachstumsziels

Mit Ausnahme von 2020 (als das Wachstumsziel wegen der Pandemie fallen gelassen wurde) hat die chinesische Zentralregierung ihr jährliches Wachstumsziel für das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das einen Ankerpunkt für das gewünschte Wachstum darstellt, praktisch nie verfehlt. Sie nutzt die Konjunkturpolitik – insbesondere die Fiskalpolitik –, um etwaige Defizite bei anderen Wachstumsfaktoren auszugleichen.

Der jüngste unerwartete COVID-19-Ausbruch traf China hart und hat es der Regierung erschwert, ihr Wachstumsziel für 2022 zu erreichen, das viele Marktteilnehmer schon vor den Lockdowns in diesem Jahr für ehrgeizig hielten. Die Auswirkungen der Pandemie haben zu Unsicherheit hinsichtlich der von der Regierung angestrebten Wachstumsrate und der politischen Unterstützung in den kommenden Monaten geführt. Dies geschieht zu einem kritischen Zeitpunkt, denn auch die Regierung nimmt eine Bewertung von Politik und Wachstum vor. Das Politbüro trifft sich Ende Juli, um unter Berücksichtigung der dann vorliegenden BIP-Zahlen für das zweite Quartal die Politik für die nächsten Monate festzulegen. Die Sitzung wird genau verfolgt werden, um mehr Klarheit über die Haltung der Regierung zu bekommen.

In unserem Basisszenario für das Wachstum im Jahr 2022 gingen wir davon aus, dass im Juni oder Juli zusätzliche starke Nachfrageimpulse (insbesondere durch öffentliche Investitionen) angekündigt werden würden. Die kürzlich von der Regierung beschlossenen Impulse sind erfreulich, reichen aber nicht aus, um das Wachstum in die Nähe von 5% zu bringen. Es ist möglich, dass die chinesische Regierung vor Ende Juli nicht so umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen wie von uns erwartet ankündigen wird. In diesem Fall wird die Regierung möglicherweise eine geringere Wachstumsrate anstreben. Wir würden davon ausgehen, dass sie versucht, in der zweiten Jahreshälfte ein durchschnittliches Wachstum im Vergleich zum Vorjahr zu erreichen, das nahe am Potenzialwachstum und jährlichen Wachstumsziel liegt. Selbst um dieses geringere Wachstum zu erreichen, wird es weiterer politischer Unterstützung bedürfen, wenn auch in geringerem Umfang als derzeit von uns einkalkuliert.

Auch wenn wir eine starke fiskalische Unterstützung erwarten, ist es wichtig, die politischen Maßnahmen in diesem Jahr im Auge zu behalten. Die chinesische Regierung konzentriert sich nicht mehr nur auf die Stabilität des Wachstums, sondern strebt ein Gleichgewicht zwischen Wachstumsstabilität und Finanzstabilität an. Dadurch wird ein Überschießen der Konjunkturpolitik unwahrscheinlicher – und es ist nicht zu erwarten, dass die Regierung so viel Geld ausgeben oder so umfangreiche Maßnahmen zur Stützung des Wachstums ergreifen wird, wie sie es während der globalen Finanzkrise getan hat. Damals legte die Regierung ein Konjunkturpaket in Höhe von 4 Billionen RMB auf, was etwa 12% des BIP entsprach; dieses Mal dürfte das Haushaltsdefizit nach unserem Basisszenario um 5% des BIP steigen.

Woher wird das Geld kommen?

China stehen viele der herkömmlichen Finanzierungsquellen offen. Es kann beispielsweise Staatsanleihen emittieren und verfügt über laufende sowie in früheren Jahren erzielte Steuereinnahmen. Darüber hinaus kann das Land auf weitere Quellen zurückgreifen, darunter Sonderanleihen der lokalen Regierungen, Sonderanleihen der Zentralregierung, Unterstützung durch Staatsbanken, LGFV-Anleihen, Kredite von Schattenbanken und Einnahmen aus Landverkäufen, wobei jede dieser Optionen ihre Besonderheiten hat:

  • Sonderanleihen der lokalen Regierungen haben in den letzten Jahren bei Infrastrukturinvestitionen an Bedeutung gewonnen. 2020 emittierte die Zentralregierung Sonderanleihen im Volumen von 1 Billion RMB. In unserer Basisprognose rechnen wir mit zusätzlichen Emissionen in Höhe von 2 Billionen RMB zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, die über das bisher geplante Volumen hinausgehen.
  • Einnahmen aus Landverkäufen werden eine Rolle spielen, auch wenn ihre relative Bedeutung abgenommen hat. Nicht alle Einnahmen aus Landverkäufen sind für Infrastrukturprojekte vorgesehen, und die Regierung darf nur etwa 25% der Einnahmen investieren.
  • Staatsbanken spielen eine wichtige Rolle in der chinesischen Konjunkturpolitik. Während des Abschwungs in den Jahren 2015 und 2016 richtete die Zentralregierung einen Sonderbaufonds ein, der zur Stabilisierung des Wachstums beitrug. Die Regierung gab kürzlich bekannt, die Kreditvergabequote der Staatsbanken in diesem Jahr um 800 Milliarden RMB auf etwa 2,5 Billionen RMB anheben zu wollen.
  • Die Emission von LGFV-Anleihen und die Kreditvergabe durch Schattenbanken hängen in hohem Maße von den Marktbedingungen, der Regulierungspolitik und der Risikobereitschaft ab. Dies unterstreicht die Bedeutung einer koordinierten Fiskal-, Regulierungs- und Geldpolitik bei der Finanzierung und Umsetzung von Konjunkturmaßnahmen.
  • Finanzierungsquellen des Haushalts werden ebenfalls für Infrastrukturinvestitionen genutzt: Etwa 20% der Haushaltsausgaben sind infrastrukturbezogen.

Aus unserer Sicht verfügt China über viele Hebel zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen. Wenn die Zentralregierung die Infrastrukturinvestitionen erhöhen will, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, dürfte ihr dies nicht allzu schwerfallen.

Wohin wird das Geld fließen?

Ein Großteil der Investitionen dürfte in traditionelle Bereiche fließen. Etwa 70% der Erlöse aus Sonderanleihen der lokalen Regierungen gehen beispielsweise in Bereiche wie Transport, kommunales Bauwesen, staatlich geförderte Wohnungsbauprojekte, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sowie den Energiesektor (Abbildung). Dies stimmt weitgehend mit den im jüngsten Maßnahmenpaket der chinesischen Regierung genannten Vorhaben überein.

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Auch die Ausgaben in anderen Bereichen wie Umwelt, öffentliche Gesundheit, städtische Versorgungseinrichtungen und „neue Infrastruktur“, wo ein starker Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnologie gelegt wird, sind gestiegen. Diese neuen Infrastrukturprojekte haben einen langfristigen Nutzen und dürften stärker wachsen als traditionelle Infrastrukturinvestitionen. Angesichts ihres geringen Anteils werden sie bei der kurzfristigen Stabilisierung des Wirtschaftswachstums jedoch keine allzu große Rolle spielen.

Höhere staatliche Investitionen und ein anziehendes Wachstum in China in der zweiten Jahreshälfte könnten anderen Volkswirtschaften zugutekommen. Der größte Wachstumsimpuls unter den großen Volkswirtschaften könnte in der zweiten Jahreshälfte im Vergleich zum zweiten Quartal von China stammen. Vor allem Rohstoffexporteure dürften profitieren, da rund 50% des weltweiten Metallverbrauchs und 20% des Energieverbrauchs auf China entfallen. Angesichts des geringeren Umfangs und der veränderten Zusammensetzung der fiskalischen Maßnahmen dürften die Auswirkungen jedoch geringer ausfallen als während der globalen Finanzkrise.

Die Entscheidungsträger haben Spielraum und dürften ihn nutzen

China verfügt über reichlich Spielraum zur Erhöhung der Infrastrukturausgaben. Die offizielle Staatsverschuldung ist mit rund 47% des BIP Ende 2021 nicht besonders hoch, wobei die Verschuldung der Zentralregierung (20% des BIP) niedriger als die der Lokalregierungen (27%) ist. Berücksichtigt man die implizite Verschuldung der Lokalregierungen, könnte die Gesamtverschuldung auf etwa 60% des BIP steigen, was im globalen Vergleich immer noch nicht besonders hoch ist.

Somit verfügt China über die Flexibilität, kurzfristig die Infrastrukturausgaben zu erhöhen, indem es in dieser aus unserer Sicht außergewöhnlichen Phase Fremdkapital aufnimmt. Längerfristig könnte sich die Schuldenquote erhöhen, wenn das Haushaltsdefizit des Landes auf dem aktuellen Niveau bleibt.

Ein pragmatischer Ansatz zur Bewältigung dieser Herausforderung könnte darin bestehen, eine expansive Fiskalpolitik zu betreiben, wenn das Wirtschaftswachstum schwach ist (wie aktuell), und die Finanzen zu konsolidieren, wenn das Wirtschaftswachstum wieder dem Potenzialwachstum entspricht. Die chinesischen Entscheidungsträger haben in der Vergangenheit eine langfristige Perspektive eingenommen und werden dies nach unserer Einschätzung auch in Zukunft tun, selbst wenn sie sich in den nächsten Monaten auf das kurzfristige Wachstum konzentrieren.

Die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Recherchen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider. Die Einschätzungen können sich im Laufe der Zeit ändern.

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