Wie weit kann der Dollar noch gehen? Garrett Melson, Stratege bei Natixis Investment Managers, sieht kein Ende des Auftriebs, solange strukturelle Treiber wie die Zins- und Wachstumsdifferenz zwischen Europa und den USA intakt sind.
14.07.2022 | 10:50 Uhr
Melson: „Im Moment profitiert der Dollar von zwei Kapitalströmen – denjenigen, die auf der Suche nach sicheren Häfen sind und denen, die vom stärkeren Wirtschaftswachstum profitieren wollen. Das kann – ähnlich wie in 2010 – zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf werden: Das relativ robuste US-Wachstum führt zu einem stärkeren Dollar, der aber das globale Wachstum unter Druck setzt, was wiederum die relativen Wachstumsdifferenzen weiter zugunsten der Dollarnachfrage verstärkt und die Anleger in den Risk-Off Modus treibt. Und so weiter…
Auch wenn der Dollar auf den Charts überkauft aussieht, gibt es also keinen wirklichen Grund zu glauben, dass sich der Trend umkehrt – solange wir nicht sehen, dass sich die US-Inflation deutlicher abschwächt und infolgedessen die Zinsdifferenz, namentlich zum Euro, reduzieren kann.
Hinzu kommt, dass der theoretische Vorteil eines billigeren Euro – nämlich die relative Attraktivität von Exporten aus Europa –durch die Tatsache, dass der Industriesektor aufgrund der Energiekosten unter Margendruck gerät und möglicherweise durch Rationierungen eingeschränkt wird, zunichte gemacht wird.
Dies ist ein perfekter Sturm, der durch die europäische Energiekrise ausgelöst wurde, die zu einer Neubewertung des EUR in einer Wirtschaft führt, die keinen massiven Leistungsbilanzüberschuss mehr hat und nun aufgrund des Energiebedarfs ein Handelsdefizit aufweist. Und je stärker der Dollar wird, desto mehr verlangsamen sich die weltweite Produktion und der Handel, was die Rohstoffe unter Druck setzt und die rohstoffbezogenen Devisen ebenfalls nach unten zieht.
Nicht zu vergessen der psychologische Effekt der EUR/USD-Parität. Wenn wir diese durchbrechen, könnte der Dollar mit den verbleibenden Katalysatoren leicht weiter gegenüber dem EUR zulegen. Sollten sich die Rahmenbedingungen weiter verschlechtern und Europa immer mehr in die Rezession abgleiten, ist mit einer weiteren EUR-Schwäche und einer USD-Stärke zu rechnen.
Erst wenn disinflationäre oder gar deflationäre Kräfte beginnen zu greifen und der Fed einen Ausstieg aus dem Straffungszyklus ermöglichen, bevor die Zinsen die jetzt von den Märkten eingepreiste Höhe erreichen, kann der Teufelskreis der Dollarstärke durchbrochen werden. Es ist noch früh, aber die Daten sehen weiterhin ermutigend aus und deuten darauf hin, dass ein Großteil der Kräfte, die hinter dem Inflationsanstieg stehen, in dem Maße nachlassen in dem sich die Weltwirtschaft weiter normalisiert.“
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