Deutschland zählt zu den großen Gewinnern der Europäischen Währungsunion. Beispielsweise stieg das Pro-Kopf-Einkommen unter den großen Mitgliedsländern der Währungsgemeinschaft seit 1999 hierzulande am kräftigsten.
18.10.2019 | 12:36 Uhr
Welche Rolle spielt dabei der relativ stabile Wechselkurs der seit 1999 „virtuellen“ D-Mark? Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, geht dieser Frage in einem Vergleich mit der Währungs- und Wirtschaftsentwicklung Japans nach. Bei der EZB dürfte es erst wieder mit der neuen Präsidentin Lagarde im Dezember spannend werden. Unverändert hält Walk eine Rezession in den USA für unwahrscheinlich.
Wäre
die Eurozone nicht ein loser Staatenverbund, sondern ein Land, könnte
sie weltweit mit den besten Fundamentaldaten glänzen: Die Inflation lag
seit Beginn der Währungsunion 1999 im Durchschnitt bei 1,7 %, der reale handelsgewichtete Wechselkurs des Euro war in den vergangenen 20
Jahren stabil, das staatliche Haushaltssaldo der Eurozone dürfte in
diesem Jahr nahezu ausgeglichen sein, und die Staatsverschuldung sank
von 93,3 % des BIP im zweiten Quartal 2014 auf 85,3 % im dritten Quartal
2019.
Vor
diesem Hintergrund dürften sich weitere Integrationsschritte in der
Eurozone lohnen. Je geringer das Länderrisiko wahrgenommen und je
stärker die Eurozone als Einheit gesehen wird, desto größer das
Vertrauen in die Zukunft der Währungsunion und die Bereitschaft,
langfristig zu investieren. Solange die Eurozone noch als loser
Staatenverbund wahrgenommen wird, wird es immer wieder die Diskussionen
um die Gewinner und Verlierer geben - und ob ein Gewinner nicht
austreten könnte, da er die Verlierer nicht mehr subventionieren will,
oder ob nicht ein Verlierer aus dem Euro austritt, da er die geld- und
fiskalpolitische Zwangsjacke nicht mehr (er-)tragen kann.
Deutschland
gehört zweifelsohne zu den Gewinnern der Währungsunion. Zum Beispiel
ist das durchschnittliche reale Einkommen pro Kopf seit 1999 unter den
großen Mitgliedsländern in Deutschland am stärksten gestiegen.
In Italien konnte dagegen in den vergangenen 20 Jahren kein realer
Einkommenszuwachs beobachtet werden. Ein wichtiger Grund für den Erfolg
Deutschlands scheint zu sein, dass der Kurs der D-Mark und seit 1999 der
Kurs der nur noch virtuellen D-Mark nur gering schwankte.
Hierbei lohnt
sich ein Vergleich zwischen Deutschland und Japan. Die
Industriestruktur beider Länder ist ähnlich, ebenso die Abhängigkeit vom
Export, und die Leistungsbilanzüberschüsse sind jeweils hoch. Seit 1991
hat die reale handelsgewichtete D-Mark um knapp 9 % abgewertet, der
reale handelsgewichtete Yen sogar um mehr als 20 %. Beide
Wirtschaftsräume haben somit an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen.
Die D-Mark war jedoch mit einer Schwankungsbreite von nur 2,4 % kaum volatil, während der japanische Yen mit einer Volatilität von 9 % deutlich stärker schwankte. Zudem erfuhr der japanische Yen in Krisenzeiten immer eine starke Aufwertung, da japanische Investoren ihr Geld nicht mehr im Ausland anlegten, sondern es zurückholten. Darüber hinaus verstärkte der Leistungsbilanzüberschuss in diesen Phasen noch die Aufwertungstendenz. Hätte die D-Mark in diesem Zeitraum als völlig freier Wechselkurs existiert, hätte sie wahrscheinlich in Krisenzeiten im Gleichschritt mit dem Yen stark aufgewertet.
Die Finanzmarktkrise 2008 ist ein gutes Beispiel, um den Schaden der hohen Yen-Volatilität zu zeigen. So war laut einer Studie Japan bis zur Finanzmarktkrise der weltweit größte Exporteur von elektronischen Bauteilen und Komponenten wie Mikroprozessoren und Flatscreens. Seitdem haben jedoch Taiwan und Südkorea Japan überholt und exportierten 2017 sogar jeweils das doppelte Volumen wie Japan.
Zwischen Juni 2007 und September 2012 wertete der japanische Yen gegenüber dem US-Dollar um 45 % auf. Da der internationale Handel von elektronischen Bauteilen und Komponenten in US-Dollar fakturiert wird und ein intensiver internationaler Preiswettbewerb herrscht, mussten die japanischen Exporteure ihre Preise in Yen massiv senken, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Insgesamt schlug ein Rückgang der Exportpreise mit 42 % zu Buche, während die geschätzten inländischen Kosten nur um etwa 20 % fielen. Die Folge war ein massiver Gewinneinbruch bei den japanischen Exporteuren, die sich damit nicht mehr die notwendigen Investitionen leisten konnten, um mit dem hohen internationalen Innovationstempo in diesem Marktsegment Schritt halten zu können. Es kam zu einem dramatischen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.
Die hohe Yen-Volatilität hat somit eine ganze Industrie in Japan
zerstört, die kaum noch Chancen hat, in den kommenden Jahren wieder
technologisch aufzuholen. Darüber hinaus zeigt ein Vergleich der
Industrieproduktion seit 1991 den langfristigen Schaden: In Japan liegt
die Industrieproduktion immer noch knapp 10 % unterhalb des Niveaus von
1991, während sie in Deutschland 25 % über dem Niveau liegt.
Wechselkurse sind nun einmal kein Mechanismus, der fundamentale
Ungleichgewichte wieder in Einklang bringt, sondern Spielball
überwiegend irrationaler internationaler Kapitalflüsse.
Eurozone: EZB-Sitzung im Fokus
Da
es sich um die letzte Sitzung der EZB (Donnerstag) unter der
Präsidentschaft Mario Draghis handelt, werden sehr wahrscheinlich kaum
neue Maßnahmen diskutiert oder beschlossen werden. Interessant dürfte
erst wieder die erste Sitzung unter der neuen Präsidentin Lagarde im
Dezember werden. Derzeit rechnen die meisten Finanzmarktakteure dann mit
einer Zinssenkung auf -0,6 % und mit einer Aufstockung des QE-Programms
auf 30 Mrd. EUR pro Monat – abhängig von der Entwicklung der
Konjunkturdaten: Einkaufsmanagerindizes (Donnerstag),
Konsumentenvertrauen (Donnerstag) sowie ifo-Index (Freitag). Ich habe
immer noch die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sich die
Konjunkturdaten in den kommenden Wochen wieder etwas verbessern, sodass
die EZB im Dezember eine abwartende Haltung einnehmen kann.
USA: Stabile Konjunktur
Die
Geschäftsdynamik am Wohnimmobilienmarkt sprang in diesem Jahr im
Einklang mit den Leitzinssenkungen merklich an: Umsätze bestehender
Wohnimmobilien (Dienstag) und Neubauverkäufe (Donnerstag). Eine
US-Rezession ist damit eher unwahrscheinlich. Darüber hinaus werden noch
die Auftragseingänge (Donnerstag) sowie die Einkaufsmanagerindizes
(Donnerstag) veröffentlicht.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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