Die private Altersvorsorge und der immer wieder unterschätzte Zinseszinseffekt | |
06/2021 | |
Dr. Christian Jasperneite | |
M.M.Warburg & CO |
Vielleicht geht es Ihnen genauso wie mir, wenn Sie einmal im Jahr den Brief der Deutschen Rentenversicherung erhalten und auf die dort avisierte Höhe der späteren Rente blicken.
22.06.2021 | 12:03 Uhr
Spätestens dann ist immer wieder der Punkt erreicht, wo einem klar wird, dass die gesetzliche Altersvorsorge allein nicht mehr ausreichend ist. Angesichts der desaströsen demographischen Entwicklung in Deutschland wird sich diese Situation in den nächsten Jahren in der Tat eher weiter verschlechtern als verbessern. Eine Ergänzung der gesetzlichen um eine zusätzliche private Altersvorsorge erscheint vor diesem Hintergrund unverzichtbar, um den Lebensstandard im Alter auch nur ansatzweise halten zu können.
Dummerweise neigt man dann doch oft dazu, dieses Thema wieder auf die lange Bank zu schieben, statt es mutig anzugehen. Ein Grund für das oftmals zögerliche Verhalten mag darin liegen, dass die möglichen Lösungen für eine private Altersvorsorge auf den ersten Blick ebenfalls nicht hochgradig attraktiv erscheinen. Denn im Prinzip gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man setzt auf hohe Planbarkeit und Sicherheit im Auszahlungsprofil und akzeptiert damit eine Rendite, die vermutlich nur knapp über null Prozent liegen wird, oder aber man geht mit der Anlage in das Risiko und läuft Gefahr, zumindest temporär größere Einbrüche im angesparten Vermögen verkraften zu müssen.
Um dieses scheinbare Dilemma aufzulösen, haben
wir uns die Frage gestellt, was eine private Altersvorsorge, die über die
Kapitalmärkte in risikobehaftete Anlagen investiert und dabei völlig auf eine
Garantieverzinsung verzichtet, leisten kann. Zur Beantwortung dieser Frage
haben wir umfangreiche Berechnungen und Simulationen angestellt, die wir im
Folgenden dokumentieren wollen. Ausgangspunkt ist dazu folgender
Anwendungsfall: Eine Person im Alter von 45 Jahren plant, mit 65 in Rente zu
gehen und hat dementsprechend noch 20 Jahre Zeit, um einen privaten
Kapitalstock aufzubauen.
Während dieser Phase plant der Anleger, monatlich 1000
Euro in diesen Kapitalstock zu investieren. Mit Beginn der Rentenphase sollen
dann pro Monat 1500 Euro dem Kapitalstock entnommen werden, um die gesetzliche
Rente aufzubessern. Wenn dieser Plan über eine unverzinste Kasse ohne
Negativzinsen und ohne Gebühren abgewickelt wird, wäre der Kapitalstock in der
Rentenphase nach etwas über 13 Jahren aufgebraucht. Das klingt nicht unbedingt
nach einem guten Geschäft.
Doch wie sähe die Lage aus, wenn das Geld dauerhaft in
einer international hochdiversifizierten vermögensverwaltenden Struktur
investiert wäre, die bis zu 50% Aktien und ansonsten Anleihen über das ganze
Bonitäts- und Laufzeitenspektrum hält? Wenn man unterstellt, dass Aktien
weltweit im Durchschnitt in den nächsten 40 Jahren pro Jahr 7% erwirtschaften
und Anleihen über die nächsten 40 Jahre im Durchschnitt eine Performance leicht
oberhalb ihrer aktuellen Rendite erwarten lassen, sieht die Welt schon ganz
anders aus.
Man könnte tatsächlich über 20 Jahre hinweg (also bis zum 85.
Lebensjahr) jeden Monat 1500 Euro aus dem Kapitalstock entnehmen und hätte am
Ende dieser Zeitspanne immer noch knapp 200.000 Euro in der Kasse! Was fast
unglaublich klingt, ist nichts anderes als eine Kombination aus einer Partizipation
an den Kapitalmarktrenditen und dem immer wieder unterschätzten
Zinseszinseffekt, der sich über die Jahre einstellt.
Trotzdem hat die Sache – wie so oft – einen Haken: Diese Rechnung unterstellt, dass die erwarteten Renditen auch tatsächlich so wie beschrieben eintreten. Doch wenn eines sicher ist, dann die Tatsache, dass genau dies nicht eintreten wird. Denn gerade die Anlage in risikobehaftete Assets weist die Eigenschaft auf, dass es eben keine perfekte Planbarkeit bezüglich des zu erwartenden Auszahlungspfades geben wird. Mit etwas Glück sind nach 20 Jahren Rente viel mehr als 200.000 Euro in der Kasse verblieben, mit etwas Pech aber viel auch weniger. Und mit extrem viel Pech ist nicht auszuschließen, dass der Kapitalstock gar nicht für 20 Jahre reichen wird, um Monat für Monat 1500 Euro auszuzahlen.
Um trotzdem belastbare Aussagen darüber treffen zu
können, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Szenario eintritt, bräuchte man
Zeitreihen, die im Idealfall hunderte oder tausende von Jahren zurückreichen.
Diese Zeitreihen existieren aber natürlich nicht. Und selbst wenn sie
existieren würden, wären sie wahrscheinlich nicht repräsentativ, denn gerade
die Wertentwicklung von Anleihen wird vor dem Hintergrund der strukturell
expansiven Geldpolitik der Notenbanken in den kommenden Jahrzehnten mit hoher
Wahrscheinlichkeit schlechter ausfallen als in der Vergangenheit.
Offensichtlich benötigt man eine andere Vorgehensweise, um belastbare Aussagen
über mögliche Pfade der Wertentwicklung zu treffen.
Für Nichtstatistiker kann der dazu notwendige Vorgang
eigentlich relativ leicht erklärt werden: Man trifft in einem ersten Schritt
plausible Annahmen bezüglich der ganz langfristigen durchschnittlichen Rendite
der verwendeten Märkte und Assetklassen und kombiniert diese Renditeannahmen
mit empirisch ermittelbaren Informationen über die historisch beobachtete
Streuung der Renditen einzelner Assetklassen und das Zusammenspiel von
Assetklassen (die sog. Korrelation).
Damit lässt sich eine sehr repräsentative
Stichprobe möglicher Renditen einer Multi-Asset-Portfoliostruktur
zusammenstellen. Nun kommt in einem zweiten Schritt ein Zufallsgenerator zum
Einsatz, der wie eine Lottofee aus dem Topf mit den vielen möglichen Renditen
einzelne Renditen herauszieht und so Stück für Stück eine Zeitreihe aufbaut,
die einem denkbaren zukünftigen Pfad einer Wertentwicklung entspricht.
Alle diese Pfade weisen im Durchschnitt die Risikoeigenschaften historischer Entwicklungspfade auf, entsprechen aber hinsichtlich der Rendite den Annahmen bezüglich der Zukunft. Wenn man diese „Lottofee“ eine gewisse Zeit mit Hilfe des Computers arbeiten lässt, entsteht eine gewaltige Fülle von Daten, aus denen Wahrscheinlichkeiten über zukünftige Verläufe und Szenarien abgeleitet werden können. Die folgende Abbildung zeigt zur Veranschaulichung einige dieser möglichen Pfade.
Die graue Line dient dabei als Referenzpfad für eine
Situation, in der das Ein- und Auszahlungsprofil komplett über eine zinslose
Kasse abgewickelt wird. Die Linie mit dem 1%-Quantil-Pfad repräsentiert eine
besonders ungünstige Wertentwicklung, die in 99% der Fälle übertroffen wird. Um
Umkehrschluss repräsentiert die Linie mit dem 99%-Quantil-Pfad eine besonders
günstige Wertentwicklung, die mit 99% Wahrscheinlichkeit nicht erreicht wird.
Die Wahrheit wird sich dazwischen abspielen; die gestrichelte Linie steht für
den Mittelwert aller generierten Szenarien.
Das Ergebnis ist dabei mehr als
eindeutig. Selbst im schlimmsten anzunehmenden Fall ist die Wertentwicklung
eher besser als die zinslose Kassenlösung. Man kann also gegenüber einem
komplett risikolosen Szenario nahezu nichts falsch machen, wenn man seinen
Kapitalstock mit risikobehafteten Anlagen aufbaut. Gleichzeitig wird man für
das Risiko belohnt, indem man mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit über 20
Jahre eine monatliche Rente erhält, die im betrachten Auszahlungsszenario mit
1500 Euro 50% über den monatlichen Einzahlungen liegt!
Und als Bonus bleibt mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit auch nach 20 Jahren Rentenzahlung ein sehr beachtlicher Betrag übrig, der nochmals für weitere Rentenzahlungen genutzt oder aber vererbt werden kann. Wie man es auch dreht und wendet: Wer auf eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge verzichtet, obwohl die finanziellen Möglichkeiten dazu vorhanden wären, handelt vor dem Hintergrund dieser Berechnungen komplett irrational.
Diesen Beitrag teilen: