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Die ausgebremste soziale Entwicklung des Westens

Die ausgebremste soziale Entwicklung des Westens
Volkswirtschaft
Die ausgebremste soziale Entwicklung des Westens
02/2020
Helmut K. Anheier
Project Syndicate

@ Feedback an Redaktion

Nach drei Jahrzehnten sich verschärfender wirtschaftlicher Ungleichheit brodelt es in den Bevölkerungen der hochentwickelten Länder, und sie tragen ihre Beschwerden an die Wahlurnen oder auf die Straßen.

27.02.2020 | 09:07 Uhr

Doch verlangt eine glaubwürdige Bekämpfung der Ungleichheit zugleich Maßnahmen in Bezug auf eine weniger stark diskutierte Fassette dieses Trends: die schwindende intergenerative soziale Mobilität.

Eltern können heutzutage nicht mehr davon ausgehen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst. Im Gegenteil: Ein OECD-Bericht des Jahres 2018 kommt zu dem Schluss, dass es in einem durchschnittlichen entwickelten Land vier bis fünf Generationen dauern würde, damit Kinder aus dem untersten Einkommensdezil das mittlere Einkommensniveau erreichen. Je ungleicher das Land, desto länger dauert es mit dem sozialen Aufstieg.

Ungleichheit und Mangel an sozialer Mobilität sind eng mit der Geografie verknüpft. In Ballungsräumen verläuft die Entwicklung normalerweise viel besser als in ländlichen Gebieten. Für die USA vermeldet die Brookings Institution, dass Städte mit mehr als einer Million Einwohnern seit der Finanzkrise von 2008 72% zur Gesamtbeschäftigungszunahme beigesteuert haben, verglichen mit lediglich 6% für Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen 50.000 und 250.000. Seit 1970 sind die Löhne in den obersten 2% der US-Metropolregionen um fast 70% gestiegen, verglichen mit 45% im Rest des Landes.

In ähnlicher Weise ist in der französischen Region Île-de-France, zu der auch Paris gehört, das BIP pro Kopf von 148% des nationalen Durchschnitts im Jahre 1975 auf 165% im Jahr 2010 gestiegen, während es im weniger entwickelten Lothringen im selben Zeitraum von 95% auf 76% gefallen ist. Diese Diskrepanz ist auch in Deutschland erkennbar, obwohl dort eine der Großstädte, nämlich Berlin, den übrigen hinterherhinkt. Im Jahr 2016 betrug das BIP pro Kopf im ärmsten deutschen Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, bloße 29.133 Dollar – 60% weniger als Hamburgs 69.719 Dollar. Der Landesdurchschnitt lag bei 43,110 Dollar.

Eine Untersuchung der UK2070 Commission zeigt, dass Nordenglands kumulatives Produktionswachstum von 1971 bis 2013 um 17 Prozentpunkte gefallen ist, währen das von London um zwölf Prozentpunkte gestiegen ist. Dies hat wichtige Auswirkungen auf die soziale Mobilität: Ein Kind, das arm genug ist, um in Hackney, einem von Londons ärmsten Stadtbezirken, in der Schule ein kostenloses Mittagessen zu erhalten, wird trotzdem mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit eine Universität besuchen als ein gleich armes Kind im nördlichen Hartlepool.

Diese Trends lassen sich bis in die 1980er Jahre zurückverfolgen, als US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher begannen, Strukturreformen zu verfolgen, die durch Neuausrichtung ihrer Volkswirtschaften weg von der Industrie und durch Eindämmung der Macht der Gewerkschaften die Wettbewerbsfähigkeit stärken sollten. Doch während diese Reformen in gewisser Hinsicht gerechtfertigt waren – man erinnere sich an die „Stagflation“ der 1970er Jahre –, wurde kaum etwas getan, um ihre sozialen Folgen abzufedern.

Dieses durch die Auswirkungen des technologischen Fortschritts noch verschärfte politische Versäumnis führte zu einer Entwicklung, die der Ökonom Dennis J. Snower als „Entkopplung“ wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsverläufe bezeichnet hat: Für große Teile der Bevölkerung stagnierten die Reallöhne und Beförderungsaussichten trotz des BIP-Wachstums oder verschlechterten sich sogar. So stieg etwa laut dem Economic Policy Institute die Nettoproduktivität in den USA zwischen 1979 und 2018 um 70%, die realen Stundenlöhne jedoch erhöhten sich nur um 12%. Heute sind 14% der US-Amerikaner – darunter mehr als die Hälfte Farbige – von „Erwerbsarmut“ betroffen sind (d. h., sie arbeiten Vollzeit bei einem Einkommen, das weniger als 200% der Armutsgrenze beträgt).

Angesichts schlecht bezahlter Arbeitsplätze und kaum Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg steckt ein wachsender Teil der Bevölkerung in einer Art Limbo fest: Er verdient zu wenig, um über die Runden zu kommen, aber zu viel, um für staatliche Unterstützung zu qualifizieren. Im Laufe der Zeit werden diese Menschen wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell isoliert, hegen zunehmende Ressentiments gegenüber den wohlhabenden Eliten und werden anfällig für die Appelle neonationalistischer Populisten und aufstrebender autoritärer Politiker.

Am stärksten ausgeprägt ist diese Dynamik in den USA, wo sie zur Wahl von Präsident Donald Trump beigetragen hat, und im Vereinigten Königreich, wo sie die Unterstützung für den Brexit angeheizt hat. Doch da ein großer Teil der westlichen Welt Thatchers und Reagans Beispiel gefolgt ist, plagt sie inzwischen alle entwickelten Volkswirtschaften, spaltet Gesellschaften und hemmt ihre Entwicklung.

Nichts davon sollte einen überraschen. Der Soziologe Ralf Dahrendorf beschrieb 1995 die von der Globalisierung verlangten „perversen Entscheidungen“. Um auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu werden und zu bleiben, so seine Feststellung, müssten Länder ihre Ressourcen auf eine Weise nutzen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die politische Freiheit bedrohe.

Diese Entscheidungen führten beispielsweise zu einer neuen Form der Ungleichheit, von Dahrendorf als „Ungleichmachung“ bezeichnet, die „für einige Wege nach oben baut und für andere Löcher gräbt, Konfliktlinien schafft, spaltet“. Weitsichtig prognostizierte er das Entstehen einer ausgeschlossenen und in wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit lebenden „Unterschicht“, das autoritären Versuchungen Auftrieb verleihen würde.

„Vorrangige Aufgabe“ der hochentwickelten Volkswirtschaften für das kommende Jahrzehnt, so Dahrendorf damals, sei es, einer „Quadratur des Kreises der Schaffung wirtschaftlichen Wohlstands, sozialen Zusammenhalts und politischer Freiheit“ möglichst nahe zukommen. Doch über zwei Jahrzehnte später haben die meisten dies nicht einmal versucht. Stattdessen konzentrierten sie sich, der Logik des Neoliberalismus folgend, aufs Wirtschaftswachstum.

Es ist Zeit, Dahrendorfs Aufruf Folge zu leisten. Dies bedeutet nicht, eine protektionistische Politik umzusetzen, die nicht nur das Wirtschaftswachstum untergraben, sondern angesichts ihrer Verknüpfung mit der Identitätspolitik potenziell auch die autoritären Versuchungen verstärken würde. Stattdessen erfordert es ein umfassendes Programm, das bewährte Maßnahmen zur Steigerung wirtschaftlicher Absicherung und des gesellschaftlichen und politischen Engagements umfasst.

Zunächst einmal sollten die Länder ihre Besteuerungssysteme reformieren, um die Vermögensunterschiede zu verringern und zu Unternehmertum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu ermutigen. Zugleich sollten sie dem Beispiel Kaliforniens folgen, dessen Investitionen in staatliche Universitäten im Gefolge des Zweiten Weltkriegs entscheidend für seinen späteren Erfolg waren, und die soziale Mobilität durch Investitionen in Bildung und Qualifizierung unterstützen.

Zudem bedarf es sozialer Absicherungen, die sich an jene richten, die am stärksten durch die Globalisierung gefährdet sind, und politischer Strategien zum Ausgleich regionaler Unterschiede einschließlich einer (im nationalen wie internationalen Rahmen) gesteuerten Migration. In den 1930er Jahren beinhalteten der New Deal von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der die USA aus der Großen Depression heraushob, und auch ähnliche Programme in Europa derartige Maßnahmen.

Und schließlich sollten, um der sozialen Exklusion und gesellschaftlichen Fragmentierung zu begegnen, Anstrengungen zur Stärkung der Zivilgesellschaft und zur Förderung eines nachhaltigen, glaubwürdigen und respektvollen öffentlichen Dialogs unternommen werden. Es wird womöglich Jahrzehnte dauern, um die gesellschaftlichen und kulturellen Brüche zu heilen, aber es ist machbar. Die Frage ist, ob die Politik tun wird, was nötig ist.

Helmut K. Anheier

Helmut K. Anheier ist Professor für Soziologie an der Hertie School of Governance in Berlin und am Max-Weber-Institut der Universität Heidelberg.

Copyright: Project Syndicate

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