Edgar Walk erklärt, warum die zentralosteuropäischen Länder zum Trendsetter für die Lohnentwicklung in Europa avancieren könnten. Darüber hinaus wirft der Chefvolkswirt einen Blick voraus auf die nächsten Veröffentlichungen von wichtigen volkswirtschaftlichen Daten.
03.08.2018 | 16:48 Uhr
Nach dem
Beitritt der osteuropäischen Länder zur Europäischen Union ab 2004 verlagerten
westeuropäische Unternehmen in einem erheblichen Umfang ihre Produktion nach
Zentralosteuropa, um ihre Wettbewerbsfähigkeit mithilfe der guten Qualifikation
der dortigen Mitarbeiter und des allgemein niedrigen Lohnniveaus zu verbessern.
Das Lohnniveau in Osteuropa wurde somit zu einem Ankerpunkt für die Löhne in
Gesamteuropa.
Seit Anfang
2017 hat sich nun das Lohnwachstum in Zentralosteuropa merklich beschleunigt.
Stiegen die Löhne von 2009 bis Ende 2016 nur um durchschnittlich etwa 4 % pro
Jahr in Polen, so verdoppelte sich der Anstieg im Juni 2018 auf knapp 8 %. Ein
ähnliches Bild liefert Ungarn mit einem Lohnwachstum von 10,6 % im Mai und
Tschechien mit einem Plus von 8,6 % im März.
Interessanterweise hat sich die hohe Lohndynamik bisher kaum auf die Inflation übertragen, die zum Beispiel in Polen im Juli bei etwa 2,0 % lag. Die Arbeitnehmer kommen somit in den Genuss hoher Reallohnsteigerungen, was mit einer Arbeitskräfteknappheit bisher ungekannten Ausmaßes in Polen und in ganz Zentralosteuropa zusammenhängen könnte. Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission bei polnischen Unternehmen übertraf der Index der Arbeitskräfteknappheit Anfang Juli (49,9 Punkte) den Hochpunkt vom Januar 2008 (14,7 Punkte) um mehr als das Dreifache.
Auch in
Deutschland notierte der Index der Arbeitskräfteknappheit Anfang Juli (23,9
Punkte) fast doppelt so hoch wie zum bisher letzten Hochpunkt im Juli 2011
(12,1 Punkte). Die große Arbeitskräfteknappheit in Deutschland und die hohe
Dynamik der (Anker-)Löhne in Zentralosteuropa scheinen dazu beizutragen, dass
auch langsam Bewegung ins Lohngefüge in Deutschland kommt: Denn deutsche
Unternehmen können ihre Produktion kaum noch nach Zentralosteuropa verlagern.
Im Mai erhöhten sich die Löhne in Deutschland um durchschnittlich 4,0 %
gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt spricht also vieles dafür, dass sich die
Lohndynamik in den kommenden Monaten in Europa weiter merklich beschleunigen
wird.
Die spannende
Frage ist nun, ob damit auch in absehbarer Zeit die Inflation steigen wird. Die
Preissteigerungen in Polen sind bisher niedrig geblieben, da die Importe seit
Anfang 2017 deutlich gestiegen sind. Eine merkliche Zunahme der Importe und die
sich dadurch verschlechternde Handelsbilanz dürften den Inflationsauftrieb
zunächst begrenzen. Gleichzeitig sind jedoch auch die Gewinnmargen der
osteuropäischen Unternehmen merklich gesunken. Das lässt sich auf
gesamtwirtschaftlicher Ebene gut am Bruttobetriebsüberschuss ablesen – hier am
Beispiel Polens:
Die Unternehmen werden jedoch sich kontinuierlich weiter verschlechternde Gewinnmargen nicht mehr lange akzeptieren und früher oder später die Preise anheben. Ein Inflationsschub in Zentralosteuropa wird somit immer wahrscheinlicher, der sich dann mit einer geschätzten Verzögerung von sechs bis zwölf Monaten auf das restliche Europa übertragen könnte.
In der kommenden Woche werden die neuesten Inflationsdaten aus den USA (Freitag) für die höchste Aufmerksamkeit sorgen. Die Frühindikatoren sprechen dafür, dass die Zahlen im Rahmen der Erwartungen liegen dürften. Die Inflationsrate würde demgemäß mit 3,0 % ihren voraussichtlichen Hochpunkt erreichen und in den kommenden Monaten aufgrund von Basiseffekten bei den Energiepreisen wieder etwas fallen. Zuvor werden noch die Erzeugerpreise (Donnerstag) veröffentlicht.
Auch China veröffentlicht Inflationsdaten, die jedoch aufgrund des sich verlangsamenden Wachstums keine Implikationen für die Geldpolitik haben dürften.
In Japan dürfte das Bruttoinlandsprodukt (Freitag) nach einem Rückgang im ersten Quartal von Anfang April bis Ende Juli auf den Wachstumskurs zurückgekehrt sein. Japan wäre dann zwei Folgequartalen mit zurückgehendem Wachstum entkommen und hätte somit die Kriterien einer Rezession nicht erfüllt. Dafür spricht auch, dass der Arbeitsmarkt sehr robust ist und das Lohnwachstum (Dienstag) zuletzt neue Höchststände erreichte.
In der Eurozone werden Zahlen veröffentlicht zu den deutschen Auftragseingängen (Montag), zur deutschen Industrieproduktion (Dienstag) sowie zur französischen Industrieproduktion (Freitag).
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