Henderson: Durchbricht Europa endlich die Abwärtsspirale?

In den letzten Jahren waren europäische Aktien wahrlich kein Investment, das man sich ins Depot legte und dann einfach vergaß. Die Frage, die sich für den Anleger heute stellt, ist allerdings nicht die nach „Growth“ oder „Value“. Vielmehr ist es wohl auch diesmal eine Frage der Geduld.

13.04.2017 | 08:00 Uhr

In den letzten Jahren waren europäische Aktien wahrlich kein Investment, das man sich ins Depot legte und dann einfach vergaß. 2015 stürzten sich Anleger aus allen Teilen der Welt auf europäische Aktien in der Hoffnung, dank der quantitativen Lockerung der Europäischen Zentralbank werde es nun endlich zu der seit Langem erwarteten Erholung europäischer Unternehmen kommen. Anfang 2016 wurde jedoch zur Gewissheit, wovor wir bereits Mitte 2015 gewarnt hatten, nämlich dass sich die Gewinne bei Weitem nicht so stark erholen würden wie von vielen erwartet. Daraufhin erlahmten die „Erholungswetten“, Europas Märkte dümpelten zuerst vor sich hin und gingen dann auf Talfahrt, als die politischen Risiken mit dem Brexit-Votum und im Vorfeld der 2017 anstehenden Wahlen deutlich zunahmen.

Bei diesem, zumindest im Vergleich mit anderen Märkten, erfolgten Ausverkauf europäischer Aktien übersahen Anleger paradoxerweise jedoch völlig, dass sich die Wirtschaft in der Region ab Mitte 2016 tatsächlich endlich erholte. Seit Anfang des Jahres scheint sich der Trend etabliert zu haben: Die Arbeitslosigkeit sinkt, es wird mehr investiert, die Konsumnachfrage ist hoch und die Regierungen haben den finanziellen Gürtel nicht mehr so eng wie in den vergangenen Jahren geschnallt. In vielerlei Hinsicht ist aus dem Abwärtstrend ein Aufwärtstrend geworden. Mehr noch hat auch die bislang schmerzlich vermisste Erholung der Gewinne endlich Einzug gehalten: Für 2017 wird ein Gewinnwachstum von rund 10% prognostiziert. Und nach nunmehr drei Monaten wurde diese Prognose nicht wie in den letzten Jahren sonst üblich nach unten, sondern nach oben korrigiert.

Politik – immer ein Grund zur Sorge
Dass es den europäischen Aktienmärkten nicht gelingt, die besseren Nachrichten in eine ermutigendere Kursentwicklung umzumünzen, hat einen einfachen Grund: die Politik. Das überraschende Ja der Briten zum Austritt aus der EU hat Unsicherheiten hervorgerufen, die von der Wahl Donald Trumps zusätzlich geschürt werden. Nun, da diese beiden wichtigen Länder beschlossen haben, einen anderen Weg zu gehen, verwundert es kaum, dass die nicht gerade unparteiische Presse Großbritanniens mit allen Mitteln versucht, den Beweis zu erbringen, dass die Wähler richtig entschieden haben. Wird mit jeder Story das Vertrauen untergraben und werden ehrliche Meinungen als „Panikmache“ oder „Fake News“ gebrandmarkt, wird irgendwann auch der glühendste Optimist die Segel streichen. Erschwerend kommt die bei allen Beobachtern und Beteiligten nachvollziehbare Nervosität vor den im April und Mai in Frankreich anstehenden Wahlen hinzu. Wir glauben indes nicht, dass die rechtspopulistische Kandidatin Marine le Pen die Wahl gewinnen wird.

An den europäischen Märkten haben wir unterdessen eine massive Rotation erlebt,  für die es gute Gründe gibt: So war der Bergbausektor überverkauft und in China nach starken Stimulierungsmaßnahmen eine Erholung erkennbar, während zugleich die Metallpreise kräftig anzogen. Auch die Ölpreise erholten sich, wovon Ölgesellschaften profitierten, die sich zuvor mit Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen gegenseitig übertroffen hatten. Aktien von Zyklikern wie Atlas Copco sprangen in Erwartung steigender Gewinne auf augenscheinlich überzogene Kursniveaus.

Inzwischen aber sind viele Faktoren, die die Marktrotation am Laufen hielten, wohl in den Kursen eingepreist. Zu den teuersten Marktsegmenten gehören mittlerweile Maschinenbaufirmen. Die meisten Pharmaunternehmen dagegen hinken dem Markt deutlich hinterher. Dazwischen finden sich Titel mit konstantem und verlässlichem Wachstum wieder, die 2014 und 2015 die Märkte angeführt hatten.

Geduld – die wichtigste Tugend der Anleger
Ist damit Qualität der Bereich, in den die Marktteilnehmer als Nächstes umschichten werden? Nicht unbedingt. Erstens dürfte sich bei Banken die dank stärkerer Wirtschaftsentwicklung bessere Profitabilität in nachlassenden Kreditausfällen und steigenden Zinsmargen niederschlagen. Aktien aus der Finanzbranche werden sich daher wohl auch weiterhin gut entwickeln. Zweitens befinden sich Unternehmen aus den Bereichen Infrastruktur und Investitionsgüter am Beginn einer Phase der Gewinnerholung, die noch einige Zeit andauern dürfte. Drittens laufen die Geschäfte der Unternehmen besser, die den Erwartungen zufolge die niedrigen Zinsen für Fusionen und Übernahmen nutzen werden.

Daher stellt sich unter dem Strich nicht die Frage nach „Growth“ oder „Value“ bzw. Qualität oder Unberechenbarkeit. Vielmehr ist es wohl auch diesmal eine Frage der Geduld. Schlussendlich ist jedem klar, dass weder Großbritannien nach seinem Austritt aus der EU noch die USA wegen der von Trump beschlossenen Mauer oder Steuersenkungen schneller wachsen werden. Viel wahrscheinlicher ist, dass wir es auch künftig mit einer langsam wachsenden Weltwirtschaft zu tun haben. Und in dieser Welt ist Geduld und der Fokus auf langfristige Gewinner gefragt: vielversprechende Unternehmen, die unabhängig von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wachsen können. Ob diese als Growth- oder Value-Unternehmen bezeichnet werden, ist in Anbetracht der Rotation an den Märkten letztlich eine Frage der Perspektive.

Diesen Beitrag teilen: