Der Fokus der Anleger gilt nicht länger der galoppierenden Inflation, sondern dem nachlassenden globalen Wachstum, da die Zentralbanken die Zinsen erhöhen, um den Preisdruck zu begrenzen. In der Vergangenheit wirkte sich eine Wachstumsverlangsamung stark negativ auf die Bonität aus.
04.07.2022 | 08:33 Uhr
Sollten sich Anleger also auf zahlreiche Herabstufungen und Zahlungsausfälle von Unternehmensanleiheemittenten einstellen? Wir denken nicht.
Zum einen rechnen wir nicht mit einer Rezession. Unseres Erachtens wird es den Zentralbanken gelingen, die Inflation einzudämmen, ohne die Wirtschaft auf Talfahrt zu schicken. Zum anderen gehen wir davon aus, dass der Unternehmenssektor einer etwaigen Rezession standhalten könnte.
In der Regel ist eine abflauende Konjunktur oder gar Rezession schlecht für Unternehmen, für die es aufgrund verschärfter Kreditbedingungen und einer sinkenden Nachfrage schwierig sein kann, günstige Finanzierungen zu erhalten. Das hängt weitgehend von der Bonität der Unternehmen zu Beginn des Konjunkturrückgangs ab. Ein Unternehmen, dessen Finanzen auf Kante genäht sind, bekommt rasch Probleme, wenn der Geldhahn zugedreht wird.
Heutzutage sind die Emittenten von Unternehmensanleihen jedoch finanziell wesentlich besser aufgestellt in früheren Rezessionsphasen – das liegt unter anderem an der lange währenden Unsicherheit rund um die COVID-19-Pandemie. Die Unternehmen gingen in den vergangenen zwei Jahren sehr vorsichtig mit ihren Bilanzen und ihrer Liquidität um – selbst dann noch, als sich der Umsatz und die Gewinne erholten.
In der Folge verbesserten sich der Verschuldungs- und Deckungsgrad sowie der freie Cashflow und die Gewinnmargen in Europa und den USA. Gleiches war bei Hochzins- und Investment-Grade-Unternehmensanleihen zu beobachten. Zur Verifizierung dieser Kennzahlen haben wir eine umfassende historische Analyse des „konstanten Universums“ am US-Markt für Investment-Grade-Unternehmensanleihen durchgeführt und unser Emittentenuniversum angepasst. Auf diese Weise sollten Verzerrungen wie der „Survivorship Bias“ (d. h. die ausschließliche Berücksichtigung weiterhin im Index enthaltener Unternehmen), Änderungen in der Zusammensetzung sowie weitere Verzerrungen ausgeschlossen werden.
Das sich aus dieser Analyse ergebende „konstante Universum“ zeigt, wie stark der Verschuldungsgrad in den vergangenen zwölf Monaten zurückgegangen und der Deckungsgrad gestiegen sind, verglichen mit dem pandemiebedingten steilen Abfall Anfang 2020 (Abbildung).
Diese relative Stärke der Bilanzen bedeutet, dass die Emittenten von Unternehmensanleihen bei einem Wachstums- und Nachfragerückgang einem größeren Druck standhalten können.
Die solide Finanzplanung ist nicht der einzige Grund, warum die Unternehmen gut positioniert sind, um Widrigkeiten standzuhalten. Durch den pandemiebedingten Ausfallzyklus – der Höchststand lag bei 6,3% im Oktober 2020 – fand eine Bereinigung des Sektors statt. Die damals schwächsten Unternehmen gingen insolvent und sind somit nicht länger Teil des investierbaren Universums. Als Gewinner gingen die Unternehmen hervor, die der Krise widerstanden.
Das war die Situation vor weniger als zwei Jahren, und seitdem hatten die erfolgreichen Unternehmen schlicht nicht genügend Zeit, um schlechte finanzielle Gewohnheiten zu entwickeln. Folglich gehen wir davon aus, dass die Ausfallquote bis 2022 niedrig bleiben wird. Wir erwarten rund 1% für Europa und 1–2% für die USA – selbst wenn es zu einer Rezession kommen sollte (Abbildung).
Durch die jüngste Welle von Zahlungsausfällen und Herabstufungen verbesserte sich auch die Qualität am Hochzinsmarkt. Während viele Hochzinsanleihen mit dem niedrigsten Rating ausfielen und nicht länger in den Indizes vertreten sind, landeten zahlreiche der am niedrigsten bewerteten Investment-Grade-Anleihen als „gefallene Engel“ auf dem Hochzinsmarkt. Heute ist die Qualität des Hochzinsmarkts so hoch wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr.
Das gilt auch für viele angeschlagene Branchen wie Energie, Einzelhandel und Telekommunikation. Diese Sektoren wurden während des letzten Konjunkturabschwungs neu geordnet und weisen heute nicht nur eine höhere Qualität, sondern auch einen geringeren Marktanteil auf.
In Zeiten der Expansion verschulden sich die Unternehmen oftmals stärker, um Fusionen und Übernahmen (M&A) zu finanzieren oder um die Erträge für Anleger zu steigern. Bei einem Konjunkturrückgang sind sie dann möglicherweise zu hoch verschuldet oder verfügen über zu wenig Liquidität; dadurch besteht das Risiko von Herabstufungen und Zahlungsausfällen.
Aktuell ist die Kreditnachfrage der Unternehmen zur Finanzierung von Fusionen und Übernahmen jedoch gering. Die Nachfrage dürfte sogar noch steigen, ohne dass die Ratings beeinträchtigt würden.
Um Finanzierungsvorhaben von Unternehmen zu quantifizieren, beurteilen wir zunächst ihre Finanzpolitik (konservativ, neutral oder aggressiv). Unserer Analyse zufolge weist derzeit die Hälfte des Investment-Grade-Sektors eine konservative und die andere Hälfte eine neutrale Finanzpolitik auf. Das gilt weitgehend auch für den Hochzinsmarkt, wobei die Technologiebranche, die wir als aggressiv einstufen, eine Ausnahme darstellt.
Insgesamt dürfte die Finanzpolitik in den nächsten zwölf Monaten aggressiver werden. Für mehr als die Hälfte der Emittenten mit Investment-Grade-Rating sind unsere für diesen Zeitraum prognostizierten Bonitätsbewertungen jedoch stabil. Wir gehen ferner davon aus, dass die Verbesserungen bei den Bonitätsprofilen stärker zu Buche schlagen werden als die Verschlechterungen in fast dem gesamten Investment-Grade- und High-Yield-Segment. Damit setzt sich ein neuer Trend fort: Bei den Ratings überwogen im ersten Quartal die Hochstufungen im Vergleich zu den Herabstufungen (3,3 zu 1).
Das schließt zwar nicht aus, dass Private-Equity-Fonds mit hohen Barbeständen fremdfinanzierte Übernahmen verfolgen, aber im Moment überwiegen die günstigen Aussichten für die Fundamentaldaten der Unternehmen die Risiken einer Neuverschuldung durch nicht-strategische Käufer. Und selbst dort, wo Private-Equity-Aktivitäten zu beobachten waren, waren die Auswirkungen auf die Kennzahlen der Anleihenmärkte eher gering.
Überdies liegt der Fokus der Unternehmen seit Pandemiebeginn darauf, ihre Laufzeiten zu verlängern. Daher droht keine „Mauer der Fälligkeit“, bei der ein Großteil der Anleihen das Laufzeitende erreicht und die Emittenten gezwungen sind, neue Schulden zu den aktuellen Zinssätzen aufzunehmen. Tatsächlich werden nur 20% der Anleihen bis Ende 2025 fällig; der Großteil der Fälligkeiten liegt zwischen 2026 und 2029.
Das kommt dem Öffnen eines Druckventils gleich, denn schrittweise angepasste und verlängerte Laufzeiten bremsen die Auswirkungen höherer Renditen auf die Unternehmen (Abbildung). Derzeit beträgt der durchschnittliche Kupon auf dem Markt für Hochzinsanleihen 5,7% und liegt damit deutlich unter der aktuellen Yield-to-Worst, also der Rendite im schlechtesten Fall. Selbst unter der Annahme, dass die Renditen weiter steigen und in den nächsten vier Jahren hoch bleiben, werden die Kupons aufgrund der verlängerten Laufzeiten voraussichtlich erst im Januar 2026 wieder das vorpandemische Niveau (von über 6%) erreichen.
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