Während der Pandemie ist die Staatsverschuldung stark gestiegen, und die Peripherieländer der Eurozone sind womöglich mit hohen Risiken behaftet. Doch manchmal trügt der Schein.
08.03.2024 | 12:05 Uhr
Obwohl die Staatsschuldenkrise von 2008 offenbar längst überwunden
ist, fürchten die Anleger eine Wiederholung und betrachten die hohe
Verschuldung mit Sorge.
Aufgrund der rückläufigen Wirtschaftsleistung und der stärker von
staatlichen Eingriffen geprägten Fiskalpolitik erhöhten sich während der
Pandemie in ganz Europa die Staatsschuldenquoten und die
Peripherieländer der Eurozone wurden anfälliger für Wirtschaftsschocks.
Inzwischen haben sich die Schuldenquoten zwar stabilisiert; sie werden
aber laut Prognosen der Europäischen Kommission in den nächsten zwei
Jahren nicht nennenswert zurückgehen und daher größtenteils deutlich
über dem im Stabilitäts- und Wachstumspakt
(SWP) der Europäischen Union festgelegten Grenzwert liegen. Das klingt
beängstigend, aber bei diesem Szenario sind auch noch andere Aspekte zu
berücksichtigen.
Insgesamt haben die EU-Peripheriestaaten – Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien – ihre Staatsschuldenquoten seit der Pandemie bereits deutlich reduziert und machen weiterhin Fortschritte (Abbildung). Italien stellt eine Ausnahme dar: Seine Staatsschuldenquote wird Prognosen zufolge bis mindestens 2025 hoch bleiben (140%), und es hat die schlechtesten Wachstumsaussichten unter den Peripheriestaaten.
Trotz der hohen Schuldenquoten sehen die Wachstumstrends für die
europäischen Peripheriestaaten recht günstig aus. In letzter Zeit haben
diese Länder besser als ihre Nachbarn in Nordeuropa (wie Deutschland und
die Niederlande) abgeschnitten, denn ihre Volkswirtschaften sind
stärker auf Dienstleistungen ausgerichtet und weniger auf Energie und
den Welthandel angewiesen.
Die vorteilhaftere Entwicklung wird mit einer Hochstufung der Ratings gewürdigt (Abbildung).
Portugal ist auf dem besten Weg, ein A-Rating zu erhalten, und auch
Griechenland wird von führenden Ratingagenturen seit Kurzem wieder als
„Investment Grade“ eingestuft. Irland nähert sich dem Status „AA“,
während sich Spanien weiterhin auf einem soliden A-Niveau befindet.
Italien hat mit einem Rating von BBB in der Zeit nach der Pandemie
bisher keine Fortschritte bei der Bewertung gemacht.
Seit der Krise von 2008 haben europäische und internationale
Institutionen eine Reihe von Strukturen zur besseren Steuerung von
systemischen Risiken geschaffen und optimiert. In der Eurozone leisteten
Programme zum Ankauf von Staatsanleihen – wie das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme oder APP, 2014) und das Pandemie-Notfallankaufprogramm
(Pandemic Emergency Purchase Programme oder PEPP, 2020) der
Europäischen Zentralbank (EZB) – einen Beitrag dazu, in Phasen einer
verstärkten Anlegerbeunruhigung die Spreads von Staatsanleihen zu
verringern. Anschließend milderte die Einführung des Transmissionsschutz-Instruments
(Transmission Protection Instrument oder TPI, 2022) Verwerfungen am
Markt und sorgte für niedrigere Spreads. Nach seiner Aktivierung
versetzt das TPI die EZB in die Lage, die Anleihen einzelner
Mitgliedstaaten mit gezielten Ankäufen zu stützen.
Als Reaktion auf die pandemiebedingte Notlage erhielt die Europäische
Kommission die Befugnis, bestimmten Ländern der Eurozone über die Aufbau- und Resilienzfazilität
(2021) sowohl Kredite als auch Finanzhilfen zu gewähren. Das war der
erste Schritt zum Aufbau einer Struktur für die gemeinsame
Schuldenaufnahme in der EU, um den Bedürfnissen einzelner
Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und ihre Finanzierungskosten zu
senken.
Gegenwärtig überarbeitet die Europäische Kommission ihren Ansatz zur
Steuerung der Staatsverschuldung. Während die ursprünglichen
SWP-Regelungen eine feste Obergrenze für Defizite und Schuldenquoten
vorsehen (die 3% bzw. 60% des jeweiligen BIP nicht übersteigen durften),
ermöglichen die vor Kurzem vereinbarten Änderungen des SWP
einen flexiblen länderspezifischen Ansatz zur Verringerung der
Verschuldung. Unseres Erachtens wird dieser neuer Ansatz sowohl die
Haushaltsdisziplin stärken als auch zur Eindämmung von Marktverwerfungen
beitragen, falls ein Land seine Ziele in einem bestimmten Jahr nicht
erreicht – und zwar ohne das Wirtschaftswachstum dieses Landes
gravierend zu beeinträchtigen.
Ein solideres Bankensystem leistete ebenfalls einen Beitrag zur
Erhöhung der Finanzstabilität. Die US-Regionalbankenkrise und der
Zusammenbruch der Credit Suisse im letzten Jahr erinnerten uns zwar an
die im Bankensektor stets vorhandenen Risiken, aber die Bilanzen der
Banken sind wesentlich robuster als vor der globalen Finanzkrise. Höhere
Liquiditätsquoten und ein stärkerer allgemeiner Regelungsrahmen haben
dazu beigetragen, eine Ausweitung regionaler Krisen auf globaler Ebene
zu verhindern.
In Europa trugen die 2014 eingeleiteten Reformen der Bankenaufsicht dazu
bei, die Überwachung zu verbessern und die Stabilität des Bankensektors
zu erhöhen. Auch wenn sich der systemische Druck im Jahr 2022 erhöhte,
war diese Phase von relativ kurzer Dauer, was teilweise darauf
zurückzuführen ist, dass die Risiken für ein Übergreifen vom
Finanzsektor auf die Realwirtschaft geringer waren.
Dank dieser zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen verliefen die ersten
Phasen der geldpolitischen Straffung durch die EZB plangemäß: Die
quantitative Straffung im Rahmen des APP, die im März 2023 begann,
gestaltet sich reibungslos, und die Ankündigung, dass das PEPP ausläuft
und eingestellt wird, hat die Spreads der Staatsanleihen nicht
beeinträchtigt.
Die Spreads der Staatsanleihen von Peripherieländern befinden sich
weiterhin auf bzw. nahezu auf dem niedrigsten Stand seit der Krise von
2008. Dies ist sowohl der stabilen Binnenkonjunktur als auch der
geringeren Empfindlichkeit gegenüber Veränderungen der Marktstimmung
geschuldet (Abbildung). Auch hier nimmt Italien eine
Sonderstellung ein. Die Spreads der BTP gegenüber Bundesanleihen sind
zwar geringer als während der Staatsschuldenkrise, bleiben jedoch
aufgrund der strukturellen Probleme Italiens schwankungsanfällig. Wir
gehen trotzdem davon aus, dass diese Spreads bei einem reibungslosen
Voranschreiten der quantitativen Straffung weiter um den aktuellen Wert
schwanken werden.
Wir schätzen die Aussichten für EU-Staatsanleihen optimistischer ein.
Günstigere strukturelle und aufsichtsrechtliche Bedingungen dürften
dazu beitragen, einer unverhältnismäßigen Kreditaufnahme
entgegenzuwirken und systemische Schocks zu verhindern. Zudem gehen wir
davon aus, dass die EZB im Sommer mit Zinssenkungen beginnen wird,
wodurch sich im Laufe der Zeit die Finanzierungskosten für staatliche
Kreditnehmer in der Eurozone verringern würden.
In Anbetracht dieser Veränderungen sollten sich Anleger unserer Meinung
nach nicht auf systemische Bedenken, sondern auf die Vorzüge einzelner
Emittenten in der Eurozone konzentrieren. Im Jahr 2008 boten die
EU-Peripherieländer vielleicht noch ein einheitlicheres Bild, aber heute
unterscheiden sie sich so stark voneinander, dass sie nicht mehr als
Block betrachtet werden sollten. Tatsächlich werden die
leistungsfähigeren unter ihnen zunehmend als „Semi-Kernländer“
bezeichnet.
Italien bleibt ein spezieller Fall. Unseres Erachtens sind hierfür eher
individuelle als systembedingte Gründe verantwortlich. Wir halten die
italienische Politik für den wichtigsten Einflussfaktor auf die
wirtschaftliche Entwicklung des Landes und sind überzeugt, dass Anleger
die politischen Verhältnisse in Italien genau im Auge behalten sollten.
Heutzutage vermag ein Rückschlag für Italien die Spreads der
Staatsanleihen in der Eurozone vielleicht etwas zu erschüttern. Eine
Katastrophe würde er unserer Einschätzung nach nicht auslösen.
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.
Dies ist eine Marketing-Anzeige. Diese Informationen werden von AllianceBernstein (Luxemburg) S.à.r.l. gegeben, einer im Luxemburger Handels- und Unternehmensregister (R.C.S.) eingetragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Luxemburg B 34 305, 2-4, rue Eugène Ruppert, L-2453 Luxemburg. AllianceBernstein S.à.r.l. unterliegt der Aufsicht durch die Aufsichtskommission des Finanzsektors (CSSF). Dies wird nur zu Informationszwecken angegeben und ist nicht als Anlageberatung oder Aufforderung zum Kauf eines Wertpapiers oder einer sonstigen Anlage zu verstehen. Die hier geäußerten Ansichten und Meinungen basieren auf unseren internen Prognosen und geben keine zuverlässigen Hinweise auf die zukünftige Marktperformance. Die Fondsanlagen können an Wert gewinnen und verlieren, und es kann vorkommen, dass die Anleger nicht den vollen angelegten Betrag zurückerhalten. Die Performances der Vergangenheit bieten keine Gewähr für zukünftige Ergebnisse.
Diese Informationen richten sich lediglich an Privatpersonen und sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
© 2024 AllianceBernstein L.P.
Diesen Beitrag teilen: