ODDO BHF CIO View: Deutschland vor der Wahl - "Mögliche Weichenstellungen in Steuerpolitik"

ODDO BHF CIO View: Deutschland vor der Wahl - "Mögliche Weichenstellungen in Steuerpolitik"
Politik

Selten waren die Unsicherheiten über den Ausgang einer Wahl größer als bei der kurz bevorstehenden Bundestagswahl. Erstmals in der Geschichte haben mehr als zwei Kandidaten eine realistische Chance, ins Kanzleramt einzuziehen.

20.09.2021 | 09:37 Uhr

Vie-20-9
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Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass erstmals seit dem ersten Kabinett Adenauers mehr als zwei Parteien eine Koalitionsregierung stellen. Auch gut eine Woche vor der Wahl ist kaum eine Farbkombination – „Ampel“, „Jamaika“, „Rot-Rot-Grün“, „Deutschland“ oder „Kenia“ – gänzlich auszuschließen. Entsprechend breit ist das Spektrum der politischen Möglichkeiten, gerade auch aus finanz- und steuerpolitischer Sicht. Wir möchten die Gelegenheit kurz vor dieser Wahl nutzen, die Vorstellungen der Parteien ein wenig auszuleuchten.

Nach dem aktuellen Einkommensteuertarif beginnt die Progressionszone bei einem zu versteuernden Einkommen von 9.744 Euro mit einem Steuersatz von 14 Prozent. Einkommen über 57.919 Euro werden mit einem Steuersatz von 42 Prozent, Einkommen über 274.613 Euro mit 45 Prozent besteuert. Der Solidaritätszuschlag ist ein Zuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer; ab 2021 wird der Solidaritätszuschlag erst erhoben, wenn die Steuerschuld mehr als 16.956 Euro bzw. 33.912 Euro für Ehegatten und Personen in Steuerklasse III ausmacht.

Aus steuerpolitischer Sicht lassen sich deutliche politische „Lager“ erkennen. SPD, Grüne und, in besonderem Ausmaß, Linke haben sich merkliche Einkommensverbesserungen für Haushalte mit niedrigen oder mittleren Einkommen auf die Fahne geschrieben. Die SPD spricht von einer Einkommensteuerreform, ist aber bei den Entlastungen wenig konkret. Das Programm bekräftigt allerdings die Absicht, den Steuersatz für Einkommen oberhalb von 250.000 bzw. 500.000 Euro um 3 Prozentpunkte anzuheben. In der Sache würde damit die Grenze zur sogenannten „Reichensteuer“ etwas gesenkt und der Satz auf 48 Prozent erhöht. Nimmt man allerdings den Hinweis auf die „oberen 5 Prozent“ wörtlich, könnte die Einkommensgrenze für Mehrbelastungen auch deutlich niedriger liegen.

Das Ergebnis würde dann näher bei den Vorstellungen der Grünen liegen, die eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent für Einkommen ab 100.000/200.000 Euro (Alleinstehend/Paare) bzw. auf 48 Prozent ab 250.000/500.000 Euro anstreben. Zudem sehen die Grünen vor, dass deutsche Staatsbürger nach einem Wegzug unabhängig von ihrem Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt unbeschränkt steuerpflichtig bleiben. Ansonsten ist beachtenswert, dass Grüne (und Linke) die Abgeltungssteuer abschaffen und zu einer progressiven Besteuerung von Kapitalerträgen zurückkehren wollen.

SPD, Grüne und Linke wollen darüber hinaus die Vermögensteuer wieder einführen bzw. in Vollzug setzen. Grüne und SPD nennen einen jährlichen Steuersatz von 1 Prozent, eventuell mit Begünstigungen des Betriebsvermögens; den Grünen zufolge würde die Besteuerung ab 2 Millionen Euro Vermögen greifen. Die Vorstellungen der Linken gehen wesentlich weiter: Sie planen, Vermögen ab 5 Millionen Euro mit 5 Prozent zu besteuern. Zudem wollen Sie eine einmalige Vermögensabgabe von bis 30 Prozent des Gesamtvermögens, zahlbar über einen Zeitraum von 20 Jahren.

Die CDU/CSU hält sich mit größeren Versprechungen zurück. Sie will die „kalte Progression“ ausgleichen und den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen; darüber hinaus strebt sie auf etwas längere Sicht einen vollen Grundfreibetrag für Kinder und Entlastungen für Alleinerziehende an. Das CDU-Programm hebt zudem die Rechtsformneutralität hervor, also die Gleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Dies dürfte wohl der Hintergrund dafür sein, dass Friedrich Merz jüngst Entlastungen für Personengesellschaften in Aussicht gestellt hat.

Insgesamt aggressiver positioniert sich die FDP. Diese will die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz um gut 30.000 auf 90.000 Euro (für Alleinstehende) anheben sowie den Solidaritätszuschlag abschaffen. Die FDP will außerdem Kinder-, Auszubildenden- und Alleinerziehendenfreibeträge erhöhen und die Absetzbarkeit von Betreuungskosten und haushaltsnahen Dienstleistungen verbessern. Beide Parteien lehnen eine Vermögensteuer ab. Im Hinblick auf die Besteuerung von Kapitalerträgen sehen beide höhere Sparerfreibeträge vor.

Die Experten des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim haben sich jüngst an einer Schätzung der Be- bzw. Entlastungswirkungen der Steuer- und Abgabenpläne der Parteien für verschiedene Musterhaushalte versucht (siehe Tabelle). Da viele Pläne unspezifisch bleiben, fließen dabei zahlreiche Annahmen ein; insbesondere für die Schätzung der Vermögenssteuereffekte wird angenommen, dass nur der Musterhaushalt der höchsten Einkommensgruppe (300.000 Euro Jahreseinkommen) über ein Vermögen von 2,5 Mio. Euro pro erwachsene Person verfügt. SPD und Grüne sprechen beide von einer Belastung sehr hoher Vermögen (Grüne: größer als 2 Mio. Euro) mit einem Satz von 1 Prozent.

Abb-2-20-9
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Die Schätzungen bestätigen, dass die Pläne von SPD und Grünen insbesondere im Bereich sehr hoher Einkommen und steuerlich relevanter Vermögen eine merkliche Belastung bringen würden. Die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen könnten dagegen nennenswerte Mehreinnahmen erwarten. Demgegenüber bringen die Pläne von CDU/CSU und FDP über alle Einkommensgruppen hinweg Entlastungen, die mit höherem Einkommen tendenziell zunehmen. Insgesamt bleiben die Entlastungen bei der CDU allerdings deutlich moderater als die der FDP.

Werfen wir nun einen Blick auf die Unternehmensbesteuerung. CDU/CSU und FDP streben eine Begrenzung der Unternehmenssteuerlast auf höchstens 25 Prozent an, was eine Senkung der Last um rund 5 Prozent beinhalten würde: Für 2020 gibt das Bundesfinanzministerium die Belastung mit durchschnittlich 29,9 Prozent an. Beide Parteien sehen die Wiedereinführung degressiver Abschreibungen auf bewegliche Wirtschaftsgüter sowie spezielle Begünstigungen für digitale Anlagegüter vor. Darüber hinaus will man Verberbesserungen beim Verlustvor- und -rücktrag. Die FDP strebt die Abschaffung der Gewerbesteuer zugunsten eines kommunalen Aufschlags auf die Körperschaft- bzw. Einkommensteuer sowie eines höheren Umsatzsteueranteils der Kommunen an, die CDU/CSU spricht von einer weitergehenden Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer sowie einer Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage von Körperschaft- und Gewerbesteuer.

Die SPD hält sich mit Aussagen zur Unternehmensbesteuerung bedeckt. Konkret nennt das Programm nur die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Managergehältern als Betriebsausgabe, ein Element, das auch im Programm der Grünen (mit einer Grenze von 500.000 Euro Jahreseinkommen) zu finden ist.

Alle Parteien (ausgenommen AfD und Linke) plädieren für eine verbesserte internationale Koordination der Unternehmensbesteuerung, auf EU-Ebene und im Zusammenhang mit der jüngsten Initiative der USA auf OECD-Ebene. CDU/CSU und FDP betonen allerdings den Aspekt der Fairness und der Vermeidung aggressiver Steuergestaltungen bzw. der Steuerhinterziehung. SPD und Grüne dagegen scheinen dagegen eine relativ hohe Mindestbesteuerung auf EU-Ebene anzustreben, was den Steuerwettbewerb vermindern würde. Die SPD fordert eine „effektive Mindestbesteuerung“ und ein Ende des „Steuerdumpings zwischen Mitgliedsstaaten“; die Grünen nennen für EU-Unternehmen einen EU-weiten Mindeststeuersatz von 25 Prozent und die Angleichung der Besteuerungsgrundlage. Hinzu kommen jeweils Überlegungen zur Besteuerung von digitalen Großkonzernen.

Wie sie sehen, gibt es deutliche Unterschiede in den Plänen zwischen Union, SPD, FDP, Grünen und der Linkspartei. Wir glauben, dass eine rot-grün-rote Regierung tendenziell eine Belastung für die deutsche Wirtschaft und die mittelständischen Unternehmen darstellt. Immerhin beschäftigt der Mittelstand über 60 % aller Arbeitnehmer und gilt als Hort der Innovationen in Deutschland.

Den vollständigen ODDO BHF CIO View: Deutschland vor der Wahl - "Mögliche Weichenstellungen in Steuerpolitik" finden Sie hier als PDF.


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