BNP Paribas: Dekarbonisierung des Portfolios

Nachhaltigkeit

Ist die Dekarbonisierung des Portfolios und der Wirtschaft ein Spagat zwischen widersprüchlichen Realitäten? Schließlich wird nach wie vor die Hälfte des Primärenergiebedarfs aus Öl und Gas gedeckt.

21.11.2018 | 10:15 Uhr

So schwerfällig der Begriff „Dekarbonisierung“ auch sein mag – das Thema ist aus keinem Gespräch zwischen Vermögensverwaltern und Anlegern mehr wegzudenken. Denn alle Akteure, darunter institutionelle Großanleger, Pensionsfonds und Sozialpartner der betrieblichen Altersvorsorge, sind alarmiert und wollen bei ihren Anlageentscheidungen den Klimaaspekt stärker berücksichtigen. Und das keineswegs nur, weil die aktuelle Gesetzgebung hohe Anreize dafür setzt. Vielmehr sind sich alle darüber im Klaren, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Auf dem Symposium vom 9. Juni 2018 im Vatikan hat auch Papst Franziskus dieses Thema bei seiner Ansprache vor den Geschäftsführern der großen Öl- und Gasunternehmen und anderen Akteuren der Energiewirtschaft erneut aufgegriffen und dazu aufgerufen, „in den schwächsten Ländern für einen besseren Zugang zu Energie zu sorgen“ und „die Energiequellen zu diversifizieren, unter anderem durch eine beschleunigte Entwicklung von erneuerbaren Energien“.

In seiner im Juni 2015 veröffentlichten Enzyklika Laudato Si’ „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ fordert er zudem, „unverzüglich damit zu beginnen, die auf den sehr umweltschädlichen fossilen Brennstoffen […] basierenden Technologien zu ersetzen“.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen indes noch weit auseinander. Denn nach wie vor wird die Hälfte des Primärenergiebedarfs aus Öl und Gas gedeckt. Sofern eine abrupte Trendumkehr ausbleibt, wird außerdem die weltweite Nachfrage nach Energie – und insbesondere nach fossilen Brennstoffen, vor allem Öl und Gas – unweigerlich deutlich steigen, auch wenn sie in den OECD-Ländern sinkt.

Tatsächlich hat seit der UN-Klimakonferenz von 2015 in Paris im Kampf gegen die Erderwärmung ein Mentalitätswandel stattgefunden. Allerdings stellt sich auch die Frage, inwieweit der Mensch durch seine Lebensweise, die sich kaum zu ändern scheint, zur globalen Erwärmung beiträgt. Wie sollten verantwortungsbewusste Anleger also handeln, um in dieser Hinsicht einen positiven Beitrag zu leisten? Vielleicht wäre es am einfachsten, alle Investments in fossile Brennstoffe pauschal abzustoßen und aus dem Portfolio zu entfernen. Dass dies keine Antwort auf die komplexen Herausforderungen sein kann, zeigt allerdings die Problematik der stranded assets – übersetzt die „boykottierten“, „abgewerteten“ oder „gescheiterten“ Vermögenswerte.

Eine gute Veranschaulichung dieser Problematik lieferte der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, in seiner Rede vom 30. September 2015, die in der 88. Ausgabe der Fachzeitschrift „Annales des Mines“ vom Oktober 2017 in einer hervorragenden Zusammenfassung auf Französisch veröffentlicht wurde.

Der Notenbankchef griff das Thema kürzlich erneut auf und wies nochmals darauf hin, dass ein Übergang, der zu einer extrem schnellen Neubewertung bestimmter Vermögenswerte führen würde, den Markt destabilisieren könnte. Mark Carney fasst dieses Risiko in einem Paradoxon zusammen: „Success is failure“ – Erfolg ist zugleich Scheitern. In anderen Worten würde eine Energiewende, die eine abrupte Abwertung von Anlagen mit hohem CO2-Ausstoß und einen erheblichen finanziellen Wertverlust nach sich ziehen würde, die Stabilität unseres Finanzsystems gefährden.

Der Kampf gegen die globale Erwärmung – und die Realität der Ölindustrie

Auf Öl und Gas entfallen 32% der globalen Treibhausgasemissionen und 54% der CO2-Emissionen[1]. Daher wird der Ölsektor mitunter gerne als einer der Hauptverursacher der globalen Erwärmung angeprangert. Damit hat man zwar einen zweifelsfreien Täter überführt, lässt aber jene außer Acht, die das Öl brauchen, beispielsweise die Chemie-, Transport- oder Industrieunternehmen.

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sieht vor, den Temperaturanstieg „auf deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau“ zu begrenzen. Hierzu sollen zunächst die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2040 stark gesenkt werden und anschließend weitere Maßnahmen folgen, die auf lange Sicht „negative Emissionen“ anpeilen.

Geotechnische Lösungen für die Rückgewinnung, den Transport und die Speicherung von CO2 aus CCS-Anlagen (Carbon Capture and Storage) und die Kombination dieses Verfahrens mit der Bioenergieproduktion erscheinen vielversprechend, auch wenn weitere Forschungsarbeiten notwendig sind.

In dem im Herbst erscheinenden Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change)wird das Thema negative Emissionen sicherlich eine entscheidende Rolle spielen. Gleichzeitig muss aber auch die Energieversorgung gewährleistet bleiben.

Es liegt auf der Hand, dass dies nur durch die Energiewende gelingen kann – und nicht, indem die Produktion von heute auf morgen eingestellt wird. Die entsprechenden Produzenten, die in den Börsenindizes mitunter ein starkes Gewicht haben, pauschal zu boykottieren, indem man ihnen die Finanzierungsmittel entzieht, würde sicherlich zu kurz greifen, um das Problem zu lösen.

Handeln Anleger also verantwortungslos, wenn sie ihr Portfolio dekarbonisieren?

Dass das nicht der Fall ist – und dass die Entwicklung hin zu einer Welt mit reduziertem CO2-Ausstoß im Übrigen gar nicht mehr umkehrbar ist – wird beispielsweise an den sogenannten Low-Carbon-Börsenindizes oder am rasant wachsenden Markt für grüne Anleihen deutlich. In einer Zeit, in der es schwierig ist, auf den Ölsektor gänzlich zu verzichten, können Investoren den Wandel aktiv unterstützen, indem sie ihren Einfluss als Aktionäre nutzen und auf Anlagen in den schädlichsten Formen der Energieerzeugung wie Kohle und Ölsand verzichten – und nicht, indem sie ihr Kapital aus verschiedenen Bereichen vollständig zurückzuziehen.

Das Engagement der Kapitalgeber

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. So hat BNP Paribas bereits im Oktober 2017 beschlossen, die Beziehungen zu Unternehmen mit Hauptgeschäftstätigkeit in der Exploration, Produktion, Verteilung, Vermarktung oder im Handel mit Öl und Gas aus Schiefer und Ölsand einzustellen und keine Öl- und Gasexplorations- oder Produktionsprojekte in der Arktis zu finanzieren, da diese in besonderem Maße umweltschädlich sind und es ökologisch verträglichere Alternativen gibt.

Vor allem für große Vermögensverwaltungsgesellschaften spielt außerdem das Engagement als Aktionär eine bedeutende Rolle, beispielsweise durch Ausübung der Stimmrechte oder Mitsprache in den Ölunternehmen. Diese müssen einerseits für die fortlaufende Deckung des Energiebedarfs sorgen – und andererseits dafür, dass sie die Folgen ihrer Tätigkeit und ihrer Produkte auf den CO2-Ausstoß reduzieren, ohne jedoch die wirtschaftliche Tragfähigkeit ihrer Branche zu gefährden. Das kann zum Beispiel durch eine breitere Diversifizierung ihrer Aktivitäten erfolgen.

BNPP AM macht von den durch die Stimmberechtigung bei Hauptversammlungen bestehenden Einflussmöglichkeiten Gebrauch, um aktiv auf deutliche Festlegungen von Unternehmen zu drängen. Im Energiesektor nutzen wir dafür den Rahmen der IIGCC (Institutional Investor Group on Climate Change) und arbeiten mit anderen europäischen Anlageverwaltungsgesellschaften zusammen.

In den vergangenen Jahren haben wir alle bedeutenden Ölkonzerne darum gebeten, uns darzulegen, in welchem Ausmaß sie Klimathemen in ihre Strategien integriert haben und welche Arten von Kontrolle ihre Aufsichtsräte bei diesem Thema ausüben. Diese konstruktiven Gespräche haben dazu beigetragen, mehr Bewusstsein für diese Themen bei europäischen Ölgesellschaften zu schaffen.

Im Dezember 2017 sind wir der Initiative Climate Action 100+ beigetreten, deren Ziel darin besteht, die 100 größten Emittenten von Treibhausgasen aufzufordern, konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen zu ergreifen und Klimathemen in ihre Geschäftsstrategien aufzunehmen. Außerdem schließen wir seit 2017 alle Ölproduzenten aus unseren Portfolios aus, bei denen mehr als 10% der Produktion aus Ölsand stammen.

Die ökologischen Auswirkungen von Schieferöl sind nicht mit unserer Anlagephilosophie vereinbar. Zusammengenommen haben uns diese Maßnahmen davon überzeugt, dass es notwendig und nützlich ist, Dialoge mit Emittenten zu führen, die in gefährdeten Sektoren tätig sind, und sie zu ermutigen, ihre Geschäftspraktiken und ihre klimarelevante Performance zu verbessern.

Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da die Ölgesellschaften weiterhin in der Lage sein müssen, durch Investitionen vor allem erneuerbare Energien voranzutreiben. Zumal sie im Vergleich zu anderen Akteuren auch über die erforderlichen Kapazitäten und Ressourcen verfügen.

Genauso wichtig ist es, dass sie auf verschiedene Strategien setzen – und ihr Portfolio beispielsweise zunehmend auf Erdgas ausrichten und verstärkt in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Elektrostrom investieren, um die direkten und indirekten Klimaauswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit schnell und massiv zu reduzieren und sich an den Klimawandel anzupassen.

Es gilt also vor allem, in technischen Fortschritt jeder Art zu investieren, damit der Spagat zwischen dem weiter steigenden Energiebedarf einerseits und der Reduzierung des CO2-Ausstoßes andererseits gelingt, anstatt die großen Produzenten so schnell wie möglich vom Markt zu eliminieren.

Klar ist, dass die betreffenden Unternehmen ihre Aktivität im Bereich der fossilen Energien mittel- und langfristig erheblich reduzieren und sich stattdessen auf die Energiequellen konzentrieren müssen, die den geringsten CO2-Ausstoß verursachen und mit dem Ziel vereinbar sind, den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf weniger als zwei Grad zu begrenzen.

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