RBC BlueBay: 'Make Russia pay' oder die westlichen Steuerzahler

Timothy Ash, Senior-Stratege für Schwellenländeranleihen bei RBC BlueBay Asset Management
Marktkommentar

Mehrere Hundert Milliarden US-Dollar russischer Vermögenswerte liegen derzeit eingefroren auf Auslandskonten – auch in der Europäischen Union. Dieses Geld könnte man gut für die Ukraine nutzen.

08.03.2024 | 07:21 Uhr

Doch die derzeitige Politik des Westens bedeutet vielmehr, dass die westlichen Steuerzahler die Rechnung für Russland bezahlen, meint Timothy Ash, Senior-Stratege für Schwellenländeranleihen bei RBC BlueBay Asset Management.

Hier sein aktueller Marktkommentar:

„Der Startschuss für die Verhandlungen über den Umgang mit den ukrainischen Staatsschulden ist gefallen.

Die Anleihegläubiger sind dabei, verschiedene Gruppen zu bilden.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte eine Umschuldung als Bedingung für seine 15 Milliarden US-Dollar umfassende Erweiterte Fondsfazilität (EFF) für die Ukraine gefordert. Dies ist seine übliche Vorgehensweise und war daher zu erwarten. Soweit wir das beurteilen können, machen die ukrainische Seite, die bilateralen Gläubiger und die Geber einfach mit. Aufgrund der eingefrorenen russischen Vermögenswerte ist die Ukraine aber ein ungewöhnlicher Fall.

Gemäß dem IWF-Programm trägt die Schuldenbehandlung mit etwa 14,8 Milliarden US-Dollar zur Deckung der ukrainischen Bruttofinanzierungslücke in Höhe von 122 bis 140 Milliarden US-Dollar bei.

Unserer Meinung nach gibt es hier aber zahlreiche Probleme: Erstens legt der IWF seine Makroerwartungen für den Zeitraum 2023 bis 2027 als Grundlage für die Schuldentragfähigkeitsanalyse (Debt Sustainability Analyses, DSA) vor. Doch wie glaubwürdig sind solche Prognosen in einem Krieg? Wie kann der IWF einen verlässlichen Ausblick erstellen, wenn die tatsächliche Entwicklung so sehr vom Krieg und von Sicherheitsaspekten abhängt – also von Faktoren, die außerhalb seiner Expertise liegen? Und wie kann man eine DSA durchführen, wenn der makroökonomische Rahmen so unsicher ist? Dies liegt im Bereich der ‘Finger in der Luft‘-Analyse.

Zweitens: Warum sollte man sich mit der Schuldenbehandlung beeilen? Warum nicht das Kriegsende abwarten, wenn die makroökonomischen Aussichten und die DSA viel klarer sein werden. Sicherlich wäre es sinnvoller, die im August 2022 vereinbarte 24-monatige Aussetzung des Schuldendienstes einfach zu verlängern.

Die Antwort auf diese Frage ist der enorme Finanzierungsbedarf der Ukraine für den Wiederaufbau. Die Lust der westlichen Steuerzahler auf die Finanzierung der laut Weltbank nötigen mehr als 400 Milliarden US-Dollar ist begrenzt und wie auf der Ukraine Recovery Conference in London zu hören war, soll der Privatsektor die Hauptlast tragen. Ein frühzeitiger Marktzugang für die Ukraine ist somit von entscheidender Bedeutung. Nach einer Schuldenumstrukturierung, die die Sachlage klärt, wird die Ukraine nach Kriegsende umgehend an den Start gehen können.

Wir sind jedoch der Meinung, dass selbst bei einer frühzeitigen Schuldenregelung angesichts all der anderen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ukraine – unter anderem Sicherheitsrisiken sowie Probleme mit Verwaltung und Rechtsstaatlichkeit – nicht erwartet werden kann, dass der Privatsektor die schwere Arbeit übernimmt. Schließlich ist die Angelegenheit in Wirklichkeit von wichtigem öffentlichen Interesse im Westen. Außerdem werden die Investitionen des westlichen Privatsektors in die Ukraine in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Vergleich zum tatsächlichen Finanzierungsbedarf einfach nicht ausreichen.

Drittens mangelt es dem IWF-Programm selbst bei den Finanzierungszusagen an Glaubwürdigkeit. Die Zusicherung der USA von 22 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2023 bis 2027 muss angesichts der Schwierigkeiten, das 61 Milliarden US-Dollar schwere Finanzierungsgesetz für die Ukraine durch das Repräsentantenhaus zu bringen, angezweifelt werden. Ganz zu schweigen davon, dass die US-Unterstützung im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump wahrscheinlich drastisch sinken wird.

Tatsächlich ist der Bruttofinanzierungsbedarf der Ukraine höher als 122 bis 140 Milliarden US-Dollar. Die Gesamtkosten – militärisch und fiskalisch – für die Stützung des Landes belaufen sich im Kriegsfall auf etwa 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr und im Friedensfall wahrscheinlich auf 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Etwa die Hälfte der derzeitigen Kosten wird von den USA getragen – man muss sich also fragen, ob Europa die Lücke füllen kann, die durch den Rückzug der USA unter Trump entsteht? Wir halten dies für unwahrscheinlich.

Die militärischen Kosten sollten in dieser Diskussion ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden – wenn diese Lücke nicht geschlossen wird, verliert die Ukraine auf dem Schlachtfeld. Dann verschlechtern sich die makroökonomischen Rahmenbedingungen und die finanzielle Situation erheblich.

Schließlich stellt sich die Frage nach der Moral und der Gerechtigkeit bei der Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte. Der IWF erwähnt diese Assets in seinem jüngsten Stabsbericht mit keinem Wort. Warum?

Russland ist für den Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Verluste, Kriegsverbrechen und sonstige Gräueltaten verantwortlich. Es gibt mehr als 300 Milliarden US-Dollar an eingefrorenen russischen Vermögenswerten in westlichen Ländern, die potenziell zur Finanzierung der Ukraine während des Krieges und für den Wiederaufbau nach dem Krieg zur Verfügung stehen. Allerdings scheinen Argumente wie Rechtsstaatlichkeit, das Reservewährungsrisiko und die Angst vor russischen Vergeltungsmaßnahmen hier die Dynamik zu bremsen.

Die derzeitige Politik des Westens, eingefrorene russische Vermögenswerte nicht zu beschlagnahmen und für die Ukraine zu verwenden, bedeutet, dass die westlichen Steuerzahler die Rechnung für Russland bezahlen. Man könnte den Standpunkt vertreten, dass die Interessen der russischen Steuerzahler über die der westlichen gestellt werden.

Die privaten Anleihegläubiger, die sich derzeit gegen eine Schuldenbehandlung wehren, zeigen, wie unhaltbar die Darstellungen der Finanzierungssituation vom IWF und den westlichen Regierungen sind.

Indem sie den derzeitigen Rahmen für die Schuldenbehandlung unterstützen, riskieren die Anleihegläubiger, dass die Ukraine die mehr als 300 Milliarden US-Doller an eingefrorenen russischen Vermögenswerten niemals sichern kann. Indem sie jeden Schuldenerlass unterstützen, tragen sie effektiv dazu bei, ein unhaltbares westliches Finanzierungsmodell zu verlängern. Das erhöht das Risiko einer möglichen Niederlage der Ukraine.“

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