RBC BlueBay: Geopolitik - „Es ist nicht alles nur düster“

Timothy Ash, Senior-Stratege für Schwellenländeranleihen bei RBC BlueBay Asset Management
Marktkommentar

Die Zukunft der Welt, auch die der Wirtschaft, liegt in der Kooperation und nicht in der Konfrontation. Dennoch scheint die Welt 2024 mehr denn je ein Schachbrett zu sein und Konflikte unausweichlich.

23.02.2024 | 10:07 Uhr

Warum er trotz allem Anlass für Optimismus sieht, erläutert Timothy Ash, Senior-Stratege für Schwellenländeranleihen bei RBC BlueBay Asset Management.


„ ‚Geopolitik‘ ist derzeit eines dieser angesagten Schlagworte. Das liegt wohl an einer unsicheren Welt, in der zahlreiche Kriege herrschen.

Man hat den Eindruck, dass die geopolitischen Risiken heutzutage größer sind. Es fällt aber schwer, auf das 20. Jahrhundert zurückzublicken und diese Ära als geopolitisch ‘ruhig‘ zu bezeichnen – schließlich gab es zwei Weltkriege, den Holocaust, den Korea- und Vietnamkrieg sowie den Kalten Krieg einschließlich der Kubakrise.

Es besteht die Versuchung, die Welt für einen wahnsinnig riskanten Ort zu halten, an dem es von geopolitischen Ereignissen nur so wimmelt und deshalb in Schockstarre zu verfallen. Es ist also wichtig, den Wald von den Bäumen zu unterscheiden.

Denn wenn wir uns die aktuelle politische Landschaft ansehen, ist nicht alles düster.

Der Krieg in der Ukraine ist brutal. Es gab wahrscheinlich Hunderttausende Opfer auf beiden Seiten und Schäden in Höhe von Hunderten von Milliarden, wenn nicht gar Billionen von Dollar. Aber mit Blick auf die westlichen Interessen müssen wir dankbar sein, dass einige der schlimmsten Szenarien nicht eingetreten sind.

Russland hat noch nicht gewonnen

Wladimir Putins ursprünglicher Plan, die gesamte Ukraine einzunehmen und zu unterwerfen, ist nicht aufgegangen. Stellen Sie sich vor, dieses Vorhaben wäre erfolgreich gewesen. Dann könnten russische Panzer bereits wieder an der Grenze zu Polen stehen und es würden weitere Attacken in Europa, den baltischen Staaten und anderswo drohen. Westeuropa wäre einer weiteren Invasion durch russische Streitkräfte schutzlos ausgeliefert und die Verteidigungsausgaben des Westens müssten in die Höhe schnellen – auf ein Vielfaches des derzeitigen Ziels von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Nicht nur die Invasion im großen Stil ist gescheitert. Russland hat sich in der Ukraine in einen langen Zermürbungskrieg verstrickt. Ein Großteil seiner konventionellen Streitkräfte wurde vernichtet. Buchstäblich Tausende von russischen Panzern und Schützenpanzern sind zerstört. Die russische Schwarzmeerflotte wurde weitgehend außer Gefecht gesetzt und liegt jetzt in sicheren Häfen an der Ostküste des Schwarzen Meeres.

Die Ironie von Donald Trumps Forderung, die westliche Unterstützung für die Ukraine einzuschränken, besteht darin, dass diese Unterstützung, die Finanzierung und die Munition vielleicht die beste Investition des Westens in seine Verteidigung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war.

Für einen Bruchteil der Verteidigungsausgaben der NATO – buchstäblich weniger als 10 Prozent des Jahreshaushalts – hat die Ukraine etwa die Hälfte von Russlands konventionellen militärischen Mitteln außer Gefecht gesetzt. Und das ohne jedes Risiko für die NATO-Truppen – und ohne dass die Vereinigten Staaten ihre Truppen entsendet hätten. Der größte Teil der derzeit im US-Kongress blockierten 61 Milliarden US-Dollar für die Ukraine würde für in den USA hergestellte Militärausrüstung ausgegeben.

Florierende Beziehungen

Der NATO und dem westlichen Bündnis wurde neues Leben eingehaucht. In den Monaten vor dem Einmarsch Putins bezeichnete der französische Präsident Emmanuel Macron die NATO als hirntot und ohne Zweck. Nun hat Putin ihr einen Sinn gegeben: Sie konzentriert sich wieder auf das, wofür sie ursprünglich geschaffen wurde – nämlich Europa gegen die Bedrohung einer russischen Invasion zu verteidigen. Und die NATO, die EU, die G7 und das westliche Bündnis im weiteren Sinne haben als Reaktion auf diese Bedrohung eine bemerkenswerte Geschlossenheit an den Tag gelegt.

Es gibt jetzt ein koordiniertes Verfahren für die Bereitstellung militärischer Unterstützung für die Ukraine. Europa hat in Abstimmung mit den USA zwölf Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet und einstimmig unterstützt, ein weiteres soll kommen. Die westliche Allianz hat der Ukraine inzwischen Finanzmittel in Höhe von fast 200 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Das entspricht der Wirtschaftsleistung des Landes vor dem Krieg. Die NATO arbeitet jetzt besser an einer koordinierten Produktion von Waffen und Munition. Und sie hat Finnland als neues Mitglied aufgenommen, wahrscheinlich folgt Schweden auch bald. Beide Länder waren zuvor fest im neutralen Lager.

Der Winter kam und ging

Es hat keine europäische Energiekrise gegeben, anders als es in den Monaten vor und unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine den Anschein hatte. Ja, die Energiepreise stiegen zunächst an. Aber die höheren Preise und die Marktmechanismen haben gewirkt: Die Nachfrage ist gesunken und Energieeffizienz sowie Diversifizierung wurden gestärkt. Die Energiepreise sind mittlerweile auf den Tiefststand vor dem Krieg zurückgefallen.

Europa hat fast sofort einen Großteil der jährlichen Gaseinfuhren aus Russland im Wert von 50 Milliarden Euro gestoppt und alternative Lieferanten gefunden. Dieses Geschäft ist für Russland dauerhaft verloren. Es wird nicht mehr zurückkommen und das Land kann die jährlich 160 Milliarden Kubikmeter, die nach Europa flossen, nicht einfach so nach China umleiten.

Unwahrscheinlich, dass China dem Beispiel folgt

Wir sind der Meinung, dass aufgrund des gescheiterten russischen Krieges in der Ukraine die Wahrscheinlichkeit einer chinesischen Invasion Taiwans gesunken ist. Das bedeutet, dass auch die geopolitischen Risiken geringer sind. In den letzten Monaten schien sich eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und China abzuzeichnen. China war bestrebt, das Verhältnis zu den USA nicht zu belasten, indem es sich für Russland einsetzte. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Beziehungen zwischen den USA und China aufgrund des Krieges in der Ukraine besser geworden sind.

Es gibt also Raum für vorsichtigen Optimismus. Allerdings: Jetzt ist Trump das größte globale geopolitische Risiko. Es war interessant zu hören, wie US-Politiker darüber sprachen, wie man die US-Politik gegen Trump absichern kann, um künftige Stabilität zu gewährleisten. Es ist bemerkenswert, dass das größte Risiko für die globale Sicherheit jetzt ein ehemaliger/zukünftiger POTUS ist.“

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