Die jüngsten Arbeitsmarktdaten aus den USA haben die Kapitalmarktakteure erkennbar freundlich aufgenommen. Nach eher enttäuschenden Beschäftigungszuwächsen in den vorangegangenen Monaten signalisieren die rund 850.000 neuen Jobs im Juni, dass die Erholung des Arbeitsmarktes voranschreitet und dass die hohen Erwartungen an das Wachstum realistisch sind.
12.07.2021 | 10:57 Uhr
Schaut man darauf, wo die Arbeitsplätze entstanden sind, scheinen vor allem die Corona-belasteten Dienstleistungsbereiche Personal aufgebaut zu haben. Allein in der Bewirtungs- und Übernachtungsbranche wurden rund 343.000 Stellen neu besetzt; hinzu kamen 67.000 Stellen im Einzelhandel und 29.000 Stellen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen. Darüber hinaus wurden rund 230.000 Stellen im öffentlichen Erziehungswesen besetzt. Positiv fällt auch auf, dass sich die Zahl der „unfreiwilligen“ Teilzeitkräfte deutlich um fast 700.000 verringert hat. Der Normalisierungsprozess in den USA scheint Fortschritte zu machen, und die Erholung verläuft – wie erhofft – wesentlich schneller als nach der „Großen Rezession“ von 2008/09.
Der verstärkte Beschäftigungsaufbau ist für den Kapitalmarkt allerdings ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist die Entwicklung ein Indiz für die stärkere wirtschaftliche Aktivität, andererseits könnte damit der Beginn geldpolitischer Straffungen näher rücken. Das Ausmaß der Unterbeschäftigung ist allerdings noch immer hoch: Vergleicht man die Arbeitslosenzahlen und -quoten von Februar 2020 und Juni 2021, liegt die Zahl der Arbeitslosen aktuell mit 9,5 Millionen noch immer rund 3,8 Millionen über dem Stand vor der Corona-Krise, die Arbeitslosenquote steht bei 5,9 % und damit 2,4 Prozentpunkte höher als damals. Zudem erzählt die Arbeitslosigkeit nur die halbe Geschichte, denn viele Arbeitnehmer hatten sich im letzten Jahr aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen.
Tatsächlich ist die Zahl der Erwerbspersonen („labor force“) seit Februar 2020 um knapp 3,4 Millionen gesunken (obwohl die Erwerbsbevölkerung in diesem Zeitraum um 1,7 Millionen gewachsen ist). Ein Teil der Verringerung scheint dauerhaft zu sein, da viele Ältere früher als geplant in den Ruhestand gewechselt zu haben scheinen. Das Gros dürfte jedoch aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und andere Pflegebedürftige, aufgrund gesundheitlicher Bedenken oder mangels Arbeitsmarktchancen auf die Jobsuche verzichtet haben. Die Beschäftigungsstatistik zeigt jedenfalls, dass die Zahl der Beschäftigten nach der Arbeitsstätten-Statistik noch immer fast 7 Millionen unter dem Stand von Februar 2020 liegt (siehe Abbildung).
Die Beschäftigungslücke bietet der US-Notenbank relativ viel
Spielraum, die außerordentlich expansive Geldpolitik der
vergangenen Monate fortzusetzen. Wenn das durchschnittliche
Tempo des Beschäftigungsaufbaus der vergangenen sechs Monate
von etwa 540.000 pro Monat aufrechterhalten werden könnte, würde
es immer noch mehr als ein Jahr dauern, die Beschäftigung auf das
Vorkrisenniveau zurückzubringen. Aber auch das wäre für die Fed
nicht zwangsweise ein Grund, den geldpolitischen Impuls
zurückzunehmen. Denn in der Neufassung ihrer Ziele weist sie
explizit darauf hin, dass die angestrebte „maximale Beschäftigung“
nicht nur an einem Indikator wie der Arbeitslosigkeit festgemacht
werden soll, sondern, wesentlich weiter gefasst, auch allgemeine
„Defizite“ der Arbeitsmarktentwicklung berücksichtigen soll. In
Verbindung mit der weiten Definition des 2 %-Inflationsziels als
Durchschnittsziel, das ein temporäres Überschießen der Inflation als
Ausgleich für Niedriginflationsphasen zulässt, spricht wenig für eine
frühe Straffung der Geldpolitik.
Was in den jüngsten Arbeitsmarktberichten allerdings ins Auge sticht, ist die bemerkenswert starke Dynamik
der durchschnittlichen Stundenverdienste (siehe Abbildung unten). Der Anstieg im privaten Sektor lag im
Juni mit 3,6 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat am oberen Rand dessen, was in den Jahren
vor der Corona-Krise erreicht wurde. Besonders stark fallen Anstiege in den Sektoren mit kräftigen
Beschäftigungsanstiegen aus: Im Retail-Sektor lag der Anstieg im Juni bei 6,2 %, im Bereich Freizeit und
Unterhaltung bei 7,1 %. Es scheint als würde der Druck, die Beschäftigung rasch hochzufahren, die
Arbeitgeber zu signifikanten Lohnzugeständnissen zwingen. Dabei dürften die ausgewiesenen Anstiege die
Entwicklung in den einzelnen „Lohngruppen“ eher noch unterzeichnen: Da vor allem die Stellen im
Niedriglohnbereich abgebaut wurden (was sich in den Stundenverdiensten im vergangenen Jahr als starke
Steigerung niedergeschlagen hatte), müssten die Struktureffekte – die (Wieder-)Besetzung von geringer
bezahlten Stellen – den Anstieg der Stundenverdienste nach den Berechnungen des Council of Economic
Advisors des US-Präsidenten eigentlich in Richtung Nulllinie drücken.
Den vollständigen ODDO BHF CIO View finden Sie hier als PDF.
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