Gegenwärtig geschieht in der Weltwirtschaft etwas noch nie Dagewesenes: In ganzen Ländern steht die Wirtschaft mit Ausnahme wesentlicher Aktivitäten, vor allem im Gesundheitswesen, still.
25.03.2020 | 12:10 Uhr
Die Menschen werden
dazu angehalten zu Hause zu bleiben, wobei sie
entweder überhaupt nicht arbeiten oder
versuchen, sich ein Home Office einzurichten.
Dabei müssen sie das Beste aus den
verschiedenen persönlichen, technischen und
psychischen Zwängen machen. Die Folge ist ein
plötzlicher Rückgang des Arbeitsvolumens und
der Produktivität, d.h. des Wirtschaftswachstums.
Die wirtschaftliche Unsicherheit hat einen neuen
Höhepunkt erreicht und sogar den Tiefstand vom
Herbst 2008 übertroffen. Bis die „Kurven“ der
Epidemie abflachen, ist davon auszugehen, dass
die Angst und die Risikoaversion weiter
zunehmen könnten.
Die Wachstumsprognosen werden nun massiv nach unten korrigiert. Auch hier wird die Revision wahrscheinlich das Ausmaß der nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers beobachteten Entwicklung übersteigen. Von September 2008 bis März 2009 wurde die globale BIP-Wachstumsprognose für die nächsten 12 Monate um 3,3 Prozentpunkte gesenkt. Vor dem Auftreten des Coronavirus wurde ein globales Wachstum in der Größenordnung von 3% erwartet. Jetzt wird es negativ sein – das erste Mal seit 1945. Doch das ist erst der Anfang einer Welle von Hiobsbotschaften sowohl für die wirtschaftliche Aktivität als auch die Beschäftigung.
Einige Sektoren sind weitgehend zum Stillstand
gekommen(Gaststättengewerbe, T ourismus,
Luftverkehr) und andere werden durch die
Eindämmungsmaßnahmen stark
beeinträchtigt(Produktion, Handel mit langlebigen
Gütern).
Daher ist es möglich, dass das Niveau des BIP in mehreren Ländern innerhalb weniger Wochen um 5%, 10% oder mehr sinken könnte, je nach Dauer und Schwere der von den Behörden ergriffenen Maßnahmen. Nach 1945 war der stärkste vierteljährliche Rückgang des realen BIP im ersten Quartal 2009 in Deutschland mit -4,7% und im zweiten Quartal 1968 in Frankreich mit - 5,3% zu verzeichnen. Dieses letzte Beispiel ist zwar schon recht alt, aber es könnte ein wenig Licht auf die Auswirkungen der Konjunkturabschwächung werfen. Im Mai und Juni 1968 kam es in Frankreich zu einem Generalstreik, der die Studentenproteste begleitete. In der Folge brach die Produktion ein. Nach dem Ende des Aufstands und der Streiks stieg sie wieder um 8% im Quartal an. Das Coronavirus dürfte wahrscheinlich mehr Durchhaltevermögen als die Studenten des Quartier Latin habe.
Obwohl der Schock eindeutig historische Ausmaße hat, sollte man jedoch bedenken, dass die Reaktion der Regierungen und öffentlichen Institutionen auf den Schock gleichermaßen beispiellos ist. In nur wenigen Tagen haben die Zentralbanken alle Instrumente aktiviert, die zur Zeit der Finanzkrise 2008-2009 angewandt wurden, wenn auch mit einigen Unsicherheiten über Wochen oder Monate.
Es gab aggressive Senkungen der Leitzinsen, neue Programme für den Ankauf von Vermögenswerten, die Wiederbeschaffung von Liquiditätsfazilitäten, internationale Zusammenarbeit zur Verhinderung einer Dollarknappheit und eine Lockerung der regulatorischen Beschränkungen für den Bankensektor. Die Zentralbanken bieten den Regierungen und Banken eine unbegrenzte Garantie zur Unterstützung der Wirtschaft an.
Ziel ist es, eine globale Kreditklemme wie 2009
zu vermeiden. Dies kann den Unterschied
zwischen einer sehr schweren und kurzlebigen
Krise sowie einer sehr schweren Krise mit
kumulativen Auswirkungen ausmachen.
Die Reaktionen der Finanzbehörden sind von
Land zu Land verschieden. Doch die allgemeine
Linie besteht darin, Darlehen an Unternehmen
(insbesondere KMU) zu garantieren und die
Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung zu
erhöhen. Kurz gesagt, der öffentliche Sektor
ersetzt den privaten Sektor, dessen Tätigkeit
gestört ist, ohne zu darauf zu achten, was dies in
Form zusätzlicher Schulden bedeutet. Der
fiskalische Entscheidungsprozess zieht sich auch
länger hin als bei der Geldpolitik. Die Parteipolitik
kann manchmal einen Einfluss haben, wie die
Entwicklungen in den USA zeigen. Der Kongress
diskutiert seit mehr als einer Woche über einen
Konjunkturplan; er muss noch finalisiert oder
verabschiedet werden.
Die aktuelle Wirtschaftskrise geht über jeden
bekannten Rahmen hinaus. Im Moment kann
niemand sagen, wie sie sich in allen
Konsequenzen auswirken wird. Aber eines ist
klar: Die Richtung der Wirtschaft wird auf kurze
Sicht weiterhin von der Entwicklung der
Gesundheitskrise abhängen. Im Moment zeigt
die Richtung nach unten. Aber wenn es uns
gelingt, unsere Volkswirtschaften in einigen
Wochen wieder in Gang zu bringen – wobei
China offenbar den Weg weist –, könnte die
Erholung genauso spektakulär sein wie der
Rückgang zuvor.
Bruno Cavalie, Chief Economist ODDO BHF
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