Von Jörg Dehning, Analyst bei DJE Kapital AG
27.02.2024 | 07:45 Uhr
Der überraschende Managementwechsel bei dem größten schwedischen Textilanbieter und die dort eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen lassen aufhorchen. Zeigen sie doch, dass sich der Textilhandel weiterhin im Umbruch befindet. Während die Corona-Pandemie temporär vor allem die reinen Online-Anbieter wesentlich gestärkt hatte, gewinnen nun im Zuge der überhöhten Inflation preisaggressive Konzepte an Bedeutung. Zweifelsohne stehen angesichts der Kaufkraftverluste beim Konsumenten die Ausgaben für Mode aktuell nicht an erster Stelle. Nur „Fast-Fashion“-Händler mit einer überzeugenden Produkt- und „Omni-Channel“-Strategie können in dem äußerst wettbewerbsintensiven Markt noch bestehen. Die Zahl der Mode-Unternehmen, die allein hierzulande von einem Insolvenz-Verfahren betroffen sind bzw. waren, ist lang und reicht von Hallhuber und Gerry Weber über Wormland bis hin zu Peek & Cloppenburg.
Konkurrenz aus China
Zusätzlich
droht den angestammten Marktakteuren mit Shein und Temu zunehmende
Billig-Konkurrenz aus Fernost. Der Online-Marktplatz Temu, hinter dem
das chinesische Internetunternehmen Pinduoduo steht, findet sich in den
Ranglisten deutscher Online-Marktplätze bereits auf Platz 4, und damit
vor Zalando! Sowohl Temu als auch Shein treten nur als Vermittler auf.
Deren Bekleidung wird direkt aus den asiatischen Fabriken nach
Nordamerika oder Europa verschickt. Kosten für Einkäufer,
Zwischenhändler und Zwischenlager entfallen. Die Shopping-Apps bieten
zudem mit Hilfe von Gutschein-/Rabatt-Lotterien ein ganz neues
Shopping-Erlebnis. Die Nutzung von Influencern, unter anderem bei
TikTok, erhöht zugleich die Beliebtheit bei der jüngeren Kundschaft.
Mögliche Abstriche in Sachen Qualität werden angesichts der unschlagbaren Preise wohl häufig akzeptiert, anders ist das rasante Wachstum beider Plattformen nicht zu erklären. Allenfalls ethische Aspekte können die Expansion beider App-Betreiber gefährden. So wurden die Datenaustauschpraktiken der Konzerne bereits mehrfach untersucht. In den USA hat der Kongress ferner die Börsenaufsicht zuletzt aufgefordert, den geplanten Börsengang von Shein aufzuschieben, bis geklärt sei, ob das Unternehmen in seiner Lieferkette keine Zwangsarbeiter einsetzt. Um das Image aufzupolieren, ist Shein deswegen bemüht, sein Markenportfolio über Partnerschaften oder Zukäufe auszubauen. Als Beispiel lässt sich hier die jüngste Kooperation mit Forever21 in den USA oder der Kauf von Missguided in Großbritannien nennen.
Filialschließungen vs. Expansion
Eines
dürfte vor diesem Hintergrund jedem klar sein: Das potenzielle
Marktvolumen für die stationären Mode-Filialisten wird in den nächsten
Jahren sicherlich nicht größer werden. Besonders die Umsatzproduktivität
von Großflächen könnte darunter weiter leiden. Entsprechend erscheint
es nicht verwunderlich, dass gleich mehrere Modeketten derzeit eine
Portfoliobereinigung vornehmen und zahlreiche Filialen schließen
beziehungsweise verkleinern. Ob der spanische Hauptkonkurrent Inditex
mit seinen Formaten Zara, Bershka, Stradivarius, Pull&Bear und
Massimo Dutti davon zu profitieren vermag, bleibt abzuwarten. Die
Spanier hatten aber schon die Corona-Pandemie genutzt, weniger
produktive Verkaufsflächen abzustoßen. In der Folge kann sich Inditex im
Gegensatz zu seinem schwedischen Mitbewerber bereits im Geschäftsjahr
2024/25 wieder deutlich stärker auf die Expansion konzentrieren. Ein
Schwerpunkt dürfte in dem Ausbau des nordamerikanischen Filialnetzes
liegen.
Auf dem Vormarsch sind hier außerdem die sogenannten „Off-Price“ Textilanbieter. So treiben beispielsweise die „Off-Price“-Filialisten Marshalls, TJ Maxx und TK Maxx, die alle zum börsennotierten US-Konzern TJX Companies gehören, ihre Expansion ungebremst voran. In Zeiten hoher Inflation lockt TJX die Kunden vor allem mittels umfangreicher Rabatte auf Produkte von Designer-Labels und Markenherstellern. Die Markenhersteller wiederum nutzen diese „Off-Price“-Plattformen, um unverkaufte Warenüberhänge im Markt abzusetzen. TJX kann dabei weltweit auf seine erfahrenen Sourcing-Manager vertrauen, die stetig versuchen, überschüssige Restposten aufzuspüren.
Lieferketten, Frachtkosten & Währungsexposure
Der
Einkaufsorganisation kommt aber auch im Hinblick auf die immer
häufigeren Störungen der Lieferketten eine zunehmende Bedeutung zu.
Immer noch stauen sich die Frachtschiffe auf beiden Seiten des
Panama-Kanals. Aufgrund des Niedrigwasserstands wird dort seit Monaten
der Schiffsverkehr eingeschränkt. Zahlreiche Transporte, die eigentlich
an der US-Ostküste ankommen sollten, werden jetzt an die Westküste (Long
Beach/LA) umgebucht. Europäische Handelsunternehmen beobachten wiederum
die weitere Entwicklung am Suez-Kanal ganz genau. Im Moment haben die
Angriffe auf die Containerschiffe im Roten Meer noch keinen
nennenswerten Einfluss auf die Warenbeschaffung. Die meisten Reedereien
leiten allerdings nach dem Beschuss durch die Huthi-Rebellen ihre
Schiffe nun über das Kap der Guten Hoffnung um. Dadurch erhöht sich die
Fahrtzeit um circa sieben bis zehn Tage. Wegen der längeren
Transportwege kann man eine Verschlechterung der Situation für die
kommenden Monate trotzdem nicht völlig ausschließen. Gerade wenn die
Containerverfügbarkeit sinken sollte, muss zeitverzögert mit negativen
Auswirkungen gerechnet werden.
Aufgrund des Geschäftsmodells könnte TJX in diesem Fall sogar von den Warenflussproblemen anderer Händler profitieren, indem man verspätete Warenmengen zu günstigen Konditionen aufkauft. Ferner entfallen beim US-Konzern lediglich rund 25% der Frachtkosten auf die Schiffsfracht. Solange die Frachtraten nicht wieder die Niveaus der Corona-Krise erreichen, sollte sich der Margendruck seitens der Logistikkosten weitgehend in Grenzen halten, zumal es zuletzt weitere Entlastungen bei den Landfrachtraten gab. Zur Erinnerung: Während des Corona-Lieferketten-Chaos erreichten die Seefrachtraten in der Spitze bis zu 14.000 US-Dollar je 40-Fuß-Container (FFE). Inzwischen haben sich die Frachtraten auf der Asien-Europa-Route erneut vom Zwischentief fast vervierfacht, liegen mit rund 4.500 US-Dollar/FFE aber noch deutlich unter dem letzten Krisenniveau. Bei den Asien-Nordamerika-Routen fand bisher ohnehin „nur“ eine Verdopplung statt.
Ähnlich wie bei TJX verhält es sich bei den Modehändlern, die im Zuge des sogenannten „Nearshoring“-Trends den Wareneinkauf tendenziell eher ins nahe gelegene Ausland verlagert haben. Dabei hat der Modefilialist Inditex mit Blick auf eine schnellere Sortimentsrotation schon immer einen höheren Anteil seiner Bekleidung in Süd-/Osteuropa beziehungsweise Nordafrika fertigen lassen (rund 50% Anteil). Darüber hinaus bezieht man derzeit noch nennenswerte Warenmengen aus der Türkei. Das Netto-Asien-Exposure von Inditex dürfte im Einkauf unter 30% liegen und damit wesentlich unter dem Anteil vieler Wettbewerber. Deren schwedischer Mitbewerber beispielsweise ist demgegenüber mit einem Asienanteil beim Sourcing von geschätzt über 70% wesentlich stärker dem Risiko von Lieferketten-Unterbrechungen und weiter steigenden Wareneinstandskosten ausgesetzt. Letztlich wirkt sich die regionale Sourcing-Struktur gegebenenfalls über das jeweilige Währungsexposure auf die Entwicklung der Rohertragsmarge aus.
Mit einem US-Anteil von rund 30% ist bei Inditex trotz der jüngsten US-Dollar-Stärke mit geringeren Margenbelastungen zu rechnen, zumal ein Teil der Wareneinkaufe am Terminmarkt abgesichert wird. Handelsunternehmen wie Primark oder auch ASOS, die einen größeren Teil ihrer Ware in US-Dollar einkaufen müssen, können irgendwann den Währungsnachteil nur noch an ihre Kunden weiterreichen. Andernfalls riskieren sie ihre avisierten Margenziele. Um die Marge nicht zu gefährden, gilt es in dem immer dynamischeren Modemarkt außerdem die Mieten im Blick zu haben. Nicht wenige kleine Marktakteure klagen inzwischen über zu hohe Index-Mieten. Die Großfilialisten wie Inditex setzen daher schon länger standortabhängig eher auf kürzere Mietlaufzeiten. Dank ihrer solideren Bilanzen werden sie zudem tendenziell als Ankermieter guter Standorte bevorzugt.
Fazit:
Der
Jahresstart 2024 verlief für die Modebranche mehr als holprig. Neben
ungünstigen Wetterkapriolen in den USA aber auch teilweise in Europa,
sorgten zuletzt Bauern- und Bahnstreiks auf regionaler Ebene für eine
temporär geringere Kundenfrequenz. Angesichts der zudem sehr hohen
Vorjahresbasis dürften die deutschen Modehändler im Januar mit dem vom
Fachmagazin „Textilwirtschaft“ ermittelten Erlösplus gegenüber dem
Vorjahr von +1% mehr als zufrieden sein. Branchenweit dürfte das Auf und
Ab der Umsätze solange weitergehen, wie die Inflation hartnäckig und
die Verbraucherstimmung verhalten bleiben. Dies könnte sich auch in den
anstehenden Finanzausblicken der Unternehmen widerspiegeln. Ebenso sind
Kursrückschläge im Zuge einer Zuspitzung des Nahostkonflikts nicht ganz
auszuschließen.
Als
Investor sollte man daher innerhalb der Branche unbedingt auf Aktien
der Anbieter setzen, deren Lieferketten weniger anfällig sind.
Rechtliche Hinweise
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