ODDO BHF: Kein Halten mehr an den Märkten?

ODDO BHF: Kein Halten mehr an den Märkten?
Marktausblick

An den Finanzmärkten wird die Zukunft gehandelt. Und die ist trotz der aktuellen Zuspitzung der Corona-Lage und der teilweise beträchtlichen wirtschaftlichen Belastungen durch den Lockdown – davon sind die Märkte zunehmend überzeugt – vielversprechend.

18.01.2021 | 09:51 Uhr

Die Rekordjagd an den Aktienmärkten, die im vergangenen November nach den US-Wahlen und den ersten Erfolgsmeldungen zur Impfstoffentwicklung begonnen hatte, setzte sich im neuen Jahr ungebrochen fort. Rund um den Globus verzeichneten die wichtigsten Aktienindizes gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres neue Höchststände – darunter auch der DAX, der zeitweise die 14.000-Marke knacken konnte. Erste Stimmen werden laut, die in der aktuellen Entwicklung eine Blase sehen. Parallel zum Anstieg der Aktienkurse ist ein Anziehen der langfristigen Renditen in den USA und, noch deutlicher, ein Anstieg der Inflationserwartungen zu beobachten (beispielsweise gemessen an der Renditedifferenz zwischen „normalen“ zehnjährigen Treasury Notes und entsprechenden inflationsindexierten Anleihen (TIPS)). Während Gold ein wenig aus der Mode gekommen ist, konnten der Ölpreis auf rund 56 US$/Fass und auch andere Rohstoffpreise kräftig zulegen. Und geradezu phantastisch entwickelte sich die Kryptowährung Bitcoin: Allein in den letzten 21⁄2 Monaten stieg der Bitcoin-Kurs (in US$) um rund 150 %.

Die Aktienmarkterholung im vergangenen Sommer lässt sich auf das Auspreisen überzogener Sorgen zurückführen. Die Anleger konzentrierten sich damals auf defensivere Wachstumswerte, vor allem Titel, die gegenüber den Folgen von Corona robust waren oder sogar von der Pandemie profitierten. Dies hat sich im Herbst mit den zunehmenden Fortschritten bei der Impfstoffentwicklung und dem Wahlerfolg Joe Bidens verändert. Seither setzen die Märkte verstärkt darauf, dass das Jahr 2021 (und möglicherweise auch 2022) eine weltweit kräftige Belebung der Wirtschaft und deutlich steigende Unternehmensgewinne bringen wird. Vier Argumente stützen diese Einschätzung. Zunächst ist davon auszugehen, dass sich die Corona- bedingten Ausfälle relativ rasch korrigieren, wenn sich die Lebensbedingungen durch die Ausweitung des Impfschutzes zu normalisieren beginnen. Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass (in den Industrieländern) im Laufe des zweiten Halbjahres so etwas wie „Herdenimmunität“ erreicht werden kann. Zweitens haben die privaten Haushalte über die letzten Quartale ungewöhnlich viel gespart, was sich in Nachholeffekten beim Konsum niederschlagen könnte. Drittens werden die Notenbanken nach eigener Aussage noch längerfristig für sehr günstige Finanzierungsbedingungen sorgen. Und schließlich ist da die außerordentlich expansive Finanzpolitik, die der wirtschaftlichen Aktivität – vor allem in den USA – starken zusätzlichen Schub verleihen sollte.

Noch kurz vor Jahresende wurde in den USA der COVID Response & Relief Act verabschiedet, das fünfte große Maßnahmenpaket im Verlauf der Corona-Krise. Mit diesem Paket im Umfang von rund 935 Mrd. US- Dollar erhöht sich das Gesamtvolumen der Hilfen auf 3,4 Bio. US$. Der größte Block innerhalb des neuesten Pakets (fast 300 Mrd. US$) fließt im Rahmen des Paycheck Protection Programs an Selbständige und kleine und mittlere Unternehmen, weitere wichtige Blöcke (166 Mrd. US$) finanzieren die „Stimulus Checks“ in Höhe von 600 US$/Person (166 Mrd. US$) sowie die Verlängerung und Aufstockung der Arbeitslosenhilfen des Bundes (120 Mrd. US$). Die Einkommensbeihilfen dürften dafür sorgen, dass die persönlichen Einkommen der Haushalte erneut kräftig ansteigen, ähnlich wie im Frühjahr. Ein großer Teil der Schecks ist bereits in den ersten Tagen des Jahres an die Empfänger gegangen. Insgesamt schätzt das Committee for a Responsible Federal Budget, eine anerkannte Organisation, die seit 30 Jahren die US-Haushaltspolitik analysiert, dass der fiskalische Impuls des Dezember-Pakets rund 2 % des BIP ausmacht.

Die Unterschrift unter dem Gesetz ist noch nicht ganz trocken, da werden zusätzliche Hilfen geplant. Die Demokraten (und Donald Trump) hätten schon im Dezember gerne Schecks über 2.000 US$ pro Person ausgestellt, doch der republikanisch beherrschte Senat hatte solche Überlegungen zunächst blockiert. Mit den Senats-Nachwahlen in Georgia hat sich das politische Blatt nun weiter gewendet: Die Demokraten stellen 50 der 100 Senatoren, so dass ihnen die Stimme der demokratischen Vize-Präsidentin Kamala Harris (die Amtseinführung von Joe Biden und seiner Vizepräsidentin findet am 20. Januar statt) im Zweifelsfall eine hauchdünne Mehrheit sichert. Allein die Aufstockung der Schecks würde je nach genauem Design der Maßnahme zwischen 300 und 435 Mrd. US$ zusätzlich kosten. Das gestern vorgestellte Paket an zusätzlichen Corona-Hilfen übertrifft diesen Betrag jedoch noch deutlich: Der Entwurf sieht Ausgaben in Höhe von weiteren 1,9 Billionen US$ vor, vor allem in Form von Hilfen für Haushalte (Stimulusschecks, Arbeitslosenhilfe, bezahlte Abwesenheit vom Arbeitsplatz, Steuergutschriften für Kinderbetreuung, Unterstützung bei Mieten und Versorgerleistungen), darüber hinaus umfangreiche Mittel für das Impfprogramm, Hilfen für Schulen sowie für Unternehmen und Kommunen. Und darüber hinaus stellte Biden ein Wiederaufbauprogramm in Aussicht, das er in einigen Wochen vorstellen will. Hier könnten auch Elemente des Wahlprogramms einfließen: Das sieht Ausgaben, über einen Zehnjahreszeitraum gerechnet, von rund 5,4 Billionen US$ vor. Die Steuerthemen – insbesondere höhere Unternehmenssteuern – dürften die Demokraten mit Rücksicht auf wirtschaftliche Risiken wohl ins nächste Jahr schieben.

Vor diesem Hintergrund ziehen die Wachstumsprognosen weiter nach oben. Die Konsensschätzungen bewegen sich bei rund 4 % Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts, aktuellere Prognosen schießen sich aber derzeit auf 5 % und darüber ein. Gleichzeitig erwarten die Analysten in diesem Jahr laut FactSet einen Gewinnanstieg der S&P 500-Unternehmen um fast 23 % (Gewinne pro Aktie), das Niveau von 2019 würde damit schon in diesem Jahr wieder um knapp 4 % überschritten. Die „Story“ hinter den Marktentwicklungen ist also durchaus stimmig. Die kräftigen Kursgewinne der letzten Monate haben aber auch die Bewertungen weiter nach oben getrieben. Auf Indexebene bewegen sich die meisten gängigen Kennzahlen wie KGV, Kurs-Buchwert-Verhältnis, Dividendenrendite oder Free-Cash-Flow-Rendite auf im langfristigen Maßstab ausgesprochen anspruchsvollen Niveaus – das trifft für US-Indizes wie S&P 500 oder Nasdaq Composite zu, aber auch für europäische Indizes wie EuroStoxx 50 oder DAX 30 und den MSCI Emerging Markets (Schwellenländer).

Hinzu kommt, dass die Marktstimmung insgesamt recht forsch ist. Der letzte Fund Manager Survey der Bank of America wies auf extrem niedrige Cash-Bestände in den Portfolien hin und warnte vor Über-Optimismus. Die bullische Stimmung bewege sich auf dem höchsten Niveau seit 2011. Ähnliches gilt laut Umfrage der Individual-Anleger Organisation AAII auch für Privatanleger in den USA. Und der Fear & Greed-Index von CNN notiert bei 70, was im oberen Bereich des „Gier“-Segments liegt, aber noch nicht als „extrem“ gilt. Der CBOE Put-Call-Ratio für Aktien (das Anzahl-Verhältnis von Verkaufs- zu Kaufoptionen auf Aktien) steht bei nur 0,34. Das ist der niedrigste Grad der Absicherung seit rund 20 Jahren. Hohe Bewertungen und euphorische Stimmung mahnen zur Vorsicht. Die Anleger sollten sich nicht mitreißen lassen und ihr Aktienexposure im Auge behalten. Wir interessieren uns angesichts der Aussicht auf eine kräftige zyklische Erholung und der Bewertungsunterschiede verstärkt für Value-Aktien, allerdings mit hohem Qualitätsanspruch. Das bietet auch einen gewissen Schutz gegenüber dem Risiko, dass – vor allem in den USA – die Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Output-Lücke und zunehmende Inflationserwartungen zu steigenden langfristigen Renditen führen.

Den vollständigen Marktausblickfinden Sie hier im PDF-Format.


Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Die Rendite kann infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen. Etwaige Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung des Investment Office der ODDO BHF AG wieder, die sich insbesondere von der Hausmeinung innerhalb der ODDO BHF Gruppe unterscheiden und ohne vorherige Ankündigung ändern kann.

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