Schätzungen gehen davon aus, dass den Steuerbehörden durch die Verlagerung von Erträgen multinationaler Unternehmen (MNU) in Niedrigsteuerländer weltweit jährlich bis gut 300 Mrd. US-Dollar an Einnahmen verloren gehen.
14.06.2021 | 11:11 Uhr
Die internationale Initiative für eine Rahmenvereinbarung gegen die Erosion der Steuerbasis unter den Bedingungen der Digitalisierung und Globalisierung stand allerdings aufgrund des Widerstandes der USA lange Zeit auf dem Abstellgleis. Mit dem Regierungswechsel im Weißen Haus haben sich die USA vom Bremser zum Heizer gewandelt. Mit der Einigung der G7-Finanzminister auf eine länderweise Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen und – relevant für die größten Multis – auf ein Recht zur Besteuerung von Erträgen (jenseits einer Schwelle) auf Basis der inländischen Umsätze erhält die bei der OECD angesiedelte Initiative von fast 140 Ländern wieder Feuer unter dem Kessel.
Die Beschlüsse der G7 sind naturgemäß vage formuliert. Die Erklärung setzt allerdings einige wichtige Marken für die weiteren Gestaltung:
(1) Die G7 wollen den Ländern das Recht einräumen, die Gewinne der größten und profitabelsten MNUs
auch dann zu besteuern, wenn diese zwar relevante Umsätze, aber keinen Firmensitz im entsprechenden
Land besitzen („Säule 1“). Dies zielt beispielsweise auf die großen US-Technologieunternehmen, die ihre
Gewinne zwar in einem Land erwirtschaften, dort aber nicht steuerpflichtig sind. Um ein Beispiel zu geben:
Für 2016 wiesen US-amerikanische MNUs 435 Mrd. US-Dollar Auslandsgewinne (ohne Puerto Rico) aus;
allein die in Irland ausgewiesenen Gewinne in Höhe von 76,6 Mrd. US-Dollar überstiegen die kombinierten
Gewinne in Deutschland, Frankreich, Japan, China und Mexiko zusammen. Die G7 schlagen vor, dass
mindestens 20 Prozent der Gewinne oberhalb einer Marge von 10% länderweise nach Anteil am Umsatz
besteuert werden.
(2) Das zweite Element („Säule 2“) ist eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent. Dabei wären Steuerbehörden im jeweiligen Heimatland des MNU berechtigt, Gewinne in Ländern mit einem Steuersatz unter 15% (in „Steueroasen“) mit dem eigenen Satz „nachzubesteuern“. Die beigefügte Tabelle zeigt für USMNU, wo die Gewinne bevorzugt gebucht und wie sie besteuert werden. Nach dem vorgeschlagenen Verfahren könnte der deutsche Fiskus von einem hier ansässigen MNU, das in Singapur einen effektiven Satz von nur 10 Prozent auf seine dort gebuchten Gewinne zahlt, den Unterschied zum Mindestsatz, also 5 Prozent, für sich einfordern. Entscheidend ist die länderweise Herangehensweise, denn diese verhindert, dass Steuerzahlungen in Hochsteuerländern und in Niedrigsteuerländern miteinander verrechnet werden.
Allerdings sind die Beschlüsse nicht übermäßig anspruchsvoll. Der Mindestsatz von 15 Prozent liegt deutlich
unter den Unternehmenssteuersätzen in den meisten größeren Ländern, und die US-Regierung hatte
zunächst – vor dem Hintergrund der geplanten Erhöhung des Steuersatzes in den USA auf 28 Prozent –
einen Mindestsatz von 21 Prozent gefordert. Die OECD selbst schätzt die weltweiten Mehreinnahmen für
einen 15%-Mindestsatz auf 2,4 bis 3,9 Prozent der Steuereinnahmen oder 59 bis 96 Mrd. US-Dollar. Allerdings sind in diesen Simulationen die US-MNUs nicht berücksichtigt, da zum damaligen Zeitpunkt
unterstellt wurde, dass die Trump’schen GILTI-Regeln angewendet würden. Ziemlich klar ist, dass die
Mindeststeuer vor allem dem US-Fiskus aufgrund seines Zugriffs auf die vielfach hochprofitablen und
Steuer-sparsamen US-Unternehmen nennenswerte Mehreinnahmen bescheren würde. Eine aktuelle
Simulation des EU Tax Observatory setzt die Einnahmeneffekte für die USA mit 41 Mrd. Euro an, die für die
EU mit 48 Mrd. Euro.
Die Einnahmen aus der ersten Säule (Besteuerung von Gewinnen dort, wo sie erwirtschaftet werden) dürften, legt man die Berechnungen den OECD zugrunde, mit geschätzten 0,2 bis 0,5 Prozent an Mehreinnahmen (5 bis 12 Mrd. US-Dollar) recht mager ausfallen. Im Gegenzug sparen die Technologieunternehmen aber – so sieht es das G7-Statement vor - die in einer wachsenden Zahl von Ländern erhobenen Digitalsteuern (beispielsweise Frankreich, Italien und Großbritannien; in Kanada in Vorbereitung). Das erklärt möglicherweise auch die Gelassenheit der großen Tech-Konzerne hinsichtlich der Verhandlungsergebnisse der G7, die eine überschaubare internationale Regelung einem wachsenden Flickenteppich nationaler Sondersteuern vorziehen.
Viel hängt davon ab, wie die Gruppe der Unternehmen abgegrenzt wird, die unter die Regeln von Säule 1
fallen. Das Wall Street Journal schätzt, dass insgesamt höchstens 100 Unternehmen groß genug und
profitabel genug sein dürften. Einige diskutieren schon, ob möglicherweise auch profitable
Geschäftsbereiche als relevante Einheiten betrachtet werden könnten. Aufhänger hier ist Amazon, wo die
Web Services-Sparte wesentlich ertragreicher ist als der „profane“ Online-Einzelhandel. Andere wiederum
wollen ihre Lieblingsbranche – für den britischen Finanzminister sind das die Finanzdienstleister – von
vornherein außen vor lassen.
Der Teufel liegt bekanntlich im Detail, und davon gibt es viele. Wer einen Eindruck über die Komplexität der
Thematik gewinnen möchte, dem sind die Entwürfe der OECD zu den beiden Pfeilern des Systems ans Herz
gelegt. Mehrere der beteiligten Finanzminister reklamieren, dass die Vereinbarung ein historischer Schritt
sei. Aber sie ist auch nur ein Anfang. In einem weiteren Schritt muss auf Ebene der G20 eine Einigung
erzielt werden. Zunächst wollen die Finanzminister am 9. und 10. Juli in Venedig zusammenkommen, im
Oktober steht dann das Treffen der Regierungschefs auf dem Programm. Es bleibt vor allem abzuwarten,
wie sich China oder Russland zu den Vorschlägen der G7 stellen. Das Ganze muss dann in eine
umfassende Rahmenvereinbarung überführt werden, die von derzeit 139 Ländern zu ratifizieren wäre.
Insgesamt kann dieser Prozess einige Jahre dauern.
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