ODDO BHF: Euro-Stärke - Comeback zur Unzeit

ODDO BHF: Euro-Stärke - Comeback zur Unzeit
Marktausblick

Als das Corona-Virus im März seinen Einzug in Europa hielt, sah es für die gemeinsame europäische Währung düster aus. Der Euro war bis unter 1,07 US$ gefallen und nicht wenige Anleger spekulierten darauf, dass die „Parität“ in Kürze fallen könnte.

21.09.2020 | 08:31 Uhr

Heute notiert die Gemeinschaftswährung bei rund 1,18 US$, und einiges spricht dafür, dass die Aufwertung weiter gehen könnte. Obwohl eine fortgesetzte Euro-Stärke konjunkturell gesehen zur Unzeit käme, hätte die EZB dem wenig entgegenzusetzen. Vier Faktoren waren für die Wende an den Devisenmärkten nach unserer Einschätzung wesentlich: Erstens, die Entscheidung der EU-Länder einen zentral finanzierten Wiederaufbaufonds einzurichten; zweitens, der geschrumpfte Renditevorteil des US-Marktes; drittens, die Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Entwicklung beidseits des Atlantiks, mit Unsicherheiten auf beiden Seiten. Und viertens: Der Euro ist nach den wichtigsten Kriterien fundamental deutlich unterbewertet gegenüber dem US-Dollar.

Euro-Risiken und Dollar-Vorzüge nehmen ab

Der entscheidende Impuls für die Aufwertung des Euro scheint der Merkel-Macron-Plan gewesen zu sein. Der deutsch-französische Vorschlag, einen zentral finanzierten Wiederaufbaufonds mit umfangreichen Transfers an die von der Corona-Krise besonders belasteten Länder einzurichten, hat ein wesentliches Manko des Euro zumindest vorübergehend neutralisiert: Das Risiko, dass die Währungsunion an der politischen Auseinandersetzung zwischen den sparsamen und hochverschuldeten Ländern zerbricht. Die Einigung im Europäischen Rat auf einen 750 Mrd. € schweren Fonds ist ein starkes Signal der politischen Handlungsfähigkeit der EU. Ordnungspolitisch mag man von EU-Bonds und umfangreichen Transfers zwischen den Staaten halten was man will, aus dem Blickwinkel des Anlegers macht dieser Schritt zur Vertiefung der finanzpolitischen Zusammenarbeit eine neue europäische Schuldenkrise kurz- bis mittelfristig unwahrscheinlich.

Auf der einen Seite erscheint der Euro weniger riskant, auf der anderen Seite ist der zeitweise hohe Zinsvorteil des US-Dollars beständig geschrumpft. Aktuell liegt der US-Leitzins knapp über Null, nur noch gut einen halben Prozentpunkt über dem Einlagensatz der EZB. Darüber hinaus bietet die neu formulierte Strategie der Fed weiteren Spielraum für eine stärker beschäftigungs- und wachstumsfördernde Geldpolitik und lässt auch längerfristig eine sehr expansive Ausrichtung erwarten. Nach der Sitzung des Offenmarktausschusses am Mittwoch erklärte Fed-Chef Powell: „Effectively what we are saying is that rates will remain highly accommodative until the economy is far along in its recovery.” Nimmt man die gerade veröffentlichen Projektionen des FOMC zum Maßstab, müsste sich die Fed auch im Jahr 2023 noch nicht zu einer Straffung der Zinsen veranlasst sehen. Interessant war auch, nebenbei bemerkt, dass sich Powell hinsichtlich der Gefahr von Vermögenspreisblasen ziemlich gelassen zeigte.

Die wirtschaftlichen Perspektiven des Euroraums und der USA unterscheiden sich nicht merklich. Beide Regionen haben infolge der Pandemie einen harten wirtschaftlichen Einschnitt erlebt, und sind nun – vorbehaltlich einer deutlichen Verschärfung der Corona-Lage – auf dem Weg der Erholung. Die Entwicklung in den USA war auch dank der wesentlich massiveren finanzpolitischen Unterstützung etwas dynamischer als in Europa. Zudem scheint die Bautätigkeit von den gesunkenen Hypothekensätzen zu profitieren. Allerdings sind wesentliche Unterstützungszahlungen Ende Juli ausgelaufen. Über mögliche Anschlussleistungen wird weiterhin diskutiert, doch kurz vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 3. November dürfte dabei kaum mehr als eine wahltaktische „Bescherung“ herauskommen. Viel hängt davon ab, ob und wie schnell der Arbeitsmarkt die im Dienstleistungssektor (Verkehr, Touristik, Gastronomie, Einzelhandel u.a.m.) freigesetzten, oft geringer qualifizierten Arbeitskräfte wieder integrieren kann. Und dann kommt es natürlich auf die Machtkonstellation in Washington nach den Wahlen an, und ob es gelingt, die zunehmenden politischen und sozialen Spannungen im Zaum zu halten.

Auf europäischer Ebene sind die Einkommenshilfen in der Regel längerfristiger angelegt. In Deutschland beispielsweise wurden die Regelungen zur Kurzarbeit gerade erst bis Ende 2021 verlängert. Insgesamt erscheint der Erholungsprozess dadurch etwas stabiler, zumal wichtige finanzpolitische Maßnahmen ihre Wirkung erst 2021 entfalten. Mögliche Nachteile dieser Maßnahmen könnten aber entstehen, wenn die staatliche „Fürsorge“ überholte wirtschaftliche Strukturen zu lange konserviert, so dass Zombie- Unternehmen entstehen oder Beschäftigte trotz fehlender Perspektiven gehalten werden. Auf Dauer könnte dadurch das Produktivitätswachstum leiden.

Fundamental ist der Euro unterbewertet

Ein wichtiger Maßstab zur Bewertung einer Währung ist die Kaufkraftparität (KKP). Die höhere Inflation hat im Verlauf der Jahre zu einer realen Aufwertung des US-Dollars bzw. zur Abwertung des Euro beigetragen. Nimmt man die Zahlen der OECD zum Maßstab, liegt der KKP-Wechselkurs des Euro mittlerweile bei 1,42 US$ – Tendenz steigend. Beim aktuellen Kurs von 1,18 US$ wäre der Euro also noch immer rund 17% unterbewertet. Das ist übrigens ungefähr die Größenordnung, die auch der Bic Mac-Index des Economist (ein Vergleich der Big Mac-Preise in den jeweiligen Regionen) ergibt (-16%). Mit Wechselkursprognosen auf Basis der Kaufkraftparität sollte man sehr vorsichtig sein. Die Wechselkursbewegungen um die Parität herum verlaufen in sehr langen Wellen, und es können immer wieder Entwicklungen auftreten, die die „Gravitationskraft“ der KKP überlagern. Nach unserem Eindruck aber haben dabei die wichtigsten kurzfristigen Einflussfaktoren, die lange Zeit für den US-Dollar als Währung gesprochen hatten – stärkeres Wachstum, höhere Renditen, Sicherheit gegenüber weltwirtschaftlichen oder politischen Risiken („safe haven“) und relative fiskalische Solidität – an Bedeutung verloren. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro weiter aufwertet.

EZB hat einer Euro-Aufwertung wenig entgegenzusetzen

Eine Aufwertung des Euro ist der Europäischen Zentralbank derzeit nicht willkommen: Sie bremst den ohnehin schwachen Preisauftrieb und belastet tendenziell die für die EWU-Länder relativ wichtige Auslandsnachfrage. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass sich die warnenden Stimmen mehren. Anfang des Monats sorgte der Chefvolkswirt der EZB, Philip Lane, mit dem Hinweis für Aufsehen, der EUR- USD-Wechselkurs „sei von Bedeutung“. Der EZB-Rat in seiner Gesamtheit beschäftigte sich in der letzten Woche mit dem Währungsthema, gab sich dann jedoch recht gelassen.

Wirklicher Widerstand gegen eine Euro-Aufwertung ist von der EZB nicht zu erwarten. Zunächst ist die Aufwertung des Euro bislang kein Grund zur Panik: Gemessen am Durchschnittskurs des Jahres 2019 macht der Anstieg nur rund 6% aus, in handelsgewichteter Betrachtung fällt die Aufwertung nur geringfügig höher aus. Zudem ist der Spielraum der EZB für Zinssenkungen denkbar gering. Solange das Szenario einer wirtschaftlichen Erholung und der Stabilisierung der Inflationsraten intakt ist, gibt es kaum eine Rechtfertigung für zusätzliche Lockerungsmaßnahmen und insbesondere nicht für Leitzinssenkungen.

Die EZB täte sich mit einer stärkeren Wechselkursorientierung ihrer Politik auch keinen Gefallen. Zum einen läuft sie Gefahr, von den Devisenmärkten geldpolitisch hinter sich hergezogen zu werden. Zum anderen dürfte der Versuch, die eigene Währung zu schwächen, bei den Freunden auf der anderen Seite des Atlantiks auf wenig Gegenliebe stoßen. Gerade für Donald Trump wäre es ein gefundenes Fressen, die Europäer der „Währungsmanipulation“ zu bezichtigen. Als Fazit bleibt damit, dass die Tür zu einer weiteren Aufwertung des Euro weit offen ist.

Den vollständigen Marktausblick finden Sie hier im PDF-Format.

Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Die Rendite kann infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen. Etwaige Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung des Investment Office der ODDO BHF AG wieder, die sich insbesondere von der Hausmeinung innerhalb der ODDO BHF Gruppe unterscheiden und ohne vorherige Ankündigung ändern kann.

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