ODDO BHF: Die USA wählen

ODDO BHF: Die USA wählen
Marktausblick

Am 3. November gehen die US-Bürger zur Wahl. Im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht die Wahl des US-Präsidenten, bei der der demokratische Kandidat Joe Biden gegen den Amtsinhaber Donald Trump antritt.

26.10.2020 | 12:12 Uhr

Parallel dazu stehen aber auch 35 von 100 Sitzen des Senats und alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses zur Abstimmung. Praktisch alle Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen zeigen eine deutliche und relativ stabile Mehrheit für Joe Biden; im Mittel der zehn aktuellsten Umfragen kommt Biden auf gut 51% der Stimmen und eine Führung von rund 9 Prozentpunkten gegenüber Donald Trump, wobei die Ergebnisse relativ einheitlich ausfallen. Hillary Clinton allerdings könnte aus leidvoller Erfahrung berichten, dass das Wahlsystem der USA auch bei klarer Führung in den Umfragen keinen Sieg garantiert.

Im Unterschied zur Wahl 2016 sieht es aber nun so aus, als könnte Joe Biden einige wichtige „Swing States“ – Bundesstaaten mit knappen, in der Vergangenheit wechselnden Mehrheiten – für sich entscheiden. Zu diesen zählen Staaten wie Florida, Pennsylvania, Michigan, North Carolina oder Arizona, die eine nennenswerte Zahl von „Elektoren“ in das Wahlmännergremium entsenden. Das Repräsentantenhaus dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit demokratisch kontrolliert bleiben - die Umfragen sind hier ziemlich klar. Die Wahl zum Senat ist definitiv spannender. Da sich 23 republikanische, aber nur 12 demokratische Senatoren zur Wahl stellen müssen, liegt das Risiko eher bei den Republikanern. Insgesamt sieht es nach derzeitigen Schätzungen so aus, dass die Demokraten 52 Sitze für sich entscheiden könnten und damit eine knappe Mehrheit hätten.

Damit wird ein Szenario möglich, das in den US-Medien oft als „Blue wave“ oder „Blue sweep“ bezeichnet wird: Ein demokratischer Präsident regiert mit demokratischen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses (blau ist die traditionelle Farbe der Demokraten, rot die der Republikaner). Das klingt fast wie Allmacht. Die Erfahrung zeigt aber, dass der Kongress sehr viel unabhängiger agiert als – zum Vergleich – die Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestages.

Nichtsdestotrotz müsste man damit rechnen, dass Biden in der Lage sein könnte, wichtige Teile seines Regierungsprogramms umzusetzen. Bidens Programm ist umfangreich: Ein großer Block betrifft den Erziehungssektor, wo beispielsweise freie Kindergartenplätze, zusätzliche Finanzmittel für Schulen und kostenlose College-Besuche ermöglicht werden sollen; umfangreiche Ausgaben sind für Infrastrukturinvestitionen vorgesehen; der Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem (Medicare) und zu staatlich begünstigten Versicherungslösungen im Rahmen des „Affordable Care Act“ sollen erweitert, die Altenpflege unterstützt werden; im Gegenzug will man die Kosten von Gesundheitsleistungen verringern, vermutlich über die Medikamentenpreise. Auf Sicht von zehn Jahren würden die Maßnahmen, so die Schätzungen des renommierten Penn Wharton Budget Models (PWBM), Mehrausgaben von über 5 Billionen US-Dollar bringen.

US-Wahl-1
Blaue Welle


Als eine der ersten Maßnahmen dürften die Demokraten allerdings den Heroes Act, das reichlich 2 Billionen US-Dollar schwere Hilfspaket des Repräsentantenhauses (oder ein vergleichbares Maßnahmenpaket) umsetzen. Dabei geht es in erster Linie um Hilfen für Arbeitslose oder Kleinunternehmer, die durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Bedrängnis gekommen sind, sowie um entsprechende Unterstützungsleistungen vor allem an die Bundesstaaten.

Insgesamt würden die Demokraten also sehr viel Geld in die Hand nehmen, um zunächst die Wirtschaft wieder in Schwung und dann die genannten Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Dem stehen allerdings auch Einnahmensteigerungen durch Steuererhöhungen gegenüber: Im Hinblick auf die persönliche Einkommensteuer sollen vor allem die Bezieher hoher Einkommen stärker belastet werden, im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung soll der unter Trump gesenkte Steuersatz wieder auf 28% angehoben werden. Ein Aspekt der steuerlichen Maßnahmen ist es auch, Investitionen im Inland attraktiver zu machen. In der Summe sieht das Biden-Programm auf Sicht von zehn Jahren zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von weit über 3 Billionen US-Dollar vor.

Kasse macht bekanntlich sinnlich. So geht es auch den Aktienmärkten, die zunächst auf die staatlichen Mehrausgaben zu schielen scheinen und die kostenträchtigen Elemente wie Steuererhöhungen und vermehrte Regulierungen in Bereichen wie Umwelt und Energie, Banken oder Datenschutz ausblenden. Tatsächlich ist angesichts der wirtschaftlichen Belastungen durch die Pandemie und der nachlassenden Dynamik des wirtschaftlichen Erholungsprozesses nicht davon auszugehen, dass die „Gegenfinanzierung“ der Ausgabenpläne ganz vorne auf der Prioritätenliste der Demokraten rangiert. Die steuerlichen Maßnahmen würden vermutlich erst im übernächsten Jahr relevant werden, und die meisten Schätzungen zeigen aufgrund der Verteilungsbesonderheiten nur moderat dämpfende gesamtwirtschaftliche Wirkungen der Steuerpläne.

Was bedeutet eine „Blaue Welle“ für die Märkte? Die umfangreichen fiskalischen Impulse würden dem Wachstum vermutlich auf die Sprünge helfen. Aktuelle Schätzungen von Moody’s beispielsweise zeigen für dieses Szenario eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums auf 4,2% (2021) und 7,7% (2022). Wachstum, steigende Staatsausgaben und höhere Staatsverschuldung sprechen tendenziell für eine steilere Zinskurve, also höhere langfristige Anleiherenditen; das Ausmaß des Anstiegs hängt vor allem von der Preisentwicklung und der Inflationstoleranz der US-Notenbank ab. Der Aktienmarkt profitiert tendenziell von kräftigen Umsatz- und Gewinnsteigerungen der Unternehmen. Damit würde sich die relativ angespannte Bewertungssituation am Aktienmarkt beruhigen. Selektion bleibt allerdings wesentlich, denn die Finanzpolitik beeinflusst die Unternehmen viel individueller als beispielsweise eine expansive Geldpolitik. Zudem sind möglicherweise steuerliche und regulatorische Aspekte einzubeziehen.

Dynamisches Wachstum spricht tendenziell eher für zyklische Werte; aufgrund der politischen Stoßrichtung des demokratischen Programms sind viele Beobachter skeptisch gegenüber dem Energie- und Rohstoffsektor (Umweltschutz) und Banken (Regulierung, Verbraucherschutz). Aber auch gegenüber der Pharmabranche (Medikamentenpreise) und dem Technologiesektor (Datenschutz, Anti-Trust) gibt es Vorbehalte.

Auf ein bestimmtes Wahlergebnis oder politische Entscheidungen zu spekulieren macht aber aus unserer Sicht wenig Sinn. Wir sehen Wahlen und politische Entscheidungen vor allem als exogene Unsicherheitsfaktoren. Eine Blaue Welle ist ein realistisches Szenario, doch möglicherweise ist der Ausgang der Wahl strittig und die Entscheidung wird nach einer wochenlangen Phase der Wirrungen von Gerichten gefällt. Möglicherweise scheitern die Demokraten erneut an Donald Trump, möglicherweise bleibt der Senat in republikanischer Hand und verhindert ein „Durchregieren“ der Demokraten. Anlagepolitisch hilft gegen derartige Unsicherheiten aus unserer Sicht nur eine vernünftige Diversifikation und eine an langfristiger Qualität orientierte Selektion von Unternehmen.

Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Die Rendite kann infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen. Etwaige Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung des Investment Office der ODDO BHF AG wieder, die sich insbesondere von der Hausmeinung innerhalb der ODDO BHF Gruppe unterscheiden und ohne vorherige Ankündigung ändern kann. Quellen der Grafiken: PredictIt, ODDO BHF AG

Den vollständigen Marktausblick finden Sie hier im PDF-Format.

Diesen Beitrag teilen: