Investitionen sind der Schlüssel für eine wachsende Volkswirtschaft. Demokratische Systeme scheinen die private Investitionsbereitschaft zu begünstigen. Wie aber sieht es in den großen Volkswirtschaften Russland und China aus?
30.09.2019 | 07:48 Uhr
Bedeuten die Abflüsse von Kapital ins Ausland in beiden Ländern mangelnde private Investitionsbereitschaft, oder gibt es Unterschiede? Diesen Fragen geht Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, im aktuellen Kapitalmarktausblick nach. In den USA sei der Arbeitsmarkt nach wie vor ein intaktes Bollwerk gegen Rezessionsrisiken. In Europa hingegen dürfte sich die Talfahrt der Wirtschaft fortsetzen.
Die
staatliche Gewährung und der staatliche Schutz von Privateigentum waren
maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich der Wohlstand in den
marktwirtschaftlich geprägten Volkswirtschaften außerordentlich mehren
konnte – dafür sprechen die Erfahrungen aus den wirtschaftlichen
Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts. Nur das Vertrauen, dass das
Eigentum auch in Zukunft geschützt bleibt, veranlasst die
Wirtschaftsakteure, heute Geld in Projekte zu investieren, deren Erträge
oft weit in der Zukunft liegen. Eine Sichtweise postuliert in diesem
Zusammenhang, dass insbesondere Demokratien dafür prädestiniert sind,
Eigentumsrechte glaubhaft zu garantieren, da die Macht hier auf viele
Köpfe verteilt ist. Es dürfte also einer Gruppe von nur wenigen kaum
gelingen, die anderen Wirtschaftsakteure zu enteignen. In anderen
Staatsformen gelingt es nur sehr schwer, das notwendige Vertrauen in den
Bestand von Eigentumsrechten glaubwürdig über einen langen Zeitraum ex
ante zu vermitteln.
Ein
Beispiel dafür ist Russland: Mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin im
Jahr 2000 konnte zunächst das Vertrauen der privaten Unternehmen
gewonnen werden. Die privaten Investitionsausgaben stiegen bis 2008
merklich, und zugleich blieb der Abfluss von privatem Kapital ins
Ausland gering. Seitdem ist jedoch das Vertrauen offenbar
verlorengegangen – die Investitionsausgaben der privaten Unternehmen
stagnieren nur. Privates Kapital scheint somit überwiegend ins Ausland
abzufließen.
So
erzielte Russland 2018 zwar einen Handelsbilanzüberschuss von knapp 200
Mrd. USD, die Devisenreserven stiegen jedoch nur um 25 Mrd. USD. Die
Differenz von 175 Mrd. USD dürfte also ins sichere Ausland geflossen
sein. Dementsprechend wuchs die russische Wirtschaft zwischen 2009 und
2018 um durchschnittlich nur 0,9 % – in der Periode von 2000 bis 2008
waren es hingegen noch durchschnittlich 7,0 %.
In
China scheint sich auf den ersten Blick ein ähnliches Bild
abzuzeichnen. Seit 2014 ist ein merklicher Kapitalabfluss ins Ausland zu
beobachten, und seit 2015 stagnieren die Investitionsausgaben der
privaten Unternehmen. So bestehen Sorgen, dass sich das allgemeine
Investitionsklima verschlechtert haben könnte. Auf den zweiten Blick
zeigt sich jedoch, dass diese Interpretation mit erheblichen
Unsicherheiten behaftet ist. So unternahm die chinesische Regierung ab
2017 große Anstrengungen, die zu üppige Kreditvergabe einzuschränken –
mit dämpfenden Auswirkungen auf die privaten Investitionsausgaben als
Kollateralschaden. Darüber hinaus dürfte auch der Handelskonflikt zu
einer allgemeinen Investitionszurückhaltung beigetragen haben. Auch in
Deutschland sanken zwischen 2001 und 2004 die Investitionsausgaben der
privaten Unternehmen, bis die Agenda 2010 dann für eine Trendwende
sorgte. Eine mehrjährige Investitionsschwäche ist also nicht unüblich,
sollte aber nach spätestens fünf bis sechs Jahren wieder in einen
Aufwärtstrend übergehen.
Auch
bei den Kapitalflüssen ist das Bild unklar. Die Daten für 2018 zeigen
einen Handelsbilanzüberschuss von knapp 400 Mrd. USD und einen Rückgang
der Devisenreserven von knapp 70 Mrd. USD; per saldo sind demnach 470
Mrd. USD an Kapital ins Ausland abgeflossen. In China agiert jedoch oft
das Bankensystem als verlängerter Arm der Zentralbank und hält selbst
große Fremdwährungsbestände, sodass die offiziellen Devisenreserven nur
einen Teilausschnitt zeigen. Darüber hinaus investieren viele
Staatsunternehmen strategisch im Ausland. Der Anteil der „privaten
Kapitalflucht“ aus China ins Ausland lässt sich somit nur sehr schwer
messen.
Die
Entwicklung der Investitionen der Privatunternehmen in den kommenden
Quartalen wird zeigen, ob der Konvergenzprozess der chinesischen
Wirtschaft weiterhin erfolgreich ist und das Land auf eine entwickelte
Volkswirtschaft zusteuert. Die historische Erfahrung spricht nämlich
eher dagegen, dass nur der Staatssektor mit seinen direkten
Investitionen und den Investitionen der Staatsunternehmen eine
Volkswirtschaft langfristig erfolgreich entwickeln kann. Sicherlich kann
in einer digitalen Wirtschaft ein Staat erfolgreich eine größere Rolle
einnehmen, da digitale Güter anderen volkswirtschaftlichen Gesetzen
unterliegen – aber auch hierbei dürfte der langfristige
Entwicklungsprozess nicht ohne einen dynamischen Privatsektor
funktionieren. Die Einkaufsmanagerindizes (Montag) werden einen
wichtigen Einblick in die Geschäftsdynamik liefern, wobei kurzfristig
nicht mit einer Belebung zu rechnen ist. Die Einkaufsmanagerindizes aus
den USA, der Eurozone und Japan verschlechterten sich mehrheitlich im
September – ein Trend, dem sich China kaum entzogen haben dürfte. Ob die
privaten Investitionen wieder zum langfristigen Aufwärtstrend
zurückkehren, wird sich jedoch erst dann zeigen, wenn die
Einkaufsmanagerindizes über einige Monate hinweg gestiegen sind und die
Konjunktur sich wieder erholt hat, da dann auch – theoretisch – die
Investitionsneigung wieder hoch sein sollte.
USA: Arbeitsmarkt als Bollwerk gegen die Rezessionsrisiken
In
der Vergangenheit war ein Anstieg der Arbeitslosenquote (Freitag) über
mehrere Monate hinweg oft ein Indikator für eine Rezession – sie wird
kaum revidiert und ist daher ein zumeist zuverlässiger Indikator. Seit
Juni 2018 tendiert die Arbeitslosenquote jedoch seitwärts um ein Niveau
von 3,7 %, was auch noch im September Bestand gehabt haben dürfte. Ein
wichtiges Signal für eine kurz bevorstehende Rezession würde damit
fehlen. Auch gehen die meisten Schätzungen derzeit davon aus, dass jeden
Monat etwa 80.000 Personen auf den Arbeitsmarkt drängen. Solange das
Beschäftigungswachstum (Freitag) darüber liegt, dürfte die
Arbeitslosenquote stabil bleiben oder sogar in der Tendenz geringfügig
fallen.
Seitdem
die Arbeitslosenquote Anfang 2018 das Niveau von 4,0 % unterschritten
hat, beschleunigte sich die Lohndynamik bis auf zuletzt 3,2 % – das
zeigt ein Blick in die Statistik. Das Niveau einer Arbeitslosenquote von
4,0 % könnte somit eine kritische Marke sein, deren Unterschreiten eine
merkliche Überhitzung des US-Arbeitsmarktes signalisiert. Im aktuell
von Rezessionsängsten geprägten Umfeld dürfte ein sich beschleunigendes
Lohnwachstum derlei Ängste dämpfen, da damit hohe Einkommenssteigerungen
und damit Konsummöglichkeiten einhergehen. Im Jahresverlauf 2020 könnte
ein hohes Lohnwachstum jedoch zu einem Anstieg der Inflation beitragen.
Auch
dürfte ein Anstieg des ISM-Index (Dienstag) auf wieder über 50 die
Rezessionssorgen etwas dämpfen, während ein moderater Rückgang des
ISM-Index für den Dienstleistungssektor (Donnerstag) auf voraussichtlich
etwa 55 unkritisch sein dürfte.
Eurozone: Keine Anzeichen für ein Ende der Konjunkturtalfahrt
Der
voraussichtliche Rückgang der Einkaufsmanagerindizes der Industrie
(Dienstag) auf 45,6 und des Dienstleistungssektors (Donnerstag) auf 52
sind ein Schock. Von Februar bis August hatten sich nämlich die
Einkaufsmanagerindizes auf einem Niveau eingependelt, das im Einklang
mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 1,0 % in der Eurozone stand. Es
ist immer noch schwer nachzuvollziehen, was nun die Verschlechterung der
Konjunktur im September ausgelöst hat. Insgesamt muss man somit
konstatieren, dass es bisher noch keine Anzeichen für ein Ende der
Konjunkturtalfahrt in der Eurozone gibt. Die Frage ist, ob auch schon
größere Schäden am Arbeitsmarkt (Montag) zu beobachten sind. In diesem
Umfeld dürfte auch wieder eher disinflationärer Druck auf die Inflation
(Dienstag) entstehen. Weitere geldpolitische Maßnahmen werden kaum
helfen, eine Trendwende anzustoßen. Auch verpuffen hektisch konzipierte
staatliche Konjunkturprogramme erfahrungsgemäß schnell. Helfen würden
eher langfristig angelegte staatliche Investitionsprogramme.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
Diesen Beitrag teilen: