Metzler AM: Geldpolitik sollte Sozialpolitik nicht ersetzen

Marktausblick

Weitere Leitzinssenkungen der US-Notenbank können bei anhaltender Überhitzung des Arbeitsmarktes die Lohndynamik beschleunigen und auch Geringverdiener profitieren lassen.

13.09.2019 | 15:22 Uhr

Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, hält es aber für falsch, die Geldpolitik für sozialpolitische Belange zu nutzen. Die US-Regierung sollte den Sozialstaat stärken, damit sich die Geldpolitik auf ihre Kernaufgabe konzentrieren kann.

Metzler: Geldpolitik sollte Sozialpolitik nicht ersetzen

Die Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco, Mary Daly, sprach kürzlich in einer Rede davon, dass eine Überhitzung des Arbeitsmarktes positive Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen von Minderheiten habe. Andere sind sogar der Meinung, dass eine anhaltende Überhitzung des Arbeitsmarktes eine Umverteilung des Einkommens von Kapital zu Arbeit ermögliche, da endlich Lohnsteigerungen bei den Geringverdienern ankommen würden. Die mehrfachen Leitzinssenkungen der US-Notenbank – im Juli, voraussichtlich nächste Woche am Mittwoch und nochmals im Oktober – sollen die Konjunktur stabilisieren, sodass die Überhitzung am Arbeitsmarkt Bestand haben und der Umverteilungsmechanismus weiterhin intakt bleiben kann.

Geldpolitik sollte jedoch keine Sozialpolitik sein. Schon der Versuch, mithilfe der Wirtschaftspolitik allen US-Amerikanern ein Eigenheim zu ermöglichen, das permanent im Wert steigt, führte in das Desaster der Finanzmarktkrise – zumindest laut Raghuram Rajan und seinem Buch „Fault Lines“. Damals stagnierten die realen Arbeitseinkommen vieler Amerikaner. Die über lange Jahre steigenden Immobilienpreise ermöglichten jedoch eine regelmäßige Refinanzierung mit immer größeren Krediten und generierten damit ein regelmäßiges Zusatzeinkommen. Arbeitseinkommen und Konsumausgaben konnten sich somit über viele Jahre voneinander abkoppeln: Die Arbeitseinkommen stagnierten, während die Konsumausgaben boomten.

Die Anhaltende Überhitzung am US-Arbeitsmarkt scheint langsam zu einer Beschleunigung des Lohnwachstums und zu höheren Inflationsraten beizutragen.

Überhitzung des Arbeitsmarktes als Sozialpolitik?

Sollte sich die Konjunktur tatsächlich stabilisieren, und sollten sogar Leitzinserhöhungen im kommenden Jahr notwendig werden, könnte die US-Notenbank wahrscheinlich in einem Wahljahr den Leitzins nicht anheben. Es bleibt also abzuwarten, ob sich die Lohndynamik weiter beschleunigt und ob die Inflation weiter steigt. Einblicke in die Konjunktur- und damit in die mögliche Inflationsdynamik werden in der kommenden Woche von Daten aus der Industrie und dem Wohnimmobilienmarkt kommen.

Dabei dürften die Daten aus der Industrie eher zur Schwäche neigen: Industrieproduktion (Dienstag) sowie Philadelphia Fed Index (Donnerstag). Im Gegensatz dazu dürften die viel wichtigeren Daten vom Wohnimmobilienmarkt glänzen: NAHB-Index (Dienstag), Neubaugenehmigungen (Mittwoch) sowie Umsätze bestehender Wohnimmobilien (Donnerstag). Das Risikoszenario einer überschießenden Inflation im kommenden Jahr sollte also nicht leichtfertig unterschätzt werden.  

Der leider in Vergessenheit geratene große deutsche Ökonom Wolfgang Stützel, ein glühender Verfechter der freien Märkte und der sozialen Marktwirtschaft, schrieb in seinem Buch „Marktpreise und Menschenwürde“ über die Sozialpolitik, dass es deren Hauptaufgabe sei, einen ruinösen Wettbewerb der Arbeitnehmer untereinander um Arbeitsstellen zu verhindern. So besteht seiner Meinung nach ein großes Risiko darin, dass Arbeitnehmer mit mittlerem und niedrigem Einkommen sich gegenseitig bei den Löhnen unterbieten und bei den angebotenen Arbeitszeiten überbieten, um ein Abrutschen in die Arbeitslosigkeit zu verhindern und um ein gewissen Lebensstandard zu halten.

Die Arbeitnehmer könnten daher auf eine Senkung des realen Stundenlohns „anomal“ reagieren – das heißt nicht mit einer Einschränkung ihres mengenmäßigen Angebots, sondern mit einer Ausweitung. Wenn sich jedoch alle immer weiter unterbieten, kommt der Unterbietungsprozess erst auf dem absoluten Existenzminimum zum Ende, in der sogenannten „Rationalitätenfalle“.

Dass es sich hierbei nicht nur um eine Theorie handelt, sondern die Realität in den USA beschreiben könnte, zeigt eine Statistik der US-Notenbank von 2018: Demnach haben 40 % aller Erwachsenen nicht die Ersparnisse, um sich im Notfall Mehrausgaben von 400 US-Dollar leisten zu können. Auch haben viele Amerikaner mehrere Jobs gleichzeitig.

Stützels Meinung nach kommt daher der Sozialpolitik und vor allem den Gewerkschaften die wichtige Aufgabe zu, durch eine künstliche Einschränkung des Arbeitsangebots sowie durch eine weitreichende Festlegung der Löhne dieses Marktversagen zu korrigieren und für einen menschenwürdigen Arbeitsmarkt zu sorgen. Wenngleich er nur von einer Vermeidung des Unterbietungsprozesses spricht, fordert er immer auch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik; er sieht hier keinen Widerspruch. Es wäre also zu hoffen, dass die US-Regierung noch rechtzeitig den Sozialstaat stärkt, sodass sich die Geldpolitik wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren kann.

Weltwirtschaft: Sehr schwach, aber auf dem Weg der Besserung
Der ZEW-Index (Dienstag) fiel zuletzt auf extrem niedrige Niveaus und reflektierte damit die allgemein großen Rezessionssorgen. Die Stabilisierung der Konjunkturdaten zuletzt könnte dafür gesorgt haben, dass die Rezessionsängste etwas nachlassen, zumal das Konsumentenvertrauen (Freitag) in der Eurozone stabil auf sehr hohem Niveau verharrt.

Auch in China wird mit einer leichten Verbesserung gerechnet: Die Wachstumsrate der Industrieproduktion (Montag) stieg von 4,8 % im Juli auf 5,2 % im August, die Einzelhandelsumsätze von 7,6 % auf 7,9 %.

Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management

Sie können sich den gesamten Metzler Asset Management "Economics" Wochenausblick KW 38 hier im PDF-Format downloaden.

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