Metzler: Zerreißprobe für EU und Eurozone ante portas?

Marktausblick

Nach Einschätzung von Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, gesellen sich in der Eurozone zu den Unwägbarkeiten und Spekulationen rund um Italien zunehmende Unsicherheiten über den weiteren Konjunkturverlauf.

25.05.2018 | 15:44 Uhr

Die Unsicherheit darüber, welchen politischen Weg Italien einschlagen wird, ist zuletzt eher gestiegen als gesunken. So unterstellen einige Experten, dass die (wahrscheinlich bald) neue populistische Regierung in Rom sich an keine europäischen Regeln mehr halten wird und damit zu einer Zerreißprobe für EU und Eurozone werden könnte. Darüber hinaus spekulieren einige wenige Experten über das heimliche Ziel der beiden voraussichtlichen Koalitionäre, aus der Europäischen Währungsunion auszutreten, indem sie entweder eine politische Krise mit der EU-Kommission oder sogar eine Schuldenkrise an den Finanzmärkten provozieren, um dann mit einem Notprogramm darauf reagieren zu können. Allerdings gibt es hierfür keine Belege. 

Die wilden Spekulationen sind sicherlich ein Beleg für die derzeit vorherrschende hohe Unsicherheit im Hinblick auf Italien, die sich unter anderem aus den großen Wirtschaftsproblemen Italiens speist. Nach den Ergebnissen diverser Studien hat das Land die seit Mitte der 1990er-Jahre einsetzende IT-Revolution komplett verschlafen, sodass Italiens Wettbewerbsfähigkeit infolge kaum noch zu erzielender Produktivitätsgewinne stetig gesunken ist. Nach Berechnungen der OECD wird Italien erst in diesem Jahr wieder das reale Einkommen pro Kopf von 1999 erreichen, als der Euro eingeführt wurde. 

Und Italien wird wahrscheinlich weiter an Boden verlieren: Schon heute ist auf Basis aktueller Trends absehbar, dass Tschechien 2022 Italien beim Pro-Kopf-Einkommen überholen wird. Tschechien ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Länder in Zentralosteuropa in den vergangenen 20 Jahren im Gegensatz zu Italien stetig ihre IT- und Digitalisierungskompetenz ausgebaut und darauf ihr Wachstumsmodell erfolgreich gestützt haben. 

Italien mit wirtschaftlichen Strukturproblemen 

Reales Einkommen pro Kopf in USD auf Basis der Kaufkraftparität 

Italien Reales Einkommen

Somit gibt es keine einfachen Lösungen für Italien. Fiskalimpulse könnten nur kurzzeitig das Wachstum stimulieren, würden aber die Schuldenlast weiter erhöhen. Und die Ausgabe von Parallelwährungen, wie seit kurzem diskutiert, wäre eine versteckte Form der Schuldenaufnahme und damit auch keine tragfähige Lösung. Die früheren Krisen in anderen Ländern Europas haben gezeigt, dass nur der harte Weg über Strukturreformen und Sparprogrammen mittelfristig erfolgreich ist. 


Nachlassendes Wirtschaftswachstum nur in der Eurozone 

Zu den politischen Unwägbarkeiten rund um Italien gesellen sich Unsicherheiten über die weitere Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone. Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex der Industrie (Freitag) sowie der Geschäftsklimaindex der EU-Kommission (Mittwoch) sanken zuletzt merklich. So dürfte der Einkaufsmanagerindex der Industrie von 60,6 im Januar auf nur noch 55,5 im Mai gefallen sein. Bisher signalisieren die fallenden Konjunkturindikatoren nur ein sich verlangsamendes Wachstumstempo und sind noch sehr weit davon entfernt, eine Rezession anzuzeigen. Nichtsdestotrotz kommt das sich verlangsamende Wachstum überraschend, da es keine offensichtlichen Gründe dafür gibt. 

In den USA beschleunigte sich dagegen sogar das Wirtschaftswachstum zuletzt, wie ein Anstieg des ISM-Index (Freitag) und ein Zuwachs (Freitag) von mehr als 200.000 Beschäftigten eindrucksvoll zeigen dürften. Der US-Konsum ist und bleibt dabei eine wichtige Wachstumsstütze; das dürften die neuesten Daten zum Konsumentenvertrauen (Mittwoch) sowie zu den Konsumausgaben (Donnerstag) wieder einmal belegen. 

Aber auch die Einkaufsmanagerindizes aus Japan und China (jeweils Donnerstag) sowie zur japanischen Industrieproduktion (Donnerstag) dürften zeigen, dass die Weltwirtschaft anhaltend dynamisch wächst. 

Das nachlassende Wirtschaftswachstum scheint sich somit auf die Eurozone zu beschränken. 


Möglicherweise schon jetzt restriktive Effekte der EZB-Politik spürbar 

Auf der Suche nach Gründen für das sich verlangsamende Wachstum in der Eurozone richtet sich naturgemäß der Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB). Ist die Wirtschaft in der Eurozone doch viel stärker vom monetären Stimulus abhängig als allgemein gedacht? 

Die EZB hat bisher ihr monatliches Kaufvolumen von Wertpapieren in zwei Schritten reduziert: im April 2017 von 80 Mrd. EUR pro Monat auf 60 Mrd. EUR pro Monat und im Januar 2018 auf 30 Mrd. EUR pro Monat. Immer wenn die EZB ein Wertpapier von einer Nichtbank kauft, dann wird der Kaufbetrag der Nichtbank als eine Einlage (Deposit) bei einer Geschäftsbank gutgeschrieben. Somit hat das Wertpapierkaufprogramm der EZB einen direkten Effekt auf die Geldmenge M1, die sich aus den Bankeinlagen (Depositen) und dem Bargeld zusammensetzt. 

Die Reduktion des Kaufvolumens könnte somit zum merklich zurückgehenden Wachstum der Geldmenge M1 von 10 % im September 2017 auf 7,6 % im März 2018 beigetragen haben. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, wie sich die Geldmenge M1 in der Eurozone (Dienstag) im April entwickelt hat. 

In der Vergangenheit war die reale Geldmenge M1 immer ein zuverlässiger Frühindikator für die Konjunktur der Eurozone. Das langsamere Wachstum der realen Geldmenge M1 signalisiert aber keinen Absturz der Wirtschaft in der Eurozone in den kommenden Monaten, sondern nur eine etwas langsamere Gangart. Das könnte dafür sprechen, dass sich die Frühindikatoren für den weiteren Konjunkturverlauf schon bald auf etwas niedrigeren Niveaus stabilisieren könnten. Sie würden damit immer noch mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 2,0 % im Einklang stehen. Daher wäre es für den weiteren Wirtschaftsausblick wichtig, dass sich die Wachstumsrate der Geldmenge M1 bald stabilisiert. Wenn sich das Wachstum der Geldmenge M1 weiter merklich verlangsamen sollte, müsste die EZB sogar über neue Schritte in ihrer Geldpolitik nachdenken, mit denen sich das Wirtschaftswachstum wieder stärker stimulieren ließe. 

Eurozone: Industrieproduktion und Frühindikator Geldmenge M1 

Geldmenge M1 abzgl. Konsumentenpreisindex in % ggü. Vj. 

Italien Strukturprobleme

Inflation nach wie vor kein Thema 

Die erste Schätzung der Inflation in der Eurozone (Donnerstag) sowie die Entwicklung der US-Löhne (Freitag) jeweils im Mai dürften keine größeren Auffälligkeiten zeigen. Die Inflation ist nach wie vor zahm, sodass die Notenbanken an ihrer akkommodierenden Geldpolitik festhalten können, die ein wichtiger Stützpfeiler für den globalen Aufschwung ist. 

Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht 


Edgar Walk 

Chefvolkswirt Metzler Asset Management 

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