Metzler: Mögliche Szenarien für Italien

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Marktausblick

Freitag, der 1.6. - möglicherweise ein Schicksalstag für Europa: die Vereidigung der italienischen Regierung steht auf der politischen Tagesordnung. Wird sich die neue Regierung an die europäischen Regeln halten, wird sie mit einer Parallelwährung eine expansive Fiskalpolitik favorisieren oder gar den EU-Austritt verfolgen?

01.06.2018 | 16:30 Uhr

Noch heute dürfte die neue italienische Regierung vereidigt werden. Derzeit sehen wir vor diesem Hintergrund drei mögliche Szenarien für Italien: 

  • Die neue Regierung beschließt nur moderate Expansion der Fiskalpolitik und hält sich weitestgehend an die europäischen Regeln – wie damals die populistische Regierung in Portugal 
  • Die neue Regierung hält sich an keine europäischen Regeln mehr und verfolgt eine sehr expansive Fiskalpolitik finanziert mit einer Parallelwährung – EU hat kaum Sanktionsmöglichkeiten 
  • Die neue Regierung verfolgt eine heimliche Agenda des EU-Austritts – die Folge wäre ein großer wirtschaftlicher Schaden für Europa; EZB und EU-Kommission werden versuchen, Ansteckungseffekte einzudämmen.

Es ist sehr schwierig, den einzelnen Szenarien Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Das Szenario eines Euro-Austritts ist jedoch unserer Einschätzung nach zuletzt wieder etwas gesunken, da die deutlich eurokritischere Lega-Partei nur der Juniorpartner in der neuen Regierung sein wird. Zwei Ende Mai veröffentlichte Umfragen haben gezeigt, dass 72 % bzw. 60 % der Italiener im Euro bleiben möchten und nur 23 % bzw. 24 % einen Austritt befürworten. In keinem der möglichen Szenarien wird Italien mittelfristig seine Schuldentragfähigkeit verbessern. Italien würde damit im Falle einer Rezession anfällig für eine Schuldenkrise bleiben. Daher ist in den kommenden Monaten auch die Reaktion der Ratingagenturen auf die neue Regierung unverändert ein Unsicherheitsfaktor. 

Die EU dürfte sich daher darauf konzentrieren, dass mögliche Ansteckungseffekte im Falle einer Krise in Italien auf die anderen Mitgliedsländer des Euroraums minimiert werden. Die Staatsschuldenkrise von 2011/12 hat gezeigt, dass die Ansteckungseffekte überwiegend über das Finanzsystem laufen. Auf dem EU-Gipfel im Juni dürfte daher über Maßnahmen diskutiert werden, wie sich das Finanzsystem in Krisenzeiten besser stabilisieren lässt. 

Langsameres Wachstumstempo in der Eurozone 

Auch im April schwächte sich die Wachstumsrate der Geldmenge M1 in der Eurozone ab, was eine anhaltende Verlangsamung des Wachstums in der Eurozone signalisiert. Wie im vergangenen Kapitalmarktausblick beschrieben, könnte das langsamere Geldmengenwachstum mit den beiden Reduktionen der monatlichen Käufe von Wertpapieren im Rahmen des QE-Pro-gramms der EZB zusammenhängen. Darüber hinaus dürften die kritische Lage in Italien und der beginnende Handelskrieg mit den USA Belastungsfaktoren werden. Es besteht somit das Risiko, dass die Wachstumsprognosen in den kommenden Monaten sukzessive nach unten revidiert werden. Trotzdem dürfte das Wachstum in diesem und im nächsten Jahr immer noch über dem Potenzialwachstum von etwa 1,0 % liegen. Dieses moderatere Tempo dürfte auch im Einkaufsmanagerindex des Dienstleistungssektors (Dienstag), in den deutschen Auftragseingängen (Donnerstag) sowie in der deutschen und französischen Industrieproduktion (jeweils Freitag) zunehmend sichtbar werden.

In den USA läuft dagegen die Konjunktur rund, wie die Auftragseingänge (Montag), der ISM-Index für den Dienstleistungssektor (Dienstag) und die Handelsbilanz (Mittwoch) zeigen dürften. 

Was sind die Implikationen für den europäischen Aktienmarkt? 

Im markt:aktuell „Eine Möglichkeit der Aktienkursprognose am Beispiel der USA und Japan“ vom Mai 2018 stellten wir einen Ansatz zur Aktienkursprognose vor. Dazu haben wir den Prognoseprozess auf zwei Modelle aufgeteilt. Eine Kursänderung lässt sich nämlich in zwei Bestandteile zerlegen: Kurse können steigen oder fallen, wenn sich die Unternehmensgewinne und/oder die Bewertung ändern. Dabei gilt immer folgender Zusammenhang: 


d* (Aktienkurs) = 

d* (Unternehmensgewinne) + d* (Bewertung) 

_____________________ 

*        d = delta = Veränderung zur Vorperiode in Logarithmus 

Die Unternehmensgewinne (1) entwickeln sich in der Regel im Einklang mit der Konjunktur. Somit lassen sich Frühindikatoren für die Konjunkturentwicklung gut nut¬zen, um das Gewinnwachstum im nächsten Quartal in einem ersten Schritt zu prognostizieren. Für den MSCI Europa verwenden wir dabei den Geschäftsklimaindex der EU. In unserem Basisszenario gehen wir von einem moderaten Rückgang des Geschäftsklimaindex bis Jahresende aus. Laut unserem Modell wäre ein Wachstum der Unternehmensgewinne für Unternehmen, deren Aktien im MSCI Europa enthalten sind, für das Gesamtjahr 2018 um etwa 9,3 % durchaus möglich. Es bestehen jedoch erhebliche Abwärtsrisiken aufgrund des Handelskonflikts mit den USA und der kritischen Lage in Italien. 

In einem zweiten Schritt prognostizieren wir die Änderung der Bewertung mithilfe eines Modells. Unsere Analysen zeigen, dass die Bewertung in jedem Land nahezu immer von den gleichen Faktoren beeinflusst wird. Der wichtigste Faktor ist dabei die Inflation (2) 

Je niedriger die Inflation, desto höher die Bewertung. Darüber hinaus haben auch vergangene Änderungen der Zinsen und Geldmengen einen großen Einfluss auf die zukünftige Änderung der Bewertung. Aufgrund des großen Gewichts von britischen Aktien im MSCI Europa verwenden wir im Prognosemodell für die Aktienbewertung sowohl die Inflation der Eurozone als auch die britische Inflation. Darüber hinaus fließen noch vergangene Zinsänderungen von Bundesanleihen ein. Im Vergleich zu den USA und Japan haben wir kein Geldmengenaggregat gefunden, dass einen signifikanten Einfluss auf zukünftige Bewertungsänderungen hat. Die Wiedervereinigung, die Einführung des Euro sowie die Berücksichtigung von mehreren Währungsräumen im MSCI Europa dürften der Grund dafür sein. Auf Basis unserer Inflations- und Zinsprognosen ergibt sich ein erwarteter Rückgang der Bewertung von etwa 10 % im Zeitraum vom 31.12.2017 bis 31.12.2018. Der prognostizierte Rückgang hängt vor allem damit zusammen, dass die Bewertung am 31.12.2017 deutlich über dem fundamental gerechtfertigten Niveau lag, was auf eine zu große Euphorie am europäischen Aktienmarkt zu Jahresende 2017 schließen lässt. 

Insgesamt folgt daraus die Erwartung eines Kursrückgangs von -0,7 % für 2018 (Wachstum der Unternehmensgewinne von 9,3 % abzüglich eines Rückgangs der Bewertung von 10 %). Seit Jahresanfang sind die Kurse schon um etwa 2 % gefallen, sodass wir in unserem Basisszenario mehr oder weniger von einer Seitwärtsbewegung europäischer Aktien bis Jahresende ausgehen, wobei die Abwärtsrisiken derzeit überwiegen. Für die Ertragsprognose muss noch die Dividendenrendite dazugerechnet werden, die am 31.12.2017 etwa 3,2 % betrug (Ertragsschätzung für 2018 = -0,7 % + 3,2 % = 2,5 %). 

Um neben der statistischen Signifikanz auch die ökonomische Signifikanz des Ansatzes zu testen, haben wir eine Out-of-Sample-Rückrechnung ab 1996 gemacht. Ein längerer Zeitraum war aufgrund der Datenverfügbarkeit des europäischen Geschäftsklimaindex nicht möglich. Mithilfe von vergangenen Fundamentaldaten haben wir den MSCI Europa immer ein Quartal im Voraus prognostiziert. Bei einer positiven Prognose haben wir 100 % in Aktien investiert und bei einer negativen Prognose den MSCI Europa zu 100 % leerverkauft. Das Ergebnis sieht überzeugend aus. Seit 1996 hätte das Modell einen durchschnittlichen Ertrag von 15,2 % p. a. bei einer Volatilität von 16,3 % erwirtschaftet. Dabei wurden nur vergangene Daten verwendet, die keinen Revisionen unterliegen. Der Ansatz bietet vor diesem Hintergrund gute Chancen, aussagekräftige Prognosen für die Zukunft zu liefern. 


Prognosemodell für den MSCI Europa 

31.12.1995 = 100; in Logarithmus 

Prognose Metzler

Quellen: Thomson Reuters Datastream, https://www.newyorkfed.org/research/policy/underlying-inflation-gauge, Metzler; Stand: 31.3.2018 


Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht 


Edgar Walk 

Chefvolkswirt Metzler Asset Management 


(1) Für unsere Analysen verwenden wir anstatt der Unternehmensgewinne den Cashflow und anstatt des Kurs-Gewinn-Verhältnisses das Kurs-Cashflow-Verhältnis aufgrund der besseren statistischen Eigenschaften 

(2) Die Beziehung zwischen Inflation und Bewertung ist eine Kointegrationsbeziehung im Rahmen eines Fehlerkorrekturmodells 

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