Japan hat es vorexerziert: Niedrigzinsen mindern zwar die Profitabilität der japanischen Banken, doch bleibt ihre so wichtige makroökonomische Aufgabe der Kreditvergabe gewährleistet. Die Negativzinsen in der Eurozone belasten jedoch die Banken so stark, dass sie die Aufgabe der Kreditvergabe gefährden.
11.06.2019 | 09:20 Uhr
Die EZB könne daher ein gespaltenes Reservesystem einführen, so Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, und damit die Banken entlasten.
In den USA könnten mit Blick auf eine mögliche Wirtschaftsabschwächung Zinssenkungen wahrscheinlicher werden. China leidet zwar unter dem Handelskonflikt mit den USA, doch sieht Walk genügend Spielraum für weitere Stimuli der Regierung.
Japanische
Banken haben bisher keinen Weg gefunden, um im Nullzinsumfeld eine hohe
Profitabilität zu erreichen. Immerhin erfüllen sie ihre
makroökonomische Aufgabe und vergeben ausreichend Kredite.
Das
japanische Bankensystem litt bis 2004 unter einer großen Last an
notleidenden Krediten, die nach dem Platzen der Finanzmarktblase Anfang
der 1990er-Jahre immer noch in den Bilanzen der Banken schlummerten. Die
Folge war, dass die Banken keinen Spielraum für die Neuvergabe von
Krediten hatten und es zu einer langjährigen Kreditklemme kam.
Dementsprechend erlitten japanische Banken auch von 1996 bis 2004 in den
meisten Jahren Verluste.
Erst unter dem damaligen Premierminister
Koizumi wurden die Banken ab 2002 gezwungen, die notleidenden Kredite
unter anderem auch mit staatlicher Hilfe abzubauen. In den Jahren ab
2005 erzielten die wieder gesundeten japanischen Banken dann im
Durchschnitt jedes Jahr Gewinne (mit Ausnahme von 2009). Im Vergleich zu
US-Banken ist die Profitabilität jedoch immer noch sehr niedrig.
Banken in Japan und Deutschland mit niedriger Profitabilität
Return on Assets (Gewinn im Verhältnis zur Bilanzsumme) in %
Quelle: Weltbank; Stand: 31.12.2016
Ein
Blick auf die Aktienkursentwicklung japanischer Banken im Topix seit
2000 zeigt, dass die Kurse in Erwartung von Leitzinserhöhungen in den
Jahren 2000 und 2006 stiegen. Als aber eine Umkehr der
Leitzinserhöhungen absehbar wurde, fielen sie wieder. Japanische
Bankaktien bewegen sich somit seit 2000 seitwärts ohne Trend. Studien
des IWF bestätigen, dass die Profitabilität von Banken bei einem
niedrigen Leitzins strukturell deutlich geringer ist als bei normalen
Leitzinsen.
Japanische Banken ohne Kursgewinne seit Beginn der Nullzinspolitik
TOPIX Banken, Kursindex und Leitzins in %
Quelle: Thomson Reuters; Stand: 31.5.2019
Darüber
hinaus zeigen die Analysen des IWF, dass die Größe einer Bank ein
entscheidender Vorteil in einer anhaltenden Phase niedriger Zinsen ist.
Es ist daher kein Wunder, dass es zu einer großen Konsolidierungswelle
im japanischen Bankensektor kam, die noch immer anhält.
Die
Gesundung der Banken seit 2005 sowie Corporate-Governance-Reformen,
initiiert von Premierminister Shinzo Abe, haben seit 2012 zu einem
stärkeren Fokus auf die Aktionäre beigetragen: Banken schütten nun mehr
Dividenden aus, und die Dividendenrendite steig von 0,4 % im November
2006 auf 4,2 % im Mai 2019.
Immerhin
erfüllen die japanischen Banken ihre makroökonomische Aufgabe der
Kreditvergabe. Die Gesundung der Bankbilanzen bewirkte eine
Stabilisierung des ausstehenden Kreditvolumens ab 2005, womit sich das
Kreditangebot merklich verbesserte. Die Strukturreformen und Stimuli im
Rahmen der „Abenomics“ sorgten dann ab 2012 für eine Belebung der
Kreditnachfrage.
Japanische Banken erfüllen seit 2005 wieder ihre makroökonomische Aufgabe der Kreditvergabe Ausstehendes Kreditvolumen in Billionen Yen
Quelle: Thomson Reuters; Stand: 31.5.2019
Wirtschaftspolitisch
besteht somit in Japan kein Handlungsbedarf. Die Banken dürften
tendenziell größer werden, die Profitabilität allenfalls geringfügig
steigen, die Ausschüttungen an die Aktionäre hoch bleiben und viele
Banken werden Ertragschancen im Ausland suchen.
Eine
Analyse des McKinsey Global Institutes zeigt eindrücklich die
Auswirkungen der Niedrigzinsen in der Eurozone. So reduzierten sich in
der Eurozone die Zinszahlungen der Staaten und Unternehmen (beides große
Schuldner) von 2007 bis 2012 um insgesamt etwa 350 Mrd. USD und 275
Mrd. USD. Banken gehörten zu den großen Verlierern mit etwa 225 Mrd. USD
geringeren Zinseinnahmen, da die Zinsspanne zwischen Kredit- und
Einlagezinsen über diesen Zeitraum deutlich geschrumpft ist.
Die
Perspektive einer lang anhaltenden Negativzinsperiode in der Eurozone
bedeutet, dass Banken in der Eurozone und vor allem in Deutschland kaum
eine Perspektive haben, ihre Profitabilität auf absehbare Zeit merklich
zu verbessern, was sich auch in der Aktienkursentwicklung niederschlägt.
Aktienkurse der Banken in der Eurozone seit Beginn der Niedrigzinspolitik unter Druck EURO STOXX Banken, Kursindex und Libor, drei Monate in %
Quelle: Thomson Reuters; Stand: 31.5.2019
Immerhin
erfüllen die Banken in der Eurozone aber ihre makroökonomische Aufgabe
der Kreditvergabe. Die EZB könnte jedoch mit ihrer Negativzinspolitik
die Überlebensfähigkeit der Banken zunehmend gefährden, sodass sie
früher oder später ihr Kreditangebot einschränken müssten – mit
negativen Folgen für die Wirtschaft. Es dürfte daher nur eine Frage der
Zeit sein, bis die EZB ein gespaltenes Reservesystem einführt, das die
Banken in großen Teilen von der Negativzinslast befreit. Die
Negativzinsen kosten laut Handelsblatt insbesondere deutsche Banken etwa
10 % ihres Gewinns.
In
den USA ist derzeit keinerlei Inflationsdruck (Mittwoch) erkennbar. So
sind die Lohnstückkosten seit dem vierten Quartal 2017 nicht mehr
gestiegen, sondern tendieren nur seitwärts. Die Beschleunigung des
Lohnwachstums wurde somit eins zu eins durch ein höheres
Produktivitätswachstum gedeckt. Die geringe Inflationsdynamik eröffnet
der US-Notenbank den Spielraum, die Leitzinsen zu senken, falls sich die
Wirtschaft stärker abschwächen sollte. Vor diesem Hintergrund werden
die Einzelhandelsumsätze (Freitag) sowie die Industrieproduktion
(Freitag) einen wichtigen Baustein für den Leitzinsausblick liefern.
Die
Finanzmarktakteure rechnen derzeit mit zwei bis drei Leitzinssenkungen
bis Jahresende. Da wir der Ansicht sind, dass der Rückgang der
Kapitalmarktzinsen seit Jahresanfang schon jetzt die Wirtschaft
stimuliert – mit positiven Auswirkungen ab dem dritten Quartal –, sehen
wir derzeit noch keine Notwendigkeit für Leitzinssenkungen in den USA.
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 % erwarten wir daher unveränderte
Leitzinsen bis Jahresende und mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % zwei
Leitzinssenkungen.
In
dieser Woche beschloss die chinesische Regierung weitere Maßnahmen zur
Konsumbelebung. Die Wirtschaft scheint wohl vom Handelskonflikt hart
getroffen worden zu sein – das dürften die Daten zur Industrieproduktion
(Freitag) sowie zu den Einzelhandelsumsätzen (Freitag) zeigen.
Immer
wieder steht dabei die Frage im Raum, ob der chinesischen Regierung
nicht das Geld für immer weitere Stimuli ausgehen könnte. Die Regierung
kontrolliert jedoch die Zentralbank, die großen Staatsbanken sowie die
Staatsunternehmen. Im Endeffekt kann sie daher entweder mithilfe der
Zentralbank Geld drucken oder mithilfe der Staatsbanken Kredite in die
Wirtschaft pumpen und unterliegt daher keinen Beschränkungen.
Nur eine schon hohe Inflation würde weiteres Gelddrucken problematisch machen. Wäre China auch von ausländischen Krediten abhängig und hätte demzufolge ein hohes Leistungsbilanzdefizit, könnten Ausländer die Kreditvergabe einschränken und damit weitere Stimuli in China verhindern. China hat jedoch eine niedrige Inflation, eine ausgeglichene Leistungsbilanz sowie ein hohes Auslandsvermögen. Für neue Stimuli gibt es also genügend Spielraum.
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