Metzler AM: Economic Research - Wochenausblick KW 30

Marktausblick

Edgar Walk nennt eine sinkende Innovationsrate als wichtigste Determinante eines zurückgehenden Produktionswachstums.

19.07.2019 | 12:23 Uhr

Metzler: Innovationsschwäche in den USA?

In den USA verlangsamte sich das Produktivitätswachstum seit der Finanzmarktkrise merklich, was die maßgebliche Ursache für das schwache Wirtschaftswachstum seitdem ist. In der volkswirtschaftlichen Analyse wird in der Regel das Produktivitätswachstum in zwei Faktoren unterteilt: Innovation und Investition. Der Output pro gearbeiteter Stunde (Produktivität) steigt, wenn beispielsweise ein Ochse durch einen Traktor in der Landwirtschaft ersetzt wird (Investition) oder wenn eine neu gezüchtete Weizensorte bei gleichem Input an Dünger und Pestiziden einen höheren Ertrag liefert (Innovation).

Nach der Finanzmarktkrise wurde den US-Unternehmen lange vorgeworfen, dass sie zu wenig investieren würden. Die aktuellen Daten zeigen jedoch, dass der Vorwurf nicht mehr berechtigt ist. Berechnet man den langfristigen Trend seit 1980 – mit Beginn der aktuellen Niedriginflationsphase –, dann liegen die nominalen Investitionsausgaben fast wieder im langfristigen Trend. Zwar zeigten die Auftragseingänge für Investitionsgüter (Donnerstag) zuletzt etwas Schwäche, was jedoch auf den Handelskonflikt zurückzuführen ist. Grundsätzlich entwickelten sich die Investitionsausgaben ordentlich; da die Unternehmenssteuerreform als Gegengewicht zu den negativen Effekten des Handelskonflikts wirkte.  

US-Investitionsausgaben fast auf langfristiger Trendlinie

Nominale Investitionsausgaben der Unternehmen in USD

US1

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 15.2.2019

Dementsprechend ist der Beitrag der Unternehmensinvestitionen zum Produktivitätswachstum auf Basis der Daten des Conference Boards kaum gesunken. Der Rückgang des Produktivitätswachstums kann somit überwiegend mit einer sinkenden Innovationsrate erklärt werden – von einem Beitrag zum Produktivitätswachstum von etwa 1 %-Punkt pro Jahr vor der Finanzmarktkrise auf nahezu 0 %-Punkte pro Jahr seitdem.

Verlangsamung des Produktivitätswachstums in den USA hauptsächlich Folge einer sinkenden Innovationsrate

in %-Punkten (gleitender Durchschnitt über 5 Jahre)

US2

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 31.12.2018

Dieses Ergebnis ist doch sehr überraschend angesichts der US-amerikanischen Innovationsführerschaft in der Digitalisierung. Zwei Erklärungen sind für den Rückgang des Produktivitätswachstums denkbar. So könnte es sein, dass die Statistikbehörde das Wirtschaftswachstum seit der Finanzmarktkrise um etwa 1,0 % pro Jahr unterschätzt, da die neue digitale Welt nur schwer statistisch zu erfassen ist. In diesem Falle würde auch der Beitrag der Innovation zum Produktivitätswachstum automatisch wieder von etwa 0 %-Punkten auf 1,0 %-Punkte steigen, und die Verlangsamung des Produktivitätswachstums wäre nur ein statistisches Artefakt.

Die andere Erklärung ist, dass die Digitalisierung bisher nur die Konsumgewohnheiten geändert hat, aber nicht nennenswert die Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Auch könnten sich die hohen Produktivitätssteigerungen infolge der Digitalisierung nur auf wenige Unternehmen beschränken und kaum auf die Gesamtwirtschaft ausstrahlen.  

Wäre das tatsächliche Wirtschaftswachstum höher als in der Statistik ausgewiesen – im zweiten Quartal (Freitag) wird mit einem Wert von 2,6 % gerechnet –, dann wäre das Zinsniveau gegenüber der erzielbaren Rendite auf das eingesetzte Kapital viel zu niedrig, und ein Investitionsboom wäre zu beobachten. Das nur moderate Wachstum der zinssensitiven Sektoren spricht eher dafür, dass es sich um eine wirkliche Wachstums- und Produktivitätsschwäche handelt. Am Mittwoch werden noch die Neubauverkäufe und die Einkaufsmanagerindizes veröffentlicht.

EZB vor großen Ankündigungen

EZB-Präsident Draghi kündigte bei seiner Rede in Portugal Anfang Juni weitere geldpolitische Maßnahmen an und weckte damit große Erwartungen der Finanzmarktakteure. Allerdings rechnen sie noch nicht mit konkreten Schritten auf der Sitzung diesen Donnerstag, sondern nur mit der Ankündigung einer geldpolitischen Strategie, um die Konjunktur wieder auf Kurs zu bekommen und die Inflationserwartungen wieder bei 2,0 % zu verankern.

Für die EZB wäre es gefährlich, die Erwartungen zu enttäuschen. Eine neue Studie ( vgl. Jordà et al., 2019) kommt nämlich zu dem Schluss, dass die Entwicklung am Arbeitsmarkt oder der Output Gap schon seit 1999 keinen signifikanten Effekt mehr auf die tatsächliche Inflationsentwicklung hat. Von 1999 bis 2008 beeinflusste hauptsächlich die vergangene Inflationsentwicklung die zukünftige, da die Inflation über diesen Zeitraum mehr oder weniger stabil war, sodass der Koeffizient der vergangenen Inflation automatisch einen hohen Wert annimmt.

Seit 2008 spielen jedoch die Inflationserwartungen eine deutlich größere Rolle. Die Zentralbanken müssen daher verstärkt Erwartungsmanagement betreiben, was der EZB zuletzt nicht sehr gut gelungen ist. Die langfristigen Inflationserwartungen laut Inflationsswaps sind mit derzeit 1,23 % weit von dem Inflationsziel von 2,0 % entfernt.  

Die Realwirtschaft hat keinen Einfluss mehr auf die Inflation

Koeffizienten der Einflussfaktoren auf die Inflation

Realwirtschaft

Quellen: Òscar Jordà, Chitra Marti, Fernanda Nechio, and Eric Tallman (2019): Why Is Inflation Low Globally?; FRBSF Economic Letter

Darüber hinaus muss die EZB auch ein Auge auf die Konjunktur werfen. Die spannende Frage ist, ob die Rezession in der Industrie den Dienstleistungssektor mit nach unten zieht, oder ob der Dienstleistungssektor ein konjunktureller Stabilisator sein kann. Die Einkaufsmanagerindizes (Mittwoch) sowie der ifo-Index (Donnerstag) werden darüber Auskunft geben. Sollte sich die Konjunktur schwächer als erwartet entwickeln, bräuchte die EZB Unterstützung durch die Fiskalpolitik auf europäischer Ebene.  

Entweder harter Brexit oder kein Brexit

Voraussichtlich wird Boris Johnson am Dienstag zum neuen Parteivorsitzenden und damit zum neuen Premierminister ernannt.  

Grundsätzlich hat sich seit dem Brexit-Referendum nichts geändert, und meine Aussagen vom August 2018 gelten immer noch: „Eigentlich könnte der Brexit so einfach sein: Großbritannien verlässt die EU im März 2019 und verhandelt anschließend in einer Übergangsphase ein Freihandelsabkommen à la Kanada. Zudem könnte die EU Großbritannien den Zugang zu europäischen Institutionen wie dem Patentamt etc. gewährleisten – gegen Zahlung natürlich.

Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel beschrieb die britische Verhandlungsstrategie denn auch treffend: „Before, they (the British) were in with a lot of opt-outs; now they are out and want a lot of opt-ins.” Der Knackpunkt ist jedoch die irische Grenze. In dem „Kanada-Modell“ ist es nicht möglich, die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland offenzuhalten – für die notwendigen Personen- und Zollkontrollen müsste sie geschlossen werden. Daher gibt es nur eine Entweder-oder-Lösung: einen harten Brexit oder einen sehr weichen Brexit, also einen De-facto-Verbleib in der EU.“

Die Verhärtung der Rhetorik in den vergangenen Tagen spricht dafür, dass Boris Johnson nun einen harten Brexit anstrebt. Wahrscheinlich können ihn nur ein erfolgreiches Misstrauensvotum und Neuwahlen davon abhalten. Dadurch, dass die Labor-Partei nun ins „Remain“-Lager gewechselt ist, würde es bei den Neuwahlen um entweder einen harten Brexit oder Remain gehen.  

Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management

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