Metzler AM: Economic Research - Wochenausblick KW 29

Marktausblick

Wie realistisch ist ein Kurswechsel zu einem soliden Haushalt in Italien? Hat das Land sogar eine Chance, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen?

12.07.2019 | 15:05 Uhr

Diesen Fragen geht Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, in seinem aktuellen Kapitalmarktausblick nach. In den USA habe der Handelskonflikt Spuren in der Industrieproduktion hinterlassen. Chinas Regierung gelinge der Spagat, einen Verschuldungsanstieg und zugleich einen Wachstumseinbruch zu vermeiden. In einem Exkurs beleuchtet Walk zudem, welche Folgen die Einführung der Facebook-Währung Libra auf entwickelte Volkswirtschaften und auf Schwellenländer haben könnte – und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Metzler: Heilsamer Schock in Italien?

Nach Berechnungen der OECD schwankte die Staatsverschuldung in Italien zwischen 2014 und 2018 nur gering um einen Wert von 132 % des BIP. Die Verschuldungsdynamik war somit unter Kontrolle; nur das Niveau der Verschuldung war viel zu hoch – vor allem mit Blick auf das im Maastricht-Vertrag angestrebte Niveau von 60 % des BIP. Damit ist und bleibt Italien ein Risikoland für eine Schuldenkrise. Italien sollte somit schnellstmöglich die Verschuldung reduzieren.

Der einfachste Weg wären deutlich niedrigere Zinsen. 2018 musste Italien einen durchschnittlichen Zinssatz von 2,9 % auf alle ausstehenden Staatsschulden bezahlen. Gleichzeitig betrug das nominale Wirtschaftswachstum nur 1,7 %. Ein Zinsniveau oberhalb der Wachstumsrate des nominalen BIP sorgt automatisch für steigende Staatsschulden. Nur ein Haushaltsüberschuss (vor Zinszahlungen) von 1,6 % des BIP konnte einen Anstieg der Verschuldung verhindern.  

Die neue italienische Regierung erschreckte die Finanzmarktakteure jedoch seit Mai 2018 immer wieder mit Plänen, die den Haushaltsüberschuss merklich reduziert hätten. Die Folge war ein kräftiger Anstieg der Zinsen aufgrund von Bonitätssorgen. So erreichte der Zins achtjähriger italienischer Staatsanleihen mit etwa 3,3 % Mitte Oktober 2018 einen Hochpunkt. Der Zins einer achtjährigen Staatsanleihe ist ein guter Indikator für die Entwicklung des durchschnittlichen Zinses aller ausstehenden Staatsanleihen. Da Italien überwiegend langlaufende Staatsanleihen emittiert hat, dauert es durchschnittlich sieben Jahre, bis sich eine permanente Zinsänderung vollständig in den durchschnittlichen Zinskosten für den italienischen Staat widerspiegelt. Auf Basis der Annahme einer stabilen Wirtschaft mit einem stabilen Haushaltsüberschuss wäre unseren Berechnungen zufolge ein permanenter Anstieg des Zinsniveaus auf 3,5 % eine kritische Marke für den italienischen Staat, da in diesem Fall das vielbeachtete Niveau der Zinszahlungen auf etwa 10 % der Staatseinnahmen steigen würde.

Italien: Merklicher Rückgang der Zinsen seit Juni

Rendite achtjähriger italienischer Staatsanleihen in %

Rendite

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 11.7.2019

Würde der Haushaltsüberschuss jedoch merklich fallen und die Zinsen zugleich steigen, hätte das mittelfristig explosiv steigende Schulden zur Folge. Auch scheinen die Zinsen einen großen Einfluss aufs Wirtschaftswachstum in Italien zu haben. Steigt das Zinsniveau, wird es unattraktiver für Unternehmen und private Haushalte, Kredite aufzunehmen, und die Sparquote steigt tendenziell. Der Rückgang des Zinsniveaus seit Juni eröffnet somit die Möglichkeit, dass sich das Wachstum in Italien in den kommenden Quartalen beschleunigt.

Italien: Niedrigere Zinsen eröffnen Spielraum für mehr Wachstum

BIP in % ggü. Vorquartal und Rendite zehnjähriger Staatsanleihen minus EONIA in %-Punkten

BIP

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 31.3.2019

Für den jüngsten Zinsrückgang dürften die Aussichten auf eine baldige Zinssenkung der EZB und auf eine Neuauflage des Wertpapierkaufprogramms verantwortlich gewesen sein. Einige Stimmen gehen sogar so weit, die Rede von EZB-Präsident Draghi im portugiesischen Sintra als eine neue „What ever it takes“-Rede zu interpretieren, die Inflation unter Einsatz aller Instrumente wieder auf 2,0 % zu heben. Davon würde Italien sicherlich indirekt am meisten profitieren.

Nachdem die damals neue italienische Regierung im vergangenen Jahr bei hohen Zinsen und einer schrumpfenden Wirtschaft in den Abgrund geblickt hat, besteht nun die Hoffnung auf einen Kurswechsel zu einem soliden Staatshaushalt – mit einer wachstumsfreundlichen Politik und vertrauensbildenden Maßnahmen für die Anleiheinvestoren. Andere Länder könnten dabei als Vorbild dienen: Spanien bezahlt beispielsweise nur einen Zins von 0,48 % für zehnjährige Anleihen, Portugal von 0,56 %.    

USA: Der Konsum trägt
Ein solider Arbeitsmarkt, steigende Löhne und sinkende Zinskosten steigern die Einkommen der US-Haushalte und bilden somit die Grundlage für einen soliden Konsum, was die Einzelhandelsumsätze zeigen dürften (Dienstag). Auch der Wohnimmobilienmarkt profitiert von den gesunkenen Zinsen, was sich im NAHB-Index (Dienstag), in den Neubaubeginnen (Mittwoch) und den Neubaugenehmigungen (Mittwoch) widerspiegeln dürfte.

Die US-Industrie wurde jedoch zuletzt sehr hart vom globalen Handelskonflikt getroffen, wie die Industrieproduktion (Dienstag) und der Philadelphia Fed Index (Donnerstag) belegen dürften.  

China: Moderates, aber stabiles Wachstum
Die chinesische Regierung setzt derzeit nur begrenzt und sehr gezielt wirtschaftspolitische Stimuli ein, um einen merklichen Anstieg der Verschuldung zu vermeiden. Dementsprechend bleibt ein Wachstumsschub aus, doch wird ein Wachstumseinbruch verhindert. Die Industrieproduktion (Montag), die Einzelhandelsumsätze (Montag) sowie das BIP (Montag) im zweiten Quartal dürften somit eine moderat, aber stabil wachsende Volkswirtschaft zeigen.  

Über die neue Facebook-Währung Libra
Eine neue Währung ist der Libra eigentlich gar nicht, vielmehr setzt er sich aus einem Korb verschiedener Währungen zusammen. Kauft jemand mit seinem Euro einen Libra bei Facebook, legt Facebook den Euro in Staatsanleihen von Ländern mit bester Bonität an. Der Libra ist somit eine vollständig mit Staatsanleihen gedeckte Währung und entspricht damit dem „Vollgeld“ – ein wichtiges Thema, über das es beispielsweise 2018 eine Volksabstimmung in der Schweiz gab. Da es sich um einen Währungskorb handelt – voraussichtlich inklusive Euros –, schwankt der Wechselkurs des Libra zwar zum Euro, aber nicht so stark, wie der Euro normalerweise gegenüber anderen Währungen schwankt. Die Vorteile des Libra sind somit: Er ist ein solides Wert-aufbewahrungsmittel, kann leicht im Internet und über das Handy für Zahlungen verwendet werden und ist sofort und ohne Transaktionskosten international einsetzbar.  

US-Notenbankpräsident Powell hat Facebook nun in dieser Woche dazu aufgefordert, mit der Einführung des Libra zu warten, bis alle Fragen geklärt seien. Facebook hat derzeit etwa 2,7 Mrd. Nutzer, sodass der Libra das Potenzial hat, groß zu werden. Hierzu eine Beispielsrechnung: Sollten eine Milliarde Facebook-Nutzer Libra im Wert von je 1.000 USD kaufen, müsste Facebook Staatsanleihen von 1,0 Billionen USD erwerben. In Europa und Japan sind die Staatsanleihemärkte aber ausgetrocknet. Und wahrscheinlich würde eine Deckung nur mit US-Staatsanleihen bei diesem möglichen Volumen schwierig werden. Schon allein daran könnte der Libra scheitern.

Negative Folgen für die Banken in den entwickelten Volkswirtschaften sind dagegen eher unwahrscheinlich. Kaufen Privatanleger mit ihren Bankguthaben Libra, und Facebook kauft dann entsprechende Staatsanleihen, würden im ersten Schritt die Bankeinlagen zwar sinken, im zweiten Schritt würden die Verkäufer der Staatsanleihen wahrscheinlich jedoch ihr Geld wieder bei einer Bank deponieren – seien es private Akteure, der Staat oder die Zentralbank.  

Für Schwellenländer mit instabilen Währungen wäre der Libra dagegen eine echte Gefahr. Die heimischen Banken könnten in großem Umfang bestehende Einlagen in heimischer Währung oder in Fremdwährung verlieren, die Währungen würden stark unter Druck kommen, und die Kreditvergabe könnte als eine Folge dessen kollabieren. Der Libra könnte somit eine Reihe von Schwellenländerkrisen auslösen.

Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management

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