AllianceBernstein: In zwei schwer getroffene europäische Aktiensektoren investieren

Europas Börsen haben immer noch Mühe, die Auswirkungen der Pandemie zu überwinden. Doch gründliche Anleger, die über die Krise hinausblicken, können unter den Trümmern überraschende Anlagekandidaten finden, selbst in Sektoren wie Luftfahrt und Einzelhandel, die besonders hart getroffen wurden.

12.10.2020 | 10:17 Uhr

Europäische Aktien hinken im laufenden Jahr ihren globalen Konkurrenten hinterher. Der MSCI Europe-Index fiel bis zum 24. September 2020 in lokaler Währung um 12,2 %, während der MSCI World nur um 1,7 % sank und der S&P 500 gar um 1,9 % zulegte. Wir glauben, dass dies zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass Europa zu Beginn der Krise Europa mehr als andere Regionen damit kämpfte, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Doch trotz ermutigender Erfolge in vielen europäischen Ländern, entschiedener Sperrmaßnahmen und überraschender Zusammenarbeit in der gesamten Region hat sich der Erholungspfad Europas noch nicht vollständig in den Aktienkursen niedergeschlagen.

Schärfere Fragen für härtere Märkte

Natürlich ist diese Krise anders als alle anderen. Deshalb sollten Anleger bei der Analyse eines Unternehmens zusätzlich zu ihrer üblichen Sorgfaltspflicht folgende Fragen stellen: Wie genau wurde die Nachfrage beeinflusst, und für wie lange? Ist die Nachfragevernichtung auf Verhaltens- oder Strukturveränderungen zurückzuführen? Hat sich die Wettbewerbsdynamik in einem Sektor verändert? Verfügt ein Unternehmen über die Bilanzstärke, um diese schwierigen Zeiten zu überstehen? Und schließlich, wie viel Vertrauen können Anleger angesichts der Ungewissheit über die Pandemie und das makroökonomische Wachstum in jede der Antworten auf diese Fragen haben?

Wenn Anleger diese Fragen stellen, sollten sie notleidende Sektoren nicht automatisch ausschließen. In der Tat verdienen zwei Bereiche, die als unwahrscheinliche Orte für Investitionen erscheinen könnten, Aufmerksamkeit: der Einzelhandel und die Luftfahrt.

Luftfahrt: Stressresistente Unternehmen finden

Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist in einer beispiellosen Notlage. Die Unternehmen sehen sich mit einem erheblichen Nachfragerückgang konfrontiert, der durch die zwischenzeitlich fast vollständige Einstellung der kommerziellen Luftfahrt durch die Regierungen verursacht wurde. Und auch Verhaltensänderungen fordern ihren Tribut: Touristen zögern nach wie vor, zu fliegen, und ziehen es vor, ihren Urlaub in der Nähe ihres Wohnortes zu verbringen, während Geschäftsreisen weitgehend durch Videokonferenzen ersetzt worden sind.

Gehören Pauschal- und Geschäftsreisen also der Vergangenheit an? Wahrscheinlich nicht. Die Menschen lieben das Reisen. In China, das als erstes Land aus den Abriegelungsmaßnahmen herauskam, hat sich das Passagieraufkommen auf etwa 80 % des Niveaus vor der Pandemie erholt. Europa sollte unserer Meinung nach einen ähnlichen Weg einschlagen, sobald die Pandemie nachlässt (Abbildung).

In diesem Umfeld überleben einige traditionelle Luftlinien möglicherweise nicht. Wendigere Unternehmen, die direkt von den kurzfristigen Störungen betroffen sind, könnten jedoch für eine langfristige Erholung besser positioniert sein. Zum Beispiel vermietet die in Irland ansässige AerCap Flugzeuge an Fluggesellschaften. In einer Zeit, in der große Airlines zögern, neue Flugzeuge zu kaufen, kann AerCap von der mangelnden Planbarkeit profitieren, und das Unternehmen wird auch dann bezahlt, wenn seine Flugzeuge halb leer sind oder am Boden stehen. Die ungarische Billigfluggesellschaft Wizz Air ist ein weiteres Beispiel. Das Unternehmen verfügt über eine niedrige Kostenstruktur und ist nicht auf Geschäftsreisen angewiesen, um seine Einnahmen zu erzielen.

Einzelhandel: Online-Welle treibt den digitalen Übergang an

Die Einzelhandelsbranche in Europa zeigt ein anderes Bild. Es besteht ein krasser Gegensatz zwischen den wirtschaftlichen Gewinnern und Verlierern des Lockdowns. Unternehmen, die entweder vollständig online sind oder die bereits eine starke E-Commerce-Präsenz hatten, florieren. Währenddessen haben alte Ketten, die stark auf stationäre Geschäfte angewiesen sind, noch mehr zu kämpfen als vor dem Ausbruch der Pandemie.

Vor COVID-19 hatten die Europäer das Online-Shopping nicht so stark angenommen wie amerikanische oder asiatische Verbraucher. Bestimmte Marktsegmente, wie etwa ältere Kunden, waren skeptisch gegenüber Online-Einkäufen. Die Abriegelung hat sie praktisch gezwungen, es zu versuchen, und hat nun eine Quelle nachhaltiger Nachfrage für die Online-Einzelhandelsindustrie geschaffen. In Großbritannien etwa ist das monatliche Wachstum beim Online-Shopping von unter 10 % Anfang 2020 auf über 40 % in den letzten Monaten angestiegen, was die Durchdringungsrate des digitalen Einzelhandels erhöht hat (Abbildung).

Diese Trends bevorzugen Unternehmen, die besser gerüstet sind, den Übergang zum Online-Shopping auszuhandeln. Der Bekleidungseinzelhändler Next Retail und der Modeschmuckhersteller PANDORA passen beide ins Bild. Das in Großbritannien ansässige Unternehmen Next, das seine historischen Wurzeln im Versandkataloggeschäft hat, hatte schon immer eine starke Online-Präsenz. Die Produkte von PANDORA sind auf den Online-Verkauf zugeschnitten, und das dänische Unternehmen hatte bereits vor der Krise ein Programm zur Erhöhung seiner Online-Präsenz gestartet. Beide Unternehmen haben in letzter Zeit die Gewinnerwartungen übertroffen. Unternehmen, die bei der Modernisierung ihrer Geschäftsmodelle weniger erfolgreich waren, fangen gerade erst an, ihre Abhängigkeit von stationären Geschäften zu verringern, und es wird Zeit brauchen, bis sie aufholen.

Die europäischen Aktienmärkte liegen immer noch weit hinter der US-Konkurrenz zurück. Doch das hat auch Chancen für Anleger geschaffen, die europäische Unternehmen selektiv und eingehend untersuchen. Wir glauben, dass Anleger in angeschlagenen Sektoren wie Luftfahrt und Eiinzelhandel missverstandene Unternehmen mit überraschend starker Geschäftsdynamik finden können, die ein attraktives langfristiges Ertragspotenzial bieten können, wenn eine Erholung in der gesamten Region Fuß fasst.

Tawhid Ali ist Chief Investment Officer für European Value Equities bei AllianceBernstein (AB)

Andrew Birse ist Portfoliomanager für European Value Equities bei AllianceBernstein (AB)

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. AllianceBernstein Limited ist von der Financial Conduct Authority in Großbritannien zugelassen und wird durch diese Behörde reguliert.

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