ODDO BHF CIO Blick: „Bundestagswahl 2021“

ODDO BHF CIO Blick: „Bundestagswahl 2021“
Kommentar

Mit den Bundestagswahlen am 26. September beginnt eine neue politische Ära. Nach sechzehn Jahren im Amt stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht wieder zur Wahl. Das Bundeskanzleramt in Berlin wird also in jedem Fall einen neuen Hausherrn oder eine neue Hausherrin bekommen.

09.08.2021 | 10:42 Uhr

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Die Umfragen erlauben bisher keine soliden Aussagen darüber, wer ins Kanzleramt einziehen wird. Die aktuellen Umfrageergebnisse sehen die CDU unter Armin Laschet bei gut 27 Prozent, während die Grünen mit Annalena Baerbock bei rund 19, die SPD mit Olaf Scholz bei rund 18 Prozent stehen. Die FDP könnte auf etwa 12 Prozent der Stimmen kommen und damit leicht vor der AfD (11 Prozent) und deutlicher vor der Linken (7 Prozent) landen. Daraus ergibt sich eine bunte Mischung denkbarer Koalitionen, die zu deklinieren an dieser Stelle müßig ist. Zu vermuten ist, dass sich die Regierungsbildung der neuen Legislaturperiode ähnlich mühselig entwickeln könnte wie 2017. Damals dauerte der Prozess fast sechs Monate. Angela Merkel könnte also noch eine Zeitlang geschäftsführend im Amt bleiben und könnte den Amtszeit-Rekord von Helmut Kohl noch bequem einstellen.

Trotz des absehbar zähen Ringens um Posten und Politik gilt: Bei den wichtigen Zukunftsfragen gibt es unter den Parteien von Mitte-Rechts bis Mitte Links große Übereinstimmungen. Auch die CDU sieht inzwischen vor, Deutschland noch früher als von der EU geplant (2040 oder 2045 anstelle von 2050) klimaneutral zu machen. Das deutsche Zwischenziel für 2030 soll von 55 auf 65 Prozent Reduktion gegenüber dem Ausstoß von 1990 verschärft werden – die Grünen fordern 70 Prozent. Weitgehende Einigkeit besteht zudem darin, dass die Umsetzung der Klimapolitik vor allem über höhere Preise für die Emission von Treibhausgasen erfolgen sollte.

Selbst in der Steuer- und Finanzpolitik sind die Unterschiede zwischen SPD, Grünen, FDP und CDU relativ überschaubar. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem mittleren Jahreseinkommen von 80.000 Euro würde laut Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Jahr 2022 um rund 200 Euro entlastet werden, wenn die SPD und die Grünen die Regierung stellen würden (siehe Tabelle). Bei der FDP und der CDU wäre die Entlastung mit rund 3700 und 1100 Euro etwas umfangreicher. Steuerpolitisch sticht nur die Linkspartei heraus, die „Einkommensmillionäre“ deutlich höher belasten will als die anderen Parteien.

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Beim Mietendeckel gibt es eine deutlichere Trennlinie zwischen „rechts“ und „links“. Im Parteiprogramm der Grünen, ganz ähnlich wie im Programm der SPD, wird von Mietpreisobergrenzen und einer Entfristung der Mietpreisbremse gesprochen. Hier haben sich offenbar politische Beschützerinstinkte gegenüber dem ökonomischen Sachverstand durchgesetzt. Denn Mietpreisbegrenzungen helfen denjenigen, die eine Wohnung haben. Auf längere Sicht verschärfen sich durch solche Eingriffe jedoch die Knappheiten, weil private Wohnungsbauinvestitionen unattraktiv gemacht werden.

In anderen Bereichen sind die Grünen eine sehr viel modernere Partei geworden. Sie fordern eine zügige Digitalisierung, die Förderung von Start-ups und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in ihrem Programm. Die Differenzverträge des grünen Parteiprogramms für nachhaltige Technologien etwa könnten sich als sinnvolles Marktinstrument erweisen, um den Wandel zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu beschleunigen. Die genaue Umsetzung ist allerdings sehr vage formuliert.

Für die Finanzmärkte wichtig dürfte die europapolitische Positionierung sein. Knackpunkt ist die Finanzpolitik, vor allem die Auslegung der haushaltspolitischen Regeln. Während der Euro-Krise hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf die haushaltspolitische Eigenverantwortlichkeit der EWU-Staaten gepocht und die europäischen Partner auf eine „Schuldenbremse“ festgelegt. Damit traten die Kreditrisiken der Einzelstaaten verstärkt hervor, was etwa ab Mitte 2011 zu einer massiven Ausweitung der Risikoprämien auf Anleihen der sog. „Peripherieländer“ beigetragen hatte (siehe Abbildung).

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Im Gegensatz dazu hat die Bundesregierung unter Angela Merkel im Rahmen der Corona-Unterstützungsmaßnahmen erstmals einer Verschuldung auf der EU-Ebene zugestimmt. Im Frühjahr 2020 flackerte die Angst hinsichtlich der Kreditwürdigkeit Italiens zwar für einige Wochen auf, doch mit dem Merkel-Macron-Plan und den folgenden Beschlüssen des Europäischen Rates zu einem EU-finanzierten Wiederaufbauprogramm kehrte an den Anleihemärkten ab Sommer 2021 rasch wieder Ruhe ein. Der Renditeunterschied zwischen beispielsweise italienischen und deutschen Staatsanleihen bewegt sich trotz der weiter steigenden Staatsverschuldung nahe den Tiefständen der vergangenen Dekade.

Interessant ist, dass die CDU/CSU sehr vage bei der Frage bleibt, ob sie einer erweiterten finanzpolitischen Rolle des EU-Haushalts und gegebenenfalls einer weiteren Verschuldung auf europäischer Ebene zustimmen würde, wenn ein neuer exogener Schock zu Ungleichgewichten in Europa führen sollte. Für die Finanzmärkte ist es aber wichtig zu wissen, ob eine CDU-geführte Regierung unter Laschet auf die “No Bail- out”-Regel des Vertrages von Maastricht und die konsequente Anwendung der Haushaltsregeln bestehen oder eine erweiterte Rolle des EU-Haushalts und Finanztransfers zwischen den Mitgliedstaaten mittragen würde.

Im Hinblick auf mögliche Koalitionen brächte eine Rot-Rot-Grüne Regierung wahrscheinlich die deutlichste Belastung für die Finanzmärkte aufgrund von Programmpunkten wie der Vermögenssteuer, der 4-Tage- Woche oder der geplanten Anhebung von Mindestlohn und -rente. Die größten Konsequenzen aus der Wahl in Deutschland für die Finanzmärkte resultieren vermutlich aus der Europapolitik der neuen Bundesregierung. Deutschland wird sich entscheiden müssen zwischen der finanzpolitische Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten (“No Bail-out“-Regel) oder weiteren Finanztransfers innerhalb der Eurozone.

Der Umgang mit diesem Thema wird darüber entscheiden, wie stark sich die Renditedifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten in Stressphasen ausdehnen werden. Insgesamt sollten die Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Kapitalmärkte für langfristige Investoren jedoch nicht überschätzt werden. Gemessen am MSCI World, einem marktbreiten Index, der die wichtigsten 23 entwickelten Länder umfasst, beträgt die Marktkapitalisierung Deutschlands weltweit derzeit 2,9 Prozent, die der USA hingegen 67,4 Prozent. In der globalisierten Wirtschaft gibt es bedeutendere Einflussfaktoren für die Finanzmärkte als der Ausgang der Wahlen in Deutschland.

Den vollständigen ODDO BHF CIO Blick: „Bundestagswahl 2021“ vom 6. August 2021 finden Sie hier als PDF.


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