DJE: Stromversorger unter Spannung

Hagen Ernst, stellv. Leiter Research und Analyst für die Sektoren Telekom, Technologie, Medien sowie Immobilien und Versorger der DJE Kapital AG
Kommentar

Am 15. April gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Die Diskussionen um die Versorgungssicherheit hierzulande gehen hingegen weiter. Unternehmen aus dem Sektor befinden sich in einer spannenden Situation.

15.05.2023 | 11:14 Uhr

Denn aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung ist zukünftig sogar eher mit steigender Stromnachfrage zu rechnen. Viele Experten gehen von einer Verdopplung der Nachfrage bis zum Jahr 2050 aus. Ob der Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft bei zunehmender Elektrifizierung gelingen kann, bleibt abzuwarten. Stromerzeugungskapazitäten bleiben somit auf absehbare Zeit ein knappes Gut. Für Stromerzeuger wie RWE und E.ON ergeben sich damit Perspektiven aus dem Versorgungsausbau. Die Zukunft der Energieversorgung bleibt also besonders aus deutscher Sicht ein anspruchsvolles Thema und der Sektor der Energieversorger spannend für Anlegerinnen und Anleger.


Am 15. April gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Damit ist der nach dem Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im März 2011 beschlossene Atomausstieg endgültig umgesetzt. Die öffentliche Debatte lebt unterdes weiter: Über die Risiken der Kernkraft, der Endlagerung von Atommüll, aber auch über die möglichen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hierzulande. Unternehmen aus dem Sektor befinden sich in einer spannenden Situation.

Wie sicher ist die Gasversorgung?

Aus Sicht vieler Experten bleibt fraglich, inwiefern der Atomausstieg aus heutiger Sicht sinnvoll oder nicht doch etwas verfrüht sein könnte. Gaskraftwerke als vorgesehene Brückentechnologie zur Stromerzeugung sollten einst den gleichzeitigen Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft ermöglichen. Ohne das günstige Pipelinegas aus Russland ist die langfristige Gasversorgung allerdings vom teureren Flüssiggas (LNG) abhängig und keinesfalls gesichert. Im Falle einer deutlichen Wirtschaftserholung in China könnte beispielsweise die Nachfrage anziehen und die Gaspreise wieder deutlich nach oben treiben.

Kohlekraftwerke: Umweltschädliche Grundlastversorgung
Für eine sichere Stromversorgung sind aber zuverlässige Grundlastkraftwerke (immer verfügbar) von essenzieller Bedeutung. Die womöglich ökologisch und ökonomisch beste Alternative, Wasserkraft, ist jedoch in Deutschland nicht in ausreichender Form vorhanden. Insbesondere die jetzt wieder eingesetzten Kohlekraftwerke haben eine schlimme CO2-Bilanz. So erzeugt ein Braunkohlekraftwerk etwa 940g CO2-Emission pro Kilowattstunde (kWh) und ein Steinkohlekraftwerk etwa 735g CO2-Emission pro kWh. Nicht zuletzt deshalb erfreut sich Kernenergie weltweit immer größerer Beliebtheit. Auch in Europa werden neue Kraftwerke gebaut. Sogar Polen, bisher noch ohne Atomkraft, schließt sich dem Trend an.

Mini-Reaktoren: Klein, aber oho!
Zunehmend kommen dabei Mini-Reaktoren im Baukastenprinzip zum Einsatz. Anders als große Kernkraftwerke erzeugen die Mini-Reaktoren statt einer Leistung von mehr als 1.000 Megawatt lediglich Strom von bis zu 300 Megawatt. Dafür benötigen die Mini-Kraftwerke deutlich weniger Bauzeit – und sie kosten weniger. Ein Vergleich: Das neue Atomkraftwerk Hinkley Point in Großbritannien mit etwa 3.200 Megawatt kostet rund 37 Milliarden Euro, während eine 300 Megawatt-Anlage nur etwa eine Milliarde Euro kostet. Auch im Hinblick auf die Sicherheit gelten die kleineren Anlagen als überlegen. Frankreich und die USA setzen deshalb verstärkt auf diese Technologie.

Atomkraft: Der Müll bleibt
Ein Problem, für das nach wie vor keine Lösung gefunden wurde, ist die Entsorgung von Atommüll. Perspektivisch könnte die Kernfusion Abhilfe schaffen. Und auch wenn Forschern wie zuletzt Ende 2022 Fortschritte gelingen, ist die Technologie noch weit von der Marktreife oder kommerziellen Nutzung entfernt. Hauptproblem sind die sehr starken Laser, die für die Fusion benötigt werden: Sie verbrauchen aktuell noch zu viel Energie. Der Plan der Bundesregierung, sich auf den Ausbau Erneuerbarer Energien zu fokussieren und das Festhalten an Gaskraftwerken als Brückentechnologie klingen zwar plausibel, bergen aber große Risiken. Aktuell gibt es noch keine adäquaten Speichermöglichkeiten für Strom, was aber zwingend erforderlich ist, um Dunkelflauten (wenn weder Wind noch Sonne zur Verfügung stehen) zu überbrücken. Grundlastkraftwerke bleiben daher auf absehbare Zeit wichtig. Wenn aber sowohl Kohle- als auch Kernkraftwerke abgeschaltet werden, bleiben neben Wasserkraft (drei Prozent der Stromerzeugung) nur Gaskraftwerke übrig. Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit wäre daher ein fortlaufender Betrieb der letzten Kernkraftwerke nicht verkehrt gewesen.

Ausbau der Erneuerbaren hinkt hinterher
Bis zum Jahr 2030 soll die Windkraft von aktuell 58 Gigawatt im Jahr 2022 auf 115 Gigawatt nahezu verdoppelt werden. Auch die Solarkapazitäten sollen um 22 Gigawatt pro Jahr auf 215 Gigawatt ausgebaut werden. Doch trotz ambitionierter Pläne, beschleunigter Genehmigungsverfahren und mehr Flächen stockt der Ausbau der Erneuerbaren. 2022 lag der Netto-Zubau bei Photovoltaik bei 7,2 Gigawatt, Wind an Land bei 2,1 Gigawatt sowie auf See 8,1 Gigawatt. In den ersten zwei Monaten von 2023 hat sich das Tempo mit nur 205 Megawatt Wind an Land, 76 Megawatt auf See bzw. 1,7 Gigawatt Photovoltaik nochmals verlangsamt und reicht bei weitem nicht aus, um die ausgerufenen Ausbauziele zu erreichen.

Aktuell kommen erschwerend Inflation und hohe Zinsen hinzu, was auf der Rentabilität zukünftiger Energieprojekte lastet. Vor allem Projektauktionen für Wind an Land sind stark unterzeichnet. Neue Subventionspakete könnten so notwendig werden. Verzögerungen gibt es auch bei den Stromtrassen, um Strom vom Norden in den Süden zu transportieren, wo er benötigt wird. So sollten die beiden geplanten, von Norden nach Süden verlaufenden Stromtrassen SuedLink eigentlich im letzten Jahr fertiggestellt sein. Neuer Termin ist nun 2027.

Neben den günstigen Wetterbedingungen hat auch die fallende Stromnachfrage ihren Beitrag geleistet, dass die Versorgung mit Strom und Gas über den Winter gewährleistet und bezahlbar war. So sank der deutsche Stromverbrauch 2022 um vier Prozent auf 484,2 Terawattstunden (TWh). Aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung ist aber zukünftig eher mit steigender Stromnachfrage zu rechnen. Hauptreiber sind Elektroautos, Heizungsumstellung auf Luft-Wärme-Pumpe, Elektrifizierung der Industrie (Strom statt Gas oder Kohle zur Erhitzung) sowie möglicherweise energieintensive Rechenzentren im Zuge der künstlichen Intelligenz. Viele Experten gehen deshalb von einer Verdopplung der Stromnachfrage bis zum Jahr 2050 aus.

Strompreis: Stabilisierung auf hohem Niveau wahrscheinlich
Ob der Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft bei zunehmender Elektrifizierung gelingen kann, bleibt abzuwarten. Um die Versorgungssicherheit weiter zu gewährleisten, könnte es daher doch erforderlich sein, den geplanten Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 etwas hinauszuzögern. Stromerzeugungskapazitäten bleiben somit auf absehbare Zeit ein knappes Gut. Aktuell steht der Forward (Preis am Terminmarkt) für Grundlaststrom im Großhandel bei 150 Euro pro MWh für 2024 bzw. 137 Euro pro MWh für 2025. Ein Großteil der Experten rechnet mit einer Normalisierung des Strompreises auf 70 bis 80 Euro pro MWh. Angesichts der geschilderten Entwicklung bleibt es aber wahrscheinlich, dass sich der Strompreis auf einem eher hohen Niveau stabilisiert.

Perspektiven durch Versorgungsausbau
Laut Verivox ist der Strom in Deutschland mit 31,8 Euro-Cent je Kilowattstunde 2,7-mal teurer als im internationalen Durchschnitt. Das trifft vor allem Verbraucher sowie energieintensive Industrien, die im Wettbewerb mit anderen Ländern wie den USA stehen, wo Strom deutlich günstiger ist. Profitieren könnten hingegen Stromerzeuger. RWE beispielsweise will bis zum Jahr 2030 die Kapazitäten bei Erneuerbaren Energien (Wind an Land, Wind auf See, Photovoltaik) auf 50 Gigawatt ausbauen. Angesichts des schnelleren Ausbaus in Deutschland und den USA scheinen die Ausbauziele eher konservativ und könnten erhöht werden. Zudem besitzt RWE eine Reihe „flexibler“ Kraftwerke wie Wasser-, Biomasse- oder Gaskraftwerke, die durch die zunehmende Volatilität der Erneuerbaren Energien an strategischer Bedeutung gewinnen. Im vergangenen Jahr hat sich das EBITDA dieser Kraftwerke auf 2,369 Mrd. Euro nahezu verdreifacht und sollte auch zukünftig auf hohem Niveau verharren.

Im Rahmen des beschleunigten Ausbaus der Erneuerbaren Energien sowie der oben beschriebenen steigenden Stromnachfrage müssen auch die Stromnetze schneller ausgebaut werden. E.ON plant beispielsweise eine Erhöhung der Investitionen um 20 Prozent auf 33 Mrd. Euro für den Zeitraum 2023 bis 2027, um für das Wachstum des regulierten Stromnetzes von mindestens sechs Prozent pro Jahr gewappnet zu sein. Die Zukunft der Energieversorgung bleibt also besonders aus deutscher Sicht ein anspruchsvolles Thema und der Sektor der Energieversorger spannend für Anlegerinnen und Anleger.

Den vollständigen Kommentar mit Grafiken finden Sie hier.

Diesen Beitrag teilen: