Warum viele europäische Familienunternehmen überproportional von KI profitieren könnten

Warum viele europäische Familienunternehmen überproportional von KI profitieren könnten
Interview

Im Interview mit Andreas Lesniewicz, Portfoliomanager bei CONREN, geht es um die Frage, welchen Einfluss künstliche Intelligenz auf Familienunternehmen und ihre Aktien hat und wie sich der Markt selber im Laufe der Zeit verändert hat.

06.09.2023 | 08:18 Uhr

Neben seiner Begeisterung für den technologischen Fortschritt, der mit KI einhergeht, mahnt er aber auch dazu, die eigenen Prinzipien beim Investieren und der Unternehmensführung nicht über Bord zu werfen, nur weil gerade alle diese „neue“ Technologie hypen.

Herr Lesniewicz, wie beeinflusst der Einsatz künstlicher Intelligenz die Performance und das Wachstum von Familienunternehmen in Europa?

Ich glaube, dass Künstliche Intelligenz, und alles was dazugehört, wahrscheinlich die Technologie ist, die unser Leben und unsere Arbeit am tiefgreifendsten verändern wird – mehr als jede andere Technologie, die wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben. Jedoch ist es inzwischen nicht mehr eine neue Technologie, sondern ein weiterer Fortschritt in der Datenverarbeitung. Zudem ist der Begriff künstliche Intelligenz ein bisschen irreführend, da man denken könnte, dass es sich hier um Maschinen handle, die wie Menschen denken. Dies ist jedoch zumeist nicht der Fall, denn sie produzieren primär Ergebnisse, zum Beispiel über Wahrscheinlichkeiten, ohne die Zusammenhänge im „menschlichen“ Sinne zu verstehen. Wir denken jedoch, dass diese Ergebnisse entsprechend unserer Denkweise entstehen. Das ist eine Eigenheit (und Arroganz) von uns, Sachen zu vermenschlichen - wie bspw. den Delfin, der vermeintlich lächelt und der Mensch dadurch denkt, „dem geht es gut“. Genauso findet sich dieses Muster im täglichen Sprechen mit dem eigenen Haustier wieder. Das Vermenschlichen ist eine Eigenheit von uns und diese wollen wir auch gerne auf die künstliche Intelligenz übertragen. Aber KI ist, wie bereits erwähnt, nichts anderes, als eine neue Form der Datenverarbeitung und auch in dieser Form ist sie nichts Neues. Das Thema hat durch ChatGPT an Fahrt aufgenommen, da dadurch eine breitere Masse auf den aktuellen Stand von KI aufmerksam geworden ist. Für viele ist es überraschend, wie gut ChatGPT bereits funktioniert und wie vielfältig die Anwendbarkeit ist. Der Punkt, an dem es anfängt wirklich revolutionär zu werden und einen Impact zu haben, sehen wir in Kombination mit der Rechenleistung und den Datenmengen, die uns mittlerweile zur Verfügung stehen. Wenn man das Thema weiterspinnt, kommen Themen wie Virtual Reality und Blockchain Technologie dazu, aber auch die weitere Automatisierung, Digitalisierung oder immer bessere Computersimulationen. Wir treten sukzessive in eine neue Welt, in der sich in den nächsten 10-20 Jahren sehr vieles sehr stark verändern wird. Das betrifft unseren Lebensalltag - z.B. autonomes Fahren mit intelligenter Verkehrsplanung und damit Stau- sowie Unfallverhinderung. Aber auch in Unternehmen werden sich alle bisherigen Prozesse maßgeblich ändern, alles wird viel datengetriebener, integrierter und holistischer. Die Daten in den Unternehmen werden zentral zusammenlaufen und in Echtzeit ausgewertet. Dadurch entstehen wesentlich maßgeschneiderte und bessere Produkte, wesentlich effizientere Prozesse, niedrigere Kosten und eine bessere Kundenerfahrung. Man kann hier nur begeistert sein.

Was bedeutet das für europäische Familienunternehmen? …Und was bedeutet das für Aktien von europäischen Familienunternehmen und damit für Investoren?

Wenn man zu den Familienunternehmen kommt, kann man sagen, dass diese aufgrund ihrer Stärken und Charakteristika hiervon überdurchschnittlich profitieren könnten. Wir versuchen in unseren Portfolien vor allem in Aktien von Familienunternehmen zu investieren, die wirklich Qualitätsunternehmen sind. Das heißt konkret unter anderem, dass sie Geschäftsmodelle und Produkte besitzen, die stark zukunftsfähig sind, dass sie Marktposition und Preise bzw. Margen haben, die sehr gut zu verteidigen sind und, dass sie eben sehr gut geführt werden. Wenn diese Unternehmen künstliche Intelligenz on top nutzen, stellt das einen enormen Hebel auf diese Stärken und Qualitäten dar, und damit einen Effizienz- und Margen-Boost. Deswegen glaube ich, dass wir da sehr viel Freude haben werden.

Alle Investoren müssen sehr genau überlegen, wie sie damit umgehen, wenn sie einer neuen, disruptiven Technologie(-Gruppe) gegenüberstehen. Grundsätzlich reagiert der Aktienmarkt hier sehr schnell. Jedoch wird es teilweise noch sehr lange dauern, bis diese neuen Technologien positiv in den Cashflows der Unternehmen zu sehen sind und es ist keinesfalls sicher, dass sich die vermeintlichen Gewinner der ersten Stunde durchsetzen. Wir sehen aktuell bereits, dass viele Unternehmen, die für KI stehen extrem hoch bewertet sind. Sie müssen nun wirklich langfristig immens und dazu sehr profitabel wachsen, um Anleger nicht massiv zu enttäuschen. Unternehmen, die gestern noch in ganz anderen Feldern beschäftigt waren, schreiben sich nun KI auf die Fahne, u.a. um Funding und höhere Bewertungen zu bekommen. Es ist ein echter Hype und das birgt natürlich Chancen für Investoren, aber eben auch extrem hohe Risiken. Wir kennen das bereits: die Dot-Com-Bubble ist ein Beispiel für dieses Verhaltensmuster. Wir wissen auch, dass der Impakt von bahnbrechenden Innovationen zumeist kurzfristig von Menschen und dem Markt massiv überschätzt und langfristig massiv unterschätzt wird.

Einiges an KI-Impakt wird also wahrscheinlich ein ganzes Stück länger dauern, als aktuell vom Markt angenommen und in einigen Aktienkursen vorweggenommen. Dazu werden wir erst in ein paar Jahren wirklich wissen, wer die großen, direkten KI-Gewinner sein werden – was die für Aktienbewertungen relevanten Unternehmensgewinne angeht. Ein paar Gewinner können wir Ihnen aus unserer Sicht aber jetzt schon nennen: In ihren Branchen und oft in Nischen gut positionierte sowie gut geführte Familienunternehmen in Europa.Auch wenn Sie vielleicht nicht die sein werden, die den entsprechenden Code schreiben. So werden viele dieser Traditionsunternehmen von der Effizienzsteigerung durch Künstliche Intelligenz in den eigenen Prozessen profitieren können. KI wird an vielen Stellen die Starken und Schnellen noch besser machen. Unternehmen, die eine starke Marktstellung haben, gute (und zukunftsfähige) Produkte oder Dienstleistungen, eine enge Bindung zu ihren Kunden, Technologie-, Serviceführerschaft oder Marken, werden mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz ihre Prozesse in vielen Bereichen revolutionieren können – und damit nicht nur Kosten sparen, sondern ihre Kunden noch wesentlich besser und schneller bedienen können. Sei es eine weiter beschleunigte Forschung und Entwicklung, extreme Effizienzsteigerung in der Compliance und in der generellen Administration oder schnellere, effizientere und noch mehr auf den aktuellen Bedarf ausgerichtete Prozesse in Vertrieb, Produktion oder Kunden-Service. Künstliche Intelligenz wird viele der Starken und Schnellen einen noch größeren Vorsprung verschaffen.

Welche Rolle spielen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bei der Identifizierung von vielversprechenden Investitionschancen in Familienunternehmen und wie beeinflussen sie die Risikobewertung für potenzielle Anleger?

Wenn es um das Thema Geldanlage geht, sehen wir eine Revolution auf uns zukommen hinsichtlich der Art und Weise, wie viele Markteilnehmer Portfolios zusammenstellen. Grob können wir hier vielleicht vereinfachend kurzfristiges Spekulieren und langfristiges Investieren unterscheiden: Fangen wir mit der kurzfristigen Geldanlage an: Wenn ich spekulieren, kann ich zum Beispiel vor allem Marktstimmungen, Investmentflows, Preisdynamiken, trending Investmentthemen oder Korrelationen versuchen schnellstmöglich aufzufassen, zu verarbeiten und entsprechende Käufe und Verkäufe abzuleiten sowie schnell bestmöglich umzusetzen. Fundamental muss ich hier in der Regel nicht viel von dem Unternehmen hinter Aktie, in die ich investiere, verstehen. Hier macht KI breits einen Riesenunterschied. Der Mensch ist hier gar nicht mehr so sehr notwendig, wie es vielleicht mal der Fall war. Hier kann er oft im Weg stehen: zu langsam, nicht fähig out-of-the-box Zusammenhänge von riesigen Datenmengen zu sehen, zu emotional.

Der Markt hat sich den letzten Jahren schon maßgeblich verändert und ist in Teilen wesentlich schwerer kurzfristig zu verstehen und damit vorhersagbar geworden. Das wird durch den verstärkten Einsatz von KI wahrscheinlich noch weiter forciert werden. Das hat mit professionellen Marktteilenehmern zu tun – immer Computer-Trading-Modelle, immer mehr volatilität-getriebene Risikomodelle, Trendfolgemodelle etc. Aber auch der Privatanleger kann davon berichten: Wenn eine Privatperson früher in Aktien investierte, ist sie zum Banker ihres Vertrauens oder ihrer Hausbank gegangen, hat sich beraten lassen und dann (effektiv Tage später) Aktien gekauft. Wenn sie verkaufen wollte, hat sie vielleicht nach 1-2 Jahren ihren Banker angerufen, einen Termin ausgemacht und dann im Termin entschieden (und effektiv noch einmal Tage später verkauft). Somit war das ganze Thema um einiges zeitintensiver, als es heute der Fall ist. Nun haben wir Märkte, in denen Leute auf ihren Mobiltelefonen ETFs oder (in der Regel weltweit vielleicht ein, zwei Dutzend) Aktien kaufen und innerhalb von Sekunden wieder verkaufen. Das erinnert eher an Sportwetten als an langfristigen Vermögensaufbau. Man hat den Eindruck, dass hier bald nur noch Maschine gegen Maschine antreten wird.

Das ist für uns als langfristige Investoren manchmal ärgerlich: Teures kann noch viel länger immer teurer werden und Billiges noch viel länger immer billiger. Teilweise dauert es noch länger, bis Qualität sich durchsetzt und Qualität bedeutet am Ende immer tatsächlicher Cashflow. Doch es ist auch eine große Chance, wenn man genügend Geduld mitbringt. Bei einer Immobilie schaue ich ja auch nicht alle 3 Minuten, wo der mögliche Verkaufspreis steht. Hier zeigt sich meiner Meinung nach der Unterschied zwischen Spekulieren und Investieren…und groteskerweise könnte traditionelles langfristiges Investieren in Qualitätsaktien, gerade wegen KI, eine goldene Zeit vor sich haben. Manchmal muss man eben für den Erfolg gegen den Strom schwimmen.

Wenn wir nun über den Wandel für uns langfristige, fundamentale Investoren sprechen, dann sehen wir auch hier, dass KI unseren Alltag massiv ändern wird. Wir werden wesentlich bessere und schnellere Investoren werden, weil die KI uns hilft, Daten schneller und besser zu verarbeiten. Ein konkretes Beispiel wäre, dass ein Unternehmen plant ein neues Produkt rauszubringen und die KI uns erklärt, welchen Impakt es genau haben wird, wie groß der Markt dafür ist, wie die Produkteinführung sich auf die Cashflow-Struktur des Unternehmens auswirken wird, welche Risiken damit einhergehen, welche Szenarien mit welchen Wahrscheinlichkeiten es gibt, welche andere Unternehmen im Portfolio oder Anlageuniversum davon betroffen sind usw. Viele Arbeitsschritte, also das stundenlange Recherchieren, zusammenfassen und rechnen, die Schnittstellen im Team macht die KI – gemäß unseren Vorgaben entsprechend unserer Investmentziele, -philosophie und -entscheidungsparametern - bald in Echtzeit. Das ist so ungefähr wie Investments mit Papier und Bleistift zu beurteilen (vor vielleicht 30 Jahren) versus mit dem Internet und einem Computer (wie heute). Gleichzeitig wird die KI uns Fakten und Zusammenhänge aufzeigen, die wir bisher nicht gesehen haben, da uns dazu die Kombinationsgabe fehlt in diesem Maße „out of the box“ zu denken. Die riesige Menge an Daten dahingehen auszuwerten. Das gilt für ökonomische Einschätzungen, einzelne Unternehmen und die Portfoliozusammensetzung. Trotzdem müssen wir weiterhin die Ergebnisse gegenlesen und entscheiden - KI wird lange ein sehr schlaues, aber gleichzeitig ein sehr dummes Instrument bleiben.

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