Oft werden innovative und disruptive Entwicklungen erst nachträglich richtig bewertet. Für Fondsmanager ist das eindeutig zu spät. Es gilt möglichst früh die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Bewertung von Chancen und Risiken neuer Geschäftsmodelle sowie ihre Auswirkungen auf Unternehmen gehören zu den wesentlichen Hausaufgaben von Aktienfonds-Managern.
31.05.2019 | 12:59 Uhr von «Christian Bayer»
Der Begriff „Disruption“ wurde vom Harvard-Wirtschaftswissenschaftler
Clayton M. Christensen in den 1990er-Jahren geprägt. Mittlerweile ist er in
aller Munde. Die Auswirkungen disruptiver Entwicklungen werden besonders dann unterschätzt,
wenn sie langsam und nicht schlagartig entstehen: „Diese schleichend wirkende
disruptive Kraft ist gefährlicher, weil sie Führungskräften ein trügerisches
Gefühl der Sicherheit vermittelt und sie glauben lässt, dass sie sich einem
Problem auch morgen noch widmen können. Das Ergebnis ist jedoch immer dasselbe.
Disruptionen verändern die Gesellschaft, Unternehmen, Menschen und die Art und
Weise, in der wir tätig sind und uns verhalten. Es entsteht ein neues „Normal“,
so Quirien Lemey, Fondsmanager und Alexander Roose, Head of International and
Sustainable Equity bei Degroof Petercam Asset Management (DPAM). Vielfach würde
das Ausmaß von innovativen und disruptiven Entwicklungen in der Vorausschau
unterschätzt.
Als Beispiele für Sektoren, die wesentlichen und grundlegenden Veränderungen ausgesetzt sind, sehen die DPAM-Experten die Entwicklung des E-Commerce-Segments im Einzelhandel und die Veränderungen der Medien-Landschaft durch Anbieter wie Netflix, die die Nutzung des Fernsehens grundlegend verändert haben. Etablierte Platzhirsche können durch disruptive Entwicklungen rasch vom Thron gestoßen. Eines der klassischen Beispiele des Scheiterns ist der Handyhersteller Nokia.
Der
ehemalige Nokia-CEO Stephen Elop fasste das traurige Ergebnis kurz und knapp
zusammen: „Wir haben nichts falsch gemacht, aber irgendwie haben wir verloren.“
Die Schöllerbank-Dachfondsmanager Gertraud Dürnberger und Bernhard Spittaler
verweisen auf die rasante Entwicklung in der Musikindustrie. Die CD ersetzte
als technische Innovation die Langspielplatte. Mittlerweile bestimmen
allerdings Streaming-Dienste wie Spotify und Deezer, die das Musikgeschäft
disruptiv verändert haben, wesentlich die Art und Weise des Musikkonsums.
Fondsmanager müssen sich davor hüten, in die Value-Falle zu tappen. Die Jagd nach Schnäppchen könnte sich bei der Suche nach zukunftsträchtigen Unternehmen als Fehler erweisen „Wichtig ist auch die Tatsache, dass innovative und disruptive Unternehmen zu höheren Kursen gehandelt werden, während von Disruption getroffene Unternehmen in der Regel Bewertungsabschläge zu verkraften haben“, so die DPAM-Experten Lemey und Roose. „Einem menschlichen Reflex folgend würde man sagen: „Die erste Gruppe ist teuer und die zweite Gruppe billig. Also verkaufen wir die erste und kaufen die zweite.“ Doch es geht auch anders herum. Wenn Unternehmen von Disruption getroffen werden, neigen Menschen dazu, die davon ausgehende Wirkung zu unterschätzen – mit der Konsequenz, dass sie diese Unternehmen dann kaufen.
Doch gehen solche Ideen meistens nicht auf.“ Dürnberger
und Spittaler von der Schöllerbank stellen fest, dass große Unternehmen oft
Risiken meiden, weil sie Wachstumspotentiale schwer einschätzen können. Denn ob
3-D-Drucker bald in heimische Haushalte einzieht, bleibt aus heutiger Sicht
fraglich. Die Welt der Aktien hat sich durch den Innovationsdruck verändert.
Die Schöllerbank-Fondsmanager verweisen darauf, dass im Jahr 1957 das
durchschnittliche Alter eines Unternehmens, das neu in den S&P 500 Index
aufgenommen wurde, 75 Jahre betragen hat. Im 2013 lag das Durchschnittsalter
bei nur zehn Jahren.
Lemey und Roose von DPAM plädieren bei der Auswahl der Unternehmen für eine genaue Prüfung, wie stark Unternehmen auf den Faktor Innovation fokussiert sind und wie die Investitionen in die Zukunft gemanagt werden. Entscheidend für Fondsmanager ist aus ihrer Sicht darüber hinaus die Beurteilung, wie groß der Markt für die Disruption ist und wie das Top-Management Innovationen generell bewertet. Unterschiedliche Haltungen zu Innovationen haben die DPAM-Experten in der Führungsebene von Microsoft ausgemacht: „Im Fall von Microsoft hielt Steve Ballmer an der dominierenden Position des Unternehmens fest, während Satya Nadella lieber in Innovationen investieren wollte. Ballmer versuchte, um jeden Preis die monopolistische Marktstellung von Microsoft zu verteidigen. Anstatt bei der neuen Art des Computing mit dabei zu sein, kaufte das Unternehmen das Smartphone-Geschäft von Nokia – rückblickend ein sehr schlechter Schachzug. Nadella ist in wesentlich stärkerem Maße ein echter Visionär, und vor allem öffnete er das Unternehmen für Selbst-Disruption. So sind beispielsweise Office-Anwendungen wie Word und PowerPoint jetzt für alle Betriebssysteme verfügbar.“
Links zu den Fondsgesellschaften:
Diesen Beitrag teilen: