Credit Suisse: «Grand Paris» – eine Stadt der Zukunft gestalten

«Grand Paris» dürfte das grösste europäische Infrastrukturprojekt des Jahrzehnts sein. Das Investitionsprogramm verfolgt das Ziel, durch den Anschluss neuer Stadtbezirke an wichtige Verkehrsknotenpunkte das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

28.09.2017 | 16:17 Uhr

«Grand Paris» dürfte das grösste europäische Infrastrukturprojekt des Jahrzehnts sein. Das geschätzte Budget beläuft sich auf EUR 25 Mia., mit zusätzlichen Immobilienanlagen in Höhe von EUR 6–10 Mia. Das Projekt umfasst vier neue Metrolinien mit insgesamt 200 km Schienen und 69 neuen Stationen. Das Investitionsprogramm verfolgt das Ziel, durch den Anschluss neuer Stadtbezirke an wichtige Verkehrsknotenpunkte das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Zudem möchte die Stadt auf diese Weise für privatwirtschaftliche Investitionen, etwa in Form von Firmenhauptsitzen und Forschungs- und Entwicklungszentren, attraktiver werden.

Welchen Platz belegt Paris unter den globalen Großstädten?

Gemäss KPMG International sind Greenfield-Investitionen im Jahresvergleich um 8,7 % und seit 2008 kumuliert um über 30 % gesunken.2 Globale Städte konkurrieren um einen kleiner gewordenen Pool internationaler Greenfield-Investitionen, die als «Unternehmen, welche Neuerrichtungen, etwa Unternehmenssitze oder Forschungs- und Entwicklungszentren, in einer globalen Stadt erschaffen» definiert werden. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist ein wichtiger Bestandteil der Definition.

Städte wie Dubai, Sydney und Bangalore können – genau wie New York – auf beeindruckende Erfolgsgeschichten zurückblicken. Trotz der jüngsten Terroranschläge rangiert Paris (nach New York, London und Shanghai) auf Platz vier der attraktivsten Orte für Unternehmensgründungen. Im Bereich Infrastruktur rangiert Paris auf dem dritten Platz weltweit. Paris gilt auch als «Smart City»: 81 % der Amerikaner und 68 % der globalen Anleger zählen Paris zu den führenden Städten im Bereich neuer Technologien und F&E-Investitionen. Sie ist nach wie vor die bei weitem beliebteste Stadt für Greenfield-Investitionen in Kontinentaleuropa. 3 Paris schneidet zwar in puncto Attraktivität und Infrastruktur bereits gut ab. Trotzdem hat die Stadt jedoch mehrere Projekte, insbesondere im Bereich Transportinfrastruktur, ins Leben gerufen, um noch attraktiver für strategische Greenfield-Investoren zu werden. Das mit Abstand grösste Projekt ist «Grand Paris», das über EUR 30 Mia. an Infrastruktur- und Immobilieninvestitionen umfasst. Es soll die Position der Stadt als erste Wahl für internationale Greenfield-Investitionen in Europa sichern.

Umfang des Projekts

Die Planung des Projekts begann vor zehn Jahren, was daran erinnert, wie langwierig und kompliziert sich Infrastrukturprojekte gestalten können. Während seiner Wahlkampagne im Jahr 2007 führte Nicolas Sarkozy die Idee eines «neuen, umfassenden Entwicklungsprojekts für den Grossraum Paris» ein. Die Société du Grand Paris (SGP), grösster Auftragnehmer und zuständig für Konzeption und Umsetzung des Projekts, wurde im Jahr 2010 gegründet. Grosse Infrastrukturprojekte wie «Grand Paris» können tiefgreifende Veränderungen im Stadtbild bewirken. Im Jahr 2011 lancierte die SGP eine Studie zur Untersuchung der sozioökonomischen Auswirkungen des Projekts «Grand Paris». Die Studie bezog sich auf einen Zeitraum von 10–30 und mitunter sogar 50 Jahren, wobei vor allem Prognosen zu folgenden Bereichen getroffen wurden:

1) Wirtschaftstrends in Bezug auf Wachstum und veränderte Präferenzen.

2) Technologischer Wandel und seine Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Mobilität.

3) Demografischer Wandel als Motor für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Als Ziel von «Grand Paris» wurden schliesslich zehn Schlüsselgedanken formuliert:

  1. Paris soll mit der Durchführung grosser, symbolträchtiger Projekte den eigenen Status als Weltstadt noch besser verteidigen können.
  2. Eine Stadt des Wissens, bei der wirtschaftliche Entwicklung ihren Schwerpunkt auf Gründung oder Stärkung grosser Kompetenzzentren setzt
  3. Ein intensiveres Stadterlebnis
  4. Umdenken in Bezug auf Strassenverkehr und ein verbessertes ÖV-Angebot
  5. Die Gründung oder Stärkung von urbanen Zentren
  6. Bessere Integration zwischen den Stadtbezirken
  7. Erhaltung des Grüngürtels
  8. Die Aufwertung der Seine und ihrer Nebenflüsse als wichtige Verbindungslinien der Stadt
  9. Angepasste Governance für eine harmonischere und kohärentere Entwicklung
  10. Und somit ein nachhaltiges «Grand Paris»

In der Praxis führte dies zur Entwicklung mehrerer, um Paris herum befindlicher Cluster (Forschung, Finanzen und Luftfahrt) und zur Erstellung eines neuen Transport-Masterplans, mit dem diese Cluster sowie Wohngebiete mit wichtigen Verkehrsknotenpunkten verbunden werden (Flughäfen, Hochgeschwindigkeitsbahnlinien und RER-Stationen). 

Einige aufschlussreiche Fakten, die die Komplexität des Projekts veranschaulichen: Die Île-de-France umfasst neben Paris, das in 20 Stadtbezirke eingeteilt ist, 1300 Kommunen. Die Einwohnerzahl der Region Paris beläuft sich auf 12 Millionen, dies entspricht 18 % der Bevölkerung Frankreichs – auf gerade mal 2 % der Landesfläche. Paris ist das am dichtesten besiedelte urbane Gebiet auf dem europäischen Festland. Gemessen am Landesdurchschnitt wird die Stadt von einer jüngeren und besser ausgebildeten Bevölkerung bewohnt. Darüber hinaus zählt sie zu den wichtigsten Wirtschaftszentren der Welt. Hier werden 31 % des französischen Gesamt-BIP und 4 % des europäischen BIP erwirtschaftet. 15 Millionen Besucher pro Jahr, davon 60 % aus dem Ausland, machen Paris ausserdem zu einem der beliebtesten Reiseziele der Welt. Mit 65 Millionen Passagieren jährlich ist der Flughafen Charles de Gaulle der zweitgrösste Flughafen Europas; gleichzeitig bildet er Europas grössten Frachtflughafen. Über Hochgeschwindigkeitsbahnlinien ist Paris zudem mit den meisten anderen europäischen Hauptstädten verbunden.5 Diese Faktoren schlagen sich in komplexen und steigenden Anforderungen an ein funktionierendes Transportsystem nieder, um den Bedürfnissen von Anwohnern und Touristen sowie Arbeitsleben und Freizeit in einer dicht besiedelten Stadt gerecht zu werden.

Beschreibung des Projekts

Die Vorbereitungsarbeiten resultierten in einem Projekt mit einem geschätzten Gesamtbudget von EUR 25 Mia. für die Infrastruktur und zusätzlichen EUR 6–10 Mia. an Investitionen in Wohn-, Büro- und Gewerbeimmobilien. Bei dem Projekt handelt es sich um keine Konzession oder PPP – die Finanzierung erfolgt durch die französische Regierung (Projektförderer Société du Grand Paris). Die Fertigstellung des Projekts wird für 2030 erwartet.

Das Projekt umfasst den Bau von vier neuen automatisierten Metrolinien mit einem Schienennetz von 200 km und 68 neuen Stationen sowie den Ausbau zweier bestehender Linien. Die Linien werden zu 90 % unterirdisch verlaufen und eine Tiefe von bis zu 50 Metern erreichen; die Durchschnittstiefe beträgt 35 Meter. Die vorrangig durch Pariser Vororte verlaufenden Linien verbinden regionale Zentren durch den Anschluss an die drei Pariser Flughäfen, Geschäftsbezirke und wissenschaftliche Cluster miteinander. Die neuen Metrolinien werden mit Glasfaserkabeln, Datenzentren, WLAN und mobilen Netzwerken ausgestattet. Für die neuen Linien wird ein tägliches Passagieraufkommen von 2 Millionen erwartet.

Im Jahr 2017 wurden bisher Aufträge im Wert von EUR 3,7 Mia. vergeben, wobei weitere EUR 2 Mia. im späteren Jahresverlauf 2017 vergeben werden. Derzeit sind 37 Architekturbüros mit der Konzipierung der 68 Metrostationen befasst. Die Komplexität des Projekts hat zur Folge, dass nur eine begrenzte Anzahl von Unternehmen an den Bauausschreibungen teilnehmen kann. Traditionell verfügen französische Bau- und Infrastrukturunternehmen über einen hohen Marktanteil im Land und geniessen daher einen Wettbewerbsvorteil. Alle wichtigen Aufträge wurden von einem Konsortium französischer Bau- und Infrastrukturunternehmen gewonnen. Die Hauptauftragnehmer Vinci und Eiffage haben bisher Aufträge im Wert von EUR 1,3 Mia. bzw. 0,8 Mia. gewonnen.

Geschätzte wirtschaftliche Auswirkungen

Eines der Ziele des Projekts «Grand Paris» ist die Neuausrichtung der Wirtschaftsentwicklung der Region. Die Zentralisierung hat eine lange Tradition. Dies führte zu einer Konzentration staatlicher und wirtschaftlicher Aktivität im Zentrum von Paris, während der grösste Teil der Vororte weiterhin aus Wohngebieten besteht. Durch die Verbindung wichtiger Knotenpunkte aus Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Design, Finanzen, Geschäftstourismus, Gesundheit und Biotechnologie rechnet die Société du Grand Paris bis 2030 mit einer positiven Auswirkung von EUR 100 Mia. auf das Pariser BIP (aktuell EUR 640 Mia.). Die zusätzlichen Steuereinnahmen werden auf EUR 40 Mia. geschätzt. Die positive Auswirkung auf die Schaffung von Arbeitsplätzen wird sich in schätzungsweise 115'000 neuen Arbeitsplätzen und weiteren 15'000 während der Bauzeit niederschlagen. In der Umgebung der 68 neuen Metrostationen werden zwischen 250'000 und 400'000 neue Wohnungen gebaut. Darüber hinaus wird die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel anstelle von Privatautos zu einer geschätzten Reduktion von 27 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen führen.

Die Risiken sind nicht zu unterschätzen / Herausforderungen

Es steht ausser Frage, dass komplexe Infrastrukturprojekte ein grosses Risikopotenzial bergen. So kann es zu Verzögerungen, Kostenüberschreitungen, Fehlern bei der Beschaffung oder Schwierigkeiten bei der Erschliessung von Finanzierungsquellen kommen. Ein typisches Beispiel in geografischer Nähe von «Grand Paris» ist der Eurotunnel, bei dem sich die tatsächlichen Kosten auf das Doppelte der budgetierten EUR 7,5 Mia. beliefen. Die lange Laufzeit der meisten Grossprojekte ist einer der Hauptgründe für Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Die Projektstrategie sollte beispielsweise bei einem 15-Jahres-Projekt das sich verändernde Umfeld widerspiegeln und die Vielzahl von Risiken während des Projektlebenszyklus berücksichtigen. Eine weitere bedeutende Risikoquelle sind Verträge mit Planern, Bauherren und Geldgebern. Darüber hinaus sind bei einem komplexen Projekt eine Vielzahl von Anspruchsgruppen mit unterschiedlichen Funktionen, Verantwortlichkeiten, Risikomanagementkompetenzen und manchmal auch widersprüchlichen Interessen involviert. Dies zu steuern, erfordert erhebliche Managementkompetenzen. Im Vergleich zu staatlichen Akteuren legen Privatanleger in der Regel eine höhere Sensibilität für die zu tragenden Risiken an den Tag, ebenso für die Bedingungen, zu denen sie diese eingehen.

Die Beteiligung von Privatanlegern an der Finanzierung des Projekts kann deshalb in Hinblick auf die Einführung von Risiko- und Projektmanagementtechniken aus dem Privatsektor hilfreich sein. Bei Projekten wie «Grand Paris», das zu 100 % aus öffentlicher Hand finanziert wird, übernimmt der Staat auch die Prüfung dieser Risiken. Im Vergleich zu den meisten anderen Weltstädten schneidet Paris in puncto Qualität der Infrastruktur gut ab und kann auf umfangreiche Planungs- und Projektmanagementressourcen zurückgreifen. Aufgrund des Projektumfangs müssen jedoch Verzögerungen einkalkuliert werden. Es ist bezeichnend, dass für das Projekt bislang kein detaillierter Zeitplan veröffentlicht wurde.

Fazit

Paris blickt auf eine lange Tradition von Grossprojekten zurück, die das Stadtbild deutlich verändert haben. Das Stadtzentrum von Paris, wie wir es heute kennen, geht auf Kaiser Napoleon III. zurück, der Baron Haussmann in den Jahren 1853–1870 mit der Konzeption und Neugestaltung der Innenstadt beauftragte. Die mittelalterlichen Wohngebiete wurden abgerissen und ausladende Strassen, Parks und Plätze geschaffen. Zudem wurden umliegende Vororte (z. B. Montmartre, Passy und La Villette) eingebunden und über Boulevards mit Paris vernetzt – interessanterweise wurde hier ein ähnlicher Ansatz wie beim aktuellen Projekt «Grand Paris» verfolgt. Ohne diese Umgestaltung vor über 150 Jahren würde Paris höchstwahrscheinlich heute nicht zu den führenden Weltstädten zählen. «Grand Paris» hat das Potenzial, zu einem bedeutenden Projekt zu werden, das Paris von seinen europäischen Mitstreitern abheben könnte.

Die komplette Analyse mit allen Grafiken als PDF-Dokument.

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