Der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) hat für den 10. November eine Anhörung zur Verfassungsmäßigkeit des Affordable Care Act (ACA) anberaumt.
20.10.2020 | 07:45 Uhr
Der Tod von Richterin Ruth Bader Ginsburg wirft Zweifel an der Zukunft des Gesetzes auf und hat die Aktien von Krankenhäusern und Versicherungsanbietern auf Talfahrt geschickt. Nach Einschätzung der Portfoliomanager Andy Acker und Research Analyst Rich Carney könnte diese Reaktion aber übertrieben sein.
Durch den Tod der Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg ist die Zukunft des Affordable Care Act (ACA) – das mittlerweile zehn Jahre alte Gesetz, mit dem der Zugang zur Gesundheitsversorgung in den USA ausgebaut wurde – ungewisser geworden. Das liegt daran, dass der Supreme Court für den 10. November, eine Woche nach der Wahl, eine Anhörung wegen einer gegen das Gesetz anhängigen Klage anberaumt hat. Das Verfahren, das von Generalstaatsanwälten republikanisch regierter Bundesstaaten geführt wird und dem die Regierung Trump beigetreten ist, beruht auf der Behauptung, das Gesetz verstoße gegen die Verfassung, seit 2017 durch eine Steuersenkung auf Bundesebene die Strafsteuer abgeschafft wurde, die mit der für alle Amerikaner geltenden Pflicht zum Abschluss einer Krankenversicherung im Rahmen des ACA (als „Individual Mandate“ bekannt) verbunden war. Der Supreme Court hat bereits zwei frühere Klagen gegen das ACA abschlägig beschieden, allerdings gab bei den 5:4-Urteilen das Votum von Richterin Ginsburg den Ausschlag.
Der ACA ist zu einem wesentlichen Bestandteil des US-Gesundheitswesens geworden, nicht nur wegen der Ausweitung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, sondern auch wegen weiterer wichtiger Bestimmungen, wie z.B. dem Verbot für Versicherer, Patienten mit Vorerkrankungen abzulehnen. Nachdem die Zukunft des ACA nun unsicherer geworden ist, sind Aktien des US-Gesundheitssektors unter Druck geraten, insbesondere von Versicherungsunternehmen und Dienstleistern (Krankenhäusern), denn beide könnten von Gesetzesänderungen unmittelbar betroffen sein.
Quelle: Kaiser Family Foundation, Stand 22. September 2020.
Wir sehen durchaus, dass die Zukunft des ACA in Gefahr ist und möglicherweise ein erheblicher Umbruch im Gesundheitssystem eintreten kann. Doch so düster, wie manche Schlagzeilen die Ereignisse auch darstellen mögen („Durch Ginsburgs Tod gerät Obamacare in Gefahr wie nie zuvor“1), möchten wir darauf hinweisen, dass die Bandbreite möglicher Entwicklungen viel größer ist, als es zunächst erscheint, und von zahlreichen Unbekannten abhängt:
Angesichts der großen Bandbreite an Variablen hat das Extremrisiko, dass der ACA außer Kraft gesetzt wird, zugenommen. Doch selbst wenn dieser Fall eintritt, darf man nicht vergessen, dass Rechtsbehelfe existieren, falls Teile des Gesetzes zurückgenommen werden sollten. Wenn zum Beispiel der Supreme Court urteilt, dass das Individual Mandate verfassungswidrig ist und somit der Schutz bei Vorerkrankungen und die garantierte Versicherung ungültig sind, könnten die Bundesstaaten oder der Kongress Gesetze erlassen, um diesen Schutz zu ersetzen (die garantierte Versicherung schreibt vor, dass die Versicherer Versicherungen unabhängig vom Gesundheitszustand ausstellen müssen). Hinzu kommt, dass eine gänzliche Außerkraftsetzung des Gesetzes angesichts der großen Reichweite und Langjährigkeit das US-Gesundheitssystem ins Chaos stürzen würde. Und die Vorstellung der Außerkraftsetzung des Gesetzes während einer globalen Pandemie wäre der blanke Horror. Daher schließen wir uns der spöttischen Bemerkung Mark Twains zu Gerüchten über seinen Tod an und betrachten die Berichte über den Tod des ACA als „stark übertrieben“.
In den USA könnte die Stimmung kurzfristig Aktien des Gesundheitssektors belasten, insbesondere solche von Krankenhäusern und von Anbietern, die von ACA-Bestimmungen wie der Ausweitung von Medicaid profitiert haben. Wir möchten aber auch darauf hinweisen, dass negative Stimmung dazu führen kann, dass sich die Bewertungen von den Fundamentaldaten abkoppeln, wie es vor zehn Jahren der Fall war, als der ACA eingeführt wurde. Heute wird der US-Gesundheitssektor mit einem hohen Abschlag gegenüber den breiteren Märkten gehandelt, obwohl viele Unternehmen bahnbrechende Therapien entwickeln – u.a. Impfstoffe für COVID-19. Unseres Erachtens schaffen diese Verwerfungen Chancen für Anleger und können eine bedeutende Rolle für die langfristigen Renditen spielen.
Quelle: Bloomberg. Zeitraum der Index- und Sektordaten: 31. Dezember 2019 bis 24 September 2020. Die Durchschnitte spiegeln die Daten vom 31. März 1992 bis 24. September 2020 wider. Der S&P 500® Indexspiegelt die Wertentwicklung US-amerikanischer Standardaktien wider und repräsentiert die Entwicklung des breiten US-Aktienmarkts. Die S&P-Sektorindizes umfassen die Unternehmen im S&P 500, die gemäß der Branchentaxonomie Global Industry Classification Standard (GICS) als Unternehmen des jeweiligen Sektors klassifiziert sind.
1Politico, 19. September 2020
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