Oddo: USA-Europa - Dieselbe Geldpolitik aus unterschiedlichen Gründen

Prof. Dr. Jan Viebig Chief Investment Officer ODDO BHF SE
Geldpolitik

Aus der Tatsache, dass die beiden großen Notenbanken, Fed und EZB, in dieser Woche ihre Leitzinsen angehoben haben, sollten nicht die falschen Schlüsse gezogen werden.

09.05.2023 | 11:32 Uhr

Nur auf den ersten Blick scheint es so, als gingen die beiden Zentralbanken im Gleichschritt vor. Tatsächlich haben die beiden Zinsschritte unterschiedliche Ursachen. 

Am Mittwochabend hatte die Fed den Schlüsselsatz um weitere 25 Basispunkte (0,25 Prozent) auf die neue Spanne von 5,0 bis 5,25 Prozent heraufgesetzt. Gleichzeitig kündigte sie an, vorerst keine weiteren Erhöhungen zu planen, was an den Märkten als ein zumindest vorübergehendes Ende des aktuellen Zinserhöhungszyklus interpretiert worden ist. Allerdings machte Fed-Chef Jerome Powell in der Pressekonferenz deutlich, dass weitere Zinserhöhungen in Abhängigkeit von weiteren Ereignissen möglich sein können. Damit macht die amerikanische Notenbank ihre weitere Zinspolitik von der Entwicklung der Wirtschaftsdaten abhängig. Am Donnerstag folgte die EZB mit einer Zinserhöhung um ebenfalls 25 Basispunkte, wobei auch ein Schritt um 50 Basispunkte im Raum stand. Der Satz für die Einlagenfazilität liegt nun bei 3,25 Prozent. 

Die größte Sorge der Fed ist zurzeit der überaus robuste Arbeitsmarkt. Die Schaffung neuer Stellen hat sich in den USA zwar etwas verlangsamt. Im März wurden 236.000 Stellen geschaffen, nach 326.000 im Februar und 472.000 im Januar. Doch mit 3,5 Prozent ist die Arbeitslosenquote ungewöhnlich niedrig. Unternehmen in den USA suchen derzeit 9,6 Millionen neue Mitarbeiter. Die Zahl der offenen Stellen übersteigt damit die Zahl der 5,8 Millionen Arbeitslosen in den USA. Der robuste Arbeitsmarkt in den USA führt zu steigenden Löhnen und einer weiterhin hohen Konsumnachfrage. 

In Europa bleibt die Inflation hartnäckig hoch, allerdings aus anderen Gründen als in den USA. Die Eurozone leidet unter einer „klassischen Inflation“. Im April lag die Inflationsrate im Euroraum bei 7,0 Prozent und die Kerninflation – die Teuerungsrate ohne Berücksichtigung der Preise für Energie und Lebensmittel - bei 5,6 Prozent. Während die Energiepreise, vor allem die für Erdgas, in den vergangenen Monaten spürbar gesunken sind, bereitet der Preisanstieg für Lebensmittel mit einem Plus von 13,6 Prozent im April nach 15,5 Prozent im März immer noch Sorgen. Durch Zweitrundeneffekte führen die vergangenen Steigerungen der Energiepreise quasi durch die Hintertür zu höheren Preisen von vielen Waren und Dienstleistungen, beispielsweise weil Transport- oder Heizkosten gestiegen sind. Damit halten die Energiepreise die Kerninflation in Europa weiterhin hoch. Dadurch verharrt die Teuerungsrate deutlich über der Zielmarke von 2 Prozent, die Europas Währungshüter als Ziel für die Inflationsrate gesetzt haben. 

Im vergangenen Jahr 2022 hatte die EZB anfangs gezögert, mit entschiedenen Zinserhöhungen auf die Inflation zu reagieren. So setzte der Zinserhöhungszyklus im Euroraum um Monate später als in den USA ein. Die EZB glaubte lange, dass die Inflation “transitorischer” Natur sei und schnell vorübergehe. Die zukünftige Inflation zu prognostizieren, ist schwierig.

Das liegt zum einen daran, dass viele Faktoren in die Inflationsrate einfließen, was eine verlässliche Prognose enorm erschwert. Die Preise fossiler Energieträger sind zudem so stark von politischen Faktoren beherrscht, dass sich ihre Entwicklung nicht verlässlich vorhersagen lässt. Die EZB hat nun mehrfach angekündigt, dass sie stärker datengetrieben vorgehen wird.

Schon heute ist klar, dass der Zinsschritt vom Donnerstag dieser Woche nicht ausreichen wird, um die nach wie vor zu hohe Kerninflation in Europa unter das Zinsziel der EZB von 2% zu senken. Es dürften voraussichtlich weitere Zinsschritte folgen. Damit rückt der Zinshöhepunkt zwar mehr und mehr in die Nähe. Doch wir haben ihn aller Wahrscheinlichkeit noch nicht erreicht. In der Eurozone werden die Zinsen vermutlich noch etwas länger steigen als in den USA. Je nachdem wie sich die Inflation in den kommenden Monaten entwickelt, werden voraussichtlich noch zwei, vielleicht auch drei Zinsschritte notwendig sein. Wir erwarten, dass der Einlagenzins von nun 3,25% noch auf mindestens 3,75% in diesem Sommer steigen wird. 

Manche beklagen, dass die Zinsen nun auf einen Stand steigen, der Verbraucher und Unternehmen stark belastet. Es ist richtig, dass viele Haushalte, die beispielsweise ihr Haus auf Kredit finanzieren, in absehbarer Zeit höhere Zinsbelastungen verkraften müssen. Auch für viele Unternehmen werden Kreditfinanzierungen tendenziell teurer. Vor allem aber trifft die hohe Inflation übermäßig stark sozial schwach gestellte Bevölkerungsgruppen. Kinderreiche Haushalte mit niedrigen Einkommen leiden derzeit besonders unter den hohen Preissteigerungen, da sie einen hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, deren Preise besonders stark gestiegen sind. Auch zur Wahrung des sozialen Zusammenhalts ist es deshalb erforderlich, die Inflation weiter konsequent zu bekämpfen und vorübergehend höhere Zinsen in Kauf zu nehmen. 

Auch wenn die beiden großen Notenbanken in dieser Woche klar signalisiert haben, dass sie eine hohe Inflation nicht hinnehmen werden, so werden wir uns darauf einstellen müssen, dass die Inflation sowohl in den USA wie auch in Europa zumindest in diesem Jahr noch relativ hoch bleiben wird. Doch vieles spricht dafür, dass der Höhepunkt der Inflation hinter uns liegt. Würden die Geldpolitiker dies anders sehen, dann hätten sie in dieser Woche die Zinsen sicher kräftiger erhöht. 

Jan Viebig


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