Die Zentralbanken sind gezwungen, sich mit vielen Herausforderungen auseinanderzusetzen – Ungleichheit, Klimawandel und Schuldenmanagement, um nur drei zu nennen.
27.08.2021 | 07:10 Uhr
Wird angesichts dieser Spannungen die Inflationsbekämpfung weiterhin oberste Priorität haben? Wir glauben, dass sich die Prioritäten ändern und die Inflation kurz vor einem bedeutenden Anstieg steht.
Bis vor Kurzem hatten die Zentralbanken eine einfache Aufgabe: die Gewährleistung der Preisstabilität. Jetzt werden sie in andere Bereiche hineingezogen: Verringerung der Ungleichheit, Unterstützung des grünen Übergangs und vieles mehr. Wenn die Inflationsbekämpfung nur noch ein Ziel unter vielen ist, steigt das Risiko, dass sie zugunsten dringenderer Anliegen aufgegeben wird.
Inflation – Wildhüter werden zu Wilderern
Die COVID-19-Pandemie hat die Zentralbanken bereits gezwungen, ihre Mandate zu erweitern. Die Regierungen hätten ihre Volkswirtschaften in den vergangenen 18 Monaten nicht stützen und die Verschuldung nicht auf ein Rekordhoch in Friedenszeiten ansteigen lassen können, wenn sie nicht durch massive Bilanzausweitungen und Anleihenkäufe der Zentralbanken unterstützt worden wären.
Während die meisten Zentralbanker der Industrieländer weiterhin ein
Inflationsziel von etwa 2 % anstreben, deuten jüngste Reden darauf hin,
dass sie möglicherweise bereits den Überblick verloren haben (siehe
oben). Nur wenige (wenn überhaupt) historische Episoden hoher Inflation
begannen als bewusste Versuche, das Preisniveau in die Höhe zu treiben.
Stattdessen entstand die Inflation indirekt, als die politischen
Entscheidungsträger andere Ziele verfolgten.
Wir erwarten, dass dies auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird. Neue politische Herausforderungen wie der Klimawandel und der Populismus werden die Politik wahrscheinlich in eine Richtung drängen, die im Laufe der Zeit zu einer höheren Inflation führt. Entscheidend ist, dass dies als ein akzeptabler Preis angesehen wird, der zu zahlen ist.
Veränderte Prioritäten bereiten den Weg für höhere Inflation
Im Laufe des letzten Jahres sind wir immer mehr zu der Überzeugung
gelangt, dass die Welt an der Schwelle zu einer neuen, inflationäreren
Ära steht. Das liegt zum einen daran, dass COVID-19 die
Staatsverschuldung noch weiter über den Punkt ohne Wiederkehr
hinausgetrieben hat, und zum anderen an der Geschwindigkeit, mit der
sich fiskalischer Aktivismus und quasi-monetäre Finanzierung
ausgebreitet haben.
Wir sind auch erstaunt über den Konsens, der sich jetzt um die Idee bildet, dass die Höhe der Schulden keine Rolle mehr spielt. Führende Politiker in den USA und Europa haben riesige Konjunkturpakete befürwortet, ohne Rücksicht auf Ausgabenbegrenzungen oder Verbote der monetären Finanzierung. Geld- und Finanzpolitik werden immer mehr zu einer Einheit.
Inflation: Immer und überall eine politische Entscheidung
Es ist sehr schwierig, erhebliche langfristige Verschiebungen in
Echtzeit zu erkennen. In den frühen 1980er-Jahren fragten sich viele
Ökonomen, ob sie die Inflation jemals besiegen würden. Doch damals wie
heute hat sich der Boden unter ihren Füßen verschoben. Vieles, was wir
einst für selbstverständlich hielten, hat sich geändert – vom Ertrag von
Konjunkturprogrammen bis hin zur Enttabuisierung der monetären
Finanzierung –, und die Regierungen stehen vor großen, vielleicht sogar
existenziellen Herausforderungen. So gesehen fällt es schwer zu glauben,
dass das Inflationsschema im nächsten Jahrzehnt das gleiche sein wird
wie im letzten Jahrzehnt.
Als John Maynard Keynes in den frühen
1920er-Jahren über die grassierende Inflation schrieb, die in ganz
Europa die Ersparnisse vernichtet hatte, warnte er uns davor, die
jüngsten Erfahrungen als unveränderlich zu betrachten, als „Teil des
permanenten sozialen Gefüges“, oder die „Warnung vor vergangenen
Unglücken“ zu ignorieren. In den 1960er-Jahren sagte Milton Friedman –
der die monetaristische Gegenrevolution gegen den Keynesianismus
anführte – bekanntermaßen, dass „Inflation immer und überall ein
monetäres Phänomen ist“.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Das politische System, das diese monetären Bedingungen entstehen lässt, ist der Schlüssel. Deshalb ist es unserer Meinung nach zutreffender zu sagen, dass Inflation immer und überall eine politische Entscheidung ist. Denn wer findet nicht, dass 4,0 % Inflation ein geringer Preis für die Rettung des Planeten sind?
Darren Williams ist Director für Global Economic Research und Guy Bruten ist Chief Economist für Asia-Pacific bei AllianceBernstein (AB).
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.
Diesen Beitrag teilen: