Metzler: Wenn die nächste Rezession kommt ...

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Geldpolitik

... müsste eine antizyklische Wirtschaftspolitik die Wirtschaft stabilisieren. Jedoch sind die Möglichkeiten der Zentralbanken für Leitzinssenkungen weitestgehend ausgeschöpft, und die Staatsverschuldung liegt weltweit auf Rekordständen.

24.09.2018 | 10:34 Uhr

Die US-Wirtschaft ist seit Juli 2009 in einem ununterbrochenen Aufschwung, der nunmehr zum zweitlängsten in der modernen Wirtschaftsgeschichte der USA seit 1854 geworden ist. Mit jedem weiteren Aufschwungsmonat steigt naturgemäß die Sorge vor der nächsten Rezession. Zumal sich die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) in einem Leitzinserhöhungszyklus befindet und die in Folge dessen knappere USD-Liquidität schon jetzt zu Währungsturbulenzen in einzelnen Schwellenländern beigetragen hat. Es gilt also immer noch die alte Börsenweisheit: „Wenn die USA niesen, bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen“. 

Seit dem Zweiten Weltkrieg war vor jeder US-Rezession eine inverse Renditestrukturkurve zu beobachten. Die Rendite einer 1-jährigen US-Treasury-Anleihe war also höher als die Rendite einer 10-jährigen US-Treasury-Anleihe. Ein Grund für die inversen Renditestrukturkurven vor Rezessionen könnte sein, dass die US-Noten­bank damals bewusst mit hohen Leitzinsen eine Rezession herbeiführte, um eine überhitzte US-Konjunktur abzukühlen und Inflationsrisiken einzudämmen. Die US-Notenbank hat also in einem gewissen Rahmen einen starken Einfluss auf die Risiken einer Rezession. 

Hohe Verschuldung zwingt Zentralbanken zu Niedrigzinspolitik
Gesamtverschuldung in % des BIP

Hohe Verschuldung zwingt Zentralbanken zu Niedrigzinspolitik  Gesamtverschuldung

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 31.12.2017 

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die nächste US-Rezession aussehen könnte. Erfahrungsgemäß würde sich eine US-Rezession auf die Weltwirtschaft ausbreiten. Schnell wäre dann eine antizyklische Wirtschaftspolitik notwendig, um die Weltwirtschaft wieder zu stabilisieren und um einen neuen Aufschwung einzuleiten. Die globalen Zentralbanken haben jedoch kaum noch Spielraum mithilfe von Leitzinssenkungen und Wertpapierkäufen einen monetären Stimulus zu liefern. Auch liegt die Staatsverschuldung weltweit auf Rekordständen, sodass ein fiskalischer Stimulus kaum möglich scheint. Die Sorge vieler Finanzmarktakteure ist daher groß, dass eine wirtschaftliche Abwärtsdynamik mithilfe einer antizyklischen Wirtschaftspolitik nicht zu stoppen und eine schnelle anschließende Konjunkturerholung nicht möglich ist. Auch könnte die hohe Verschuldung in Kombination mit einer Rezession zu einer Rückkehr der Schuldenkrise in einzelnen Ländern beitragen. Vor allem die risikobehafteten Finanzanlagen könnten dann in diesem Umfeld empfindliche Kursverluste erleiden ohne eine schnelle Erholung in der Folge. Für Anleger wird daher ein Auffangnetz oder eine Wertsicherung ihrer Portfolios immer wichtiger. 

Die Weltwirtschaft kann sich vor diesem Hintergrund eigentlich keine Rezession leisten – das wissen natürlich auch die Zentralbanken. Dementsprechend dürften die großen Zentralbanken nur sehr vorsichtig agieren, und die US-Notenbank dürfte versuchen, eine inverse Renditestrukturkurve zu vermeiden. Dementsprechend rechnen wir nach der voraussichtlichen Leitzinserhöhung am Mittwoch auf einen Korridor von 2,0 % bis 2,25 % nur noch mit zwei weiteren Zinsschritten der Fed im Dezember 2018 und März 2019. Danach dürfte die US-Notenbank erst einmal eine abwartende Haltung einnehmen. Der Preis für eine vorsichtigere Gangart wäre voraussichtlich eine steigende Inflation. Solange jedoch der Inflationsanstieg moderat bleibt, wäre es wahrscheinlich ein akzeptabler Preis für die Zentralbanken. Im August dürfte die Kerninflation (Freitag) sogar nur bei 2,0 % ohne größere Aufwärtsdynamik verharrt sein. Auch wenn die Zentralbanken anstreben, eine Rezession unter allen Umständen zu vermeiden, könnte die Weltwirtschaft trotzdem aufgrund eines politischen Schocks jederzeit in eine Abschwungphase eintreten.

Sind Volkswirtschaften selbststabilisierend? 

Vor der Großen Depression herrschte die Doktrin vor, dass Volkswirtschaften selbststabilisierend seien. Rezessionen seien somit ein notwendiges Übel, um die Wirtschaft von den Exzessen des vorangegangenen Booms zu befreien. Nach einer Bereinigung der Fehlallokation von Kapital sei dann die Basis für den nächsten Aufschwung gelegt. Eine antizyklische Wirtschaftspolitik sei in diesem Umfeld eher kontraproduktiv, da sie die schnelle Bereinigung von Fehlinvestitionen verhindere. 

Die Große Depression erschütterte jedoch den Glauben an dieses Gedankengebäude, da die Weltwirtschaft ohne wirtschaftspolitische Unterstützung keinen Boden fand und immer schneller kollabierte. Der Grund dafür lag im Finanzsektor. So hatte die zunächst normale Rezession aufgrund der allgemein hohen Verschuldung Kreditausfälle bei Banken zur Folge. Kleinere Banken mussten ihre Türen schließen, und deren Kunden verloren zum Teil ihre gesamten Ersparnisse. Die Angst vor weiteren Verlusten führte zu einem Run auf die noch gesunden Banken, die dadurch zunehmend in Liquiditätsschwierigkeiten gerieten. Die Banken begannen Liquidität zu horten und vergaben keine neuen Kredite mehr. Die Kreditklemme verschärfte den wirtschaftlichen Abschwung, der wiederum zu steigenden Kreditausfällen bei den Banken führte. Ohne ein staatliches Eingreifen wäre ein Ende der Abwärtsdynamik kaum absehbar gewesen. 

Im Gegensatz zu damals gibt es heute eine Einlagensicherung, die einen Run auf Banken verhindert, sowie Zentralbanken, die den Geschäftsbanken jederzeit ausreichend Liquidität zur Verfügung stellen. Nichtsdesto­trotz könnte es im aktuellen Umfeld schwierig werden, die Weltwirtschaft ohne wirtschaftspolitische Unterstützung zu stabilisieren, da die Banken aufgrund der rekordhohen Verschuldung in einer Rezession vermehrt Kreditausfälle erleiden könnten, was sie dazu veranlassen könnte, die Kreditvergabe einzuschränken. Kredit ist nun einmal der Blutkreislauf einer Volkswirtschaft. So konnten unter anderem auch die Einlagensicherung und die üppige Zentralbankliquidität die große Rezession 2008 zwar deutlich abmildern, aber nicht verhindern. 

Was kann die Wirtschaftspolitik in der nächsten Rezession überhaupt noch tun?

Wenn die Verschuldung niedriger wäre, hätten die Staaten mehr Spielraum für eine antizyklische Fiskalpolitik und die Zentralbanken könnten den Leitzins ohne Sorge vor einer neuen Schuldenkrise anheben. Es ist jedoch nicht einfach, die Verschuldung abzubauen. In der Vergangenheit gelang dies in der Regel mithilfe der finanziellen Repression, das heißt ein hohes nominales Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig künstlich niedrigen Zinsen. Von 1985 bis 2007 verzeichneten die Industriestaaten noch ein nominales Wirtschaftswachstum von durchschnittlich knapp 6 % pro Jahr, seit 2008 fiel die durchschnittliche Wachstumsrate auf nur noch knapp 3 % pro Jahr. Sowohl das reale Wirtschaftswachstum als auch die Inflation neigten dabei zur Schwäche. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Inflation wieder steigt und damit stärker zur Entschuldung beiträgt. 

Ein Schuldenschnitt funktioniert in der Regel nicht, da mit jedem neuen Kredit gleichzeitig Vermögen geschaffen wird, was sozusagen die Kehrseite der Medaille der Verschuldung ist. So sorgte der Schuldenschnitt in Griechenland dafür, dass die griechischen Banken erhebliche Verluste auf ihre gehaltenen griechischen Anleihen erlitten und drohten, in Konkurs zu gehen. Die Banken mussten dann mit neuen Staatsschulden rekapitalisiert werden, sodass sich an der griechischen Staats­verschuldung trotz Schuldenschnitts kaum etwas änderte. Sie liegt derzeit immer noch bei etwa 182 % des BIP. Um einen wirklichen Schuldenschnitt zu erreichen, hätten die griechischen Sparer einen Schnitt bei ihren Bankeinlagen erleiden müssen. Damit wäre jedoch die Einlagensicherung ausgesetzt und das Vertrauen in die Sicherheit der Bankeinlagen unterminiert worden. Nur in Zypern wurden die Bankeinlagen am Schuldenschnitt beteiligt, da es sich hier überwiegend um ausländische Einlagen handelte. Auch können die Zentralbanken die gehaltenen Staatsschulden nicht einfach abschreiben, da die Zentralbanken weiterhin die aus dem Kauf der Staatsanleihen entstandenen Verbindlichkeiten gegenüber den Geschäftsbanken in ihren Bilanzen hätten. 

Länder können lange mit einer hohen Staatsverschuldung leben 
Staatsverschuldung in Großbritannien in % des BIP

Länder können lange mit einer hohen Staatsverschuldung leben  Staatsverschuldung in Großbritannien

Quelle: voxeu.org; Ellision, Scott (2017): 332 years of UK national debt

Im Endeffekt bleibt nur der Weg der finanziellen Repression: keine Rezession, moderat steigende Inflationsraten und niedrige Zinsen über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Sollte es jedoch früher zu einer Rezession kommen, wäre eine Möglichkeit, dass auf EU- oder Eurozonenebene ein Fiskalstimulus beschlossen wird und die Europäische Zentralbank (EZB) dann die EU- bzw. Eurozonenanleihen kauft. Es lässt sich empirisch keine obere Grenze der Staatsverschuldung berechnen – manche Staaten erleiden eine Schuldenkrise bei einer Staatsverschuldung von 40 % des BIP, andere können eine Staatsverschuldung von mehr als 240 % des BIP ohne größere Probleme tragen. Staaten können also lange mit einer hohen Staatsverschuldung leben, wenn sie das Vertrauen der Anleger und die Unterstützung der Zentralbank genießen – wie das Beispiel der Staatsverschuldung in Großbritannien seit dem Jahr 1700 zeigt. Auf EU- oder Eurozonenebene gäbe es sicherlich ausreichend Spielraum für eine höhere Verschuldung zur Finanzierung einer antizyklischen Fiskalpolitik.

Ein anderes antizyklisches Instrument wäre eine flächendeckende Anwendung von Negativzinsen. Dazu müsste die Verwendung von Bargeld stark eingeschränkt werden. Seit dem Zweiten Weltkrieg senkte die Bundesbank und später die EZB den Leitzins in Abschwungsphasen um durchschnittlich 3,0 %-Punkte. Die EZB müsste also in diesem Fall den Leitzins auf -3,4 % senken. Negativzinsen in dieser Höhe würden jedoch sehr wahrscheinlich zu einem Aufschrei in der Bevölkerung führen, wären daher politisch äußerst heikel – und somit das letzte Mittel der Wahl.  

USA: Starkes Wachstum jetzt – schwaches im nächsten Jahr

Die Konsumenten sind optimistisch, wie das Konsumentenvertrauen (Dienstag und Freitag) belegen dürfte. Auch werden die Auftragseingänge (Donnerstag) im August voraussichtlich kräftig zugelegt haben. Die aktuell guten Konjunkturdaten sind jedoch nur eine Folge des fiskalischen Stimulus. Im Jahresverlauf 2019 dürfte dieser jedoch nachlassen und das Wachstum wieder auf den zugrundliegenden Wachstumstrend zurückfallen. Der zugrundliegende Wachstumstrend wird dabei vom frühzyklischen Wohnimmobilienmarkt angezeigt, dessen Daten jedoch in den vergangenen Monaten zur Schwäche neigten: Neubauverkäufe (Mittwoch).

Eurozone: Stabiles Umfeld  

Die Einkaufsmanagerindizes in der Eurozone enttäuschten im September zwar etwas, per Saldo tendiert der Einkaufsmanagerindex für die Gesamtwirtschaft jedoch seit Mai seitwärts und steht damit im Einklang mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 2,0 %. Dementsprechend dürften auch der ifo-Index (Montag) sowie der Geschäftsklimaindex der EU-Kommission (Donnerstag) im September stabil geblieben oder leicht gefallen sein. Spannend wird es jedoch bei der Inflation (Freitag) und der Frage, ob die steigenden Löhne im September schon zu höheren Inflationsraten beitragen haben.

Japan: Steigende Inflationsraten  

Eine boomende Wirtschaft, Industrieproduktion (Freitag) sowie ein boomender Arbeitsmarkt (Freitag) dürften zu tendenziell steigenden Inflationsraten (Freitag) beitragen.


Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

Edgar Walk 

Chefvolkswirt Metzler Asset Management


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